Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv


Spanien holt auf

Während ein Viertel aller noch arbeitenden Spanier laut einer Umfrage mit der Kündigung rechnet, zeichnen Wirtschaftsexperten ein konträres Bild zur Gemütslage der Bevölkerung. Sie gehen davon aus, dass Spaniens Wirtschaft sich bis Ende des Jahres erholen werde.

Von Hans-Günter Kellner | 28.01.2013
    Die Reportage im spanischen Fernsehen über die Aussichten für dieses Jahr ist ganz im Tenor der Endzeitstimmung gehalten, die das Land überzogen hat. Auf 26 Prozent ist die Arbeitslosenquote inzwischen geklettert, sagt der Moderator. Umfragen zufolge rechnet ein Viertel aller Spanier, die heute noch Arbeit haben, mit der Kündigung. Volkswirt Fernando Fernández von der Madrider IE Business School ist hingegen optimistisch:

    "Spaniens Wirtschaft ist wie ein Kranker nach der Operation. Der Eingriff ist gelungen, aber der Patient muss sich noch weiter erholen. Er wird noch eine Weile auf der Intensivstation liegen. Wir müssen abwarten, bis die Operation ihre Wirkung zeigt. Aber sie war erfolgreich. Insofern dürfen wir hoffen, dass es uns jetzt bald besser geht."

    Fernando Fernández weiß, sein positiver Ausblick provoziert, weil er vollkommen konträr zur Gemütslage in der Bevölkerung liegt. Doch er sieht handfeste Argumente für die Annahme, Spaniens Wirtschaft werde sich bis Ende des Jahres erholen. An erster Stelle führt er die Exportwirtschaft an:

    "Angesichts der niedrigen Inlandsnachfrage haben die Unternehmen verstärkt ihre Märkte im Ausland gesucht. Mit Erfolg. Spanien liegt mit dem Wachstum seiner Exporte inzwischen an vierter Stelle weltweit. Wir exportieren nicht nur Orangen, sondern zunehmend auch Technologie. Spanische Unternehmen sind bei den erneuerbaren Energiequellen führend. Wir exportieren Autos und Schienenfahrzeuge. Spanien hat viel mehr Hightech, als die Leute annehmen."

    So hat ein spanisches Firmenkonsortium im Rennen um eine Hochgeschwindigkeitsstrecke in Saudi-Arabien sogar den französischen TGV ausgestochen. Mit 6,7 Milliarden Euro ist das der größte Auftrag aus dem Ausland für spanische Unternehmen - die zudem in Brasilien und den USA um ähnliche Projekte mitbieten. Ausschlaggebend dabei: In den zurückliegenden Jahren des Booms haben spanische Bauunternehmen im eigenen Land bewiesen, Großprojekte stemmen zu können. Und: Mit der Krise ist Spanien als Hersteller günstiger und wettbewerbsfähiger geworden - allerdings auf Kosten der Arbeitnehmer:

    "Die Realeinkommen sind in Spanien gesunken. Das liegt natürlich an der hohen Arbeitslosenquote. Hinzu kommt die Arbeitsmarktreform. Unternehmen in Schwierigkeiten können aus den Flächentarifverträgen aussteigen. Die Arbeitsverhältnisse haben sich grundlegend geändert. Entlassungen sind billiger geworden. Die Beschäftigten sind sich ihres Arbeitsplatzes nicht mehr so sicher und sind so eher zu Einbußen bei den Gehältern bereit."

    Zudem sind die Zinsen für spanische Staats- und Unternehmensanleihen gesunken - dank der Intervention von EZB-Chef Mario Draghi im September. Draghi hatte angekündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenländer aufzukaufen und damit aus der Sicht vieler Experten den Euro gerettet. Allerdings: Auch so hat Spanien sein Defizitziel von 6,3 Prozent für 2012 voraussichtlich deutlich verfehlt. Brüssel müsse bei den Defizitzielen mit sich reden lassen, fordert Volkswirt Josep Comajuncosa vom Institut Esade aus Barcelona. Spanien könne 2013 nicht schon wieder 30 Milliarden Euro kürzen:

    "Die Auswirkungen auf das Wachstum wären katastrophal. Die Steuereinnahmen würden erneut einbrechen und das Haushaltsdefizit könnte wieder nicht reduziert werden. Mäßigere Kürzungen wären also sinnvoller. Denn ganz ohne Wachstum werden wir unsere Schulden kaum zurückzahlen können. Die Kürzungen zu mäßigen, ist also auch im Interesse unserer Gläubiger."

    Und ohne Wachstum wird es auch keine neuen Arbeitsplätze geben. 2013 könnten jedoch die Grundlagen dafür gelegt werden, dass im nächsten Jahr die Massenarbeitslosigkeit sinke, sagen die Wirtschaftsexperten. Der zuvor aufgebaute Druck auf die Südeuropäer, Einkommen und Arbeitnehmerrechte abzubauen, könnte dann aber auch wie ein Bumerang auf die Nordeuropäer zurückfallen, meint Comajuncosa:

    "Das ist das Gesetz der Märkte. Aber wir stehen ja nicht nur in Europa im Wettbewerb, sondern auf der ganzen Welt. Und da gibt es immer Anbieter, die billiger produzieren können. Wir können also nicht ständig nur über die Löhne konkurrieren. Wir sollten unsere sozialen Rechte nicht alle aufgeben. Sie sind Teil der Identität der Europäischen Union."