Es ist ein idyllisches Bild. Noel Gogomá steht vor dem Hafen von Málaga, das blaue Mittelmeer lädt zum Baden ein. Doch wenn er das Meer sieht, denkt er nicht an Urlaub und Erholung, sondern an seine Flucht. Er sagt:
"Ich hatte große Angst, ich wusste nicht, was passieren wird. Es war sehr gefährlich, aber es gab keine Alternative. Hinter uns lag nichts Gutes. Das Meer vor uns war ruhig. Vier im Boot haben gerudert, es war ein bisschen schwierig, bis alle in dieselbe Richtung ruderten. Ein Fünfter saß in der Mitte, hat mit einem Eimer ständig Wasser aus dem Boot geschöpft. Mitten auf dem Meer fand uns dann die spanische Seenotrettung und hat uns nach Tarifa gebracht."
Damit war er in Andalusien. Billiger ging es nicht. 250 Euro hat der 24-Jährige für die Überfahrt bezahlt, mehr als ein Ruderboot gibt es dafür nicht. Sicherere Überfahrten sind teurer. Doch seine Ersparnisse hatten ihm andere Schleuser schon vor der Überfahrt abgenommen auf dem Weg von der Elfenbeinküste über Mali nach Algerien und letztlich nach Marokko, wo er noch etwas Geld verdienen konnte, sagt Noel im Gespräch mit dem spanischen Flüchtlingshilfswerk CEAR.
Schon jetzt mehr Flüchtlinge als im gesamten vergangenen Jahr
Rund 9.000 Menschen sind wie Noel in der ersten Hälfte dieses Jahres nach Spanien geflohen, das sind jetzt schon mehr als in den zwölf Monaten des Vorjahrs, erklärt die Sprecherin der Flüchtlingshilfe, Estrella Galán:
"Wenn den Flüchtlingen ein Weg versperrt wird, suchen sie sich eben einen anderen. Die Europäische Union hat durch das Abkommen mit der Türkei die Route über Griechenland praktisch dichtgemacht. Daraufhin wählten immer mehr Flüchtlinge den Weg über das zentrale Mittelmeer nach Italien. Aber die Situation in Libyen ist für die Flüchtlinge gefährlich geworden, die Menschenrechte werden dort systematisch missachtet. So wählen manche wieder die Route über Spanien. Außerdem scheint Marokko die Grenzkontrollen derzeit nicht ganz so ernst zu nehmen und ermöglicht so das Ablegen der Boote." Die Sprecherin betont: "Die Spanier sollten sich keine Sorgen machen, Italien registriere immer noch zehnmal mehr Boatpeople als Spanien."
Unter den auf der iberischen Halbinsel ankommenden Flüchtlingen finden sich wieder mehr Marokkaner. Spanische Medien führen das auf die Proteste in der Rif-Region im Norden zurück. Die marokkanische Polizei versucht, sie niederzuschlagen und reagiert mit Verhaftungen. Beamte, die sonst an der marokkanischen Küste tätig seien, würden deshalb von dort abgezogen und in der Rif-Region eingesetzt. Dies ermögliche das Ablegen der Flüchtlingsboote, mutmaßen spanische Hilfswerke.
Hilfswerke kritisieren mangelnde Bereitschaft der spanischen Regierung
Doch während Spanien marokkanische Bootsflüchtlinge schnell wieder abschieben kann, ist dies bei Westafrikanern schwieriger. Oft gibt es keine Rücknahmeabkommen mit ihren Herkunftsländern. CEAR-Sprecherin Estrella Galán erklärt zudem:
"Viele der Flüchtlinge sind mögliche Asylbewerber, fliehen vor Krieg, Gewalt oder politischer Verfolgung. Ihnen muss natürlich das Recht garantiert werden, einen Asylantrag zu stellen. Derzeit werden in Spanien nur vier Prozent aller Asylanträge in der Europäischen Union gestellt. Wir haben nur sehr wenige Asylbewerber. Zum Vergleich: Deutschland hatte im vergangenen Monat mehr als 15.000 Asylanträge angenommen. Das sind so viele wie in Spanien in einem Jahr."
Die Hilfswerke kritisieren zudem die mangelnde Bereitschaft der spanischen Regierung, im Rahmen des EU-Abkommens Flüchtlinge aus anderen Staaten aufzunehmen. Vor zwei Jahren hatte sich die spanische Regierung dazu verpflichtet, anderen EU-Ländern rund 16.000 Flüchtlinge abzunehmen. Bislang haben die Spanier aber nur 1.100 davon ins Land gelassen. Die Frist läuft bis Ende September.
Noel Gogomás Asylantrag ist bislang nicht bearbeitet worden. Derzeit lebt er noch in einem Aufnahmezentrum und wird vom Hilfswerk CEAR versorgt. Er hofft, bleiben zu dürfen und macht in Málaga eine Ausbildung zum Gebäudereiniger. Der Blick zurück nach Afrika erfüllt ihn mit Bitternis. Noel Gogomá:
"Ich will Sicherheit. Ich weiß nicht, warum ich dieses Scheiß-Leben haben muss. In Afrika war der ganze Tag von Leiden geprägt. Ich hoffe sehr, hier Arbeit zu finden, eine Familie zu gründen und ein normales Leben führen zu können. In meiner Heimat ist das nicht möglich. Dort kann ich nicht leben; es ist zu unsicher. Darum will ich hierbleiben."