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Spanien
Im Labyrinth der Parteitaktik

Mit der liberalen Ciudadanos und der linken Podemos haben Spaniens Wähler den alten Volksparteien zwei neue Kräfte zur Seite gestellt. Doch der Auftrag "Sprecht miteinander, einigt euch" ist immer noch nicht ausgeführt - die Regierungsbildung lässt trotz ständig neuer Verhandlungsrunden auf sich warten.

Von Hans-Günter Kellner | 05.08.2016
    Spaniens amtierender Ministerpräsident Mariano Rajoy gibt nach einem Treffen mit Ciudadanos-Chef Albert Rivera in Madrid eine Pressekonferenz.
    Spaniens amtierender Ministerpräsident Mariano Rajoy nach einem Treffen mit Ciudadanos-Chef Albert Rivera in Madrid (picture alliance / dpa / EFE )
    Pablo Casado, Vorstandsmitglied und Sprecher der spanischen Volkspartei, strahlte beim Besuch des TV-Senders Antena 3. Gerade so, als habe das Treffen des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy mit dem Parteichef der neuen liberalen Partei Ciudadanos diese Woche schon den Weg zu einer neuen Regierungsmehrheit in Spanien bereitet:
    "Albert Rivera ist ein verantwortungsbewusster Mensch. Mit Ciudadanos sind wir in den wichtigsten Fragen einer Meinung, über unsere Verfassung und über die Einheit Spaniens. Außerdem regieren wir mit ihnen in vier Regionen. Da müssen wir uns doch verständigen können. Zumal die Bedingungen von Ciudadanos annehmbar sind."
    Was nicht ganz zur Freude des Politikers passt: Ciudadanos will gar nicht für Rajoy stimmen, aber auch nicht gegen ihn. Mit dieser Enthaltung hat der Konservative aber immer noch keine Mehrheit hinter sich. Erst wenn sich die Sozialisten zumindest enthalten würden, wäre Rajoy als Ministerpräsident wiedergewählt. Doch Spaniens Sozialdemokraten wollen sich nicht auf einen solchen Pakt einlassen. Der Politologe Jorge Galindo vom Thinktank Politikón erklärt:
    "Die Sozialisten sehen ganz genau, dass überall in Europa die Großen Koalitionen ihren Parteifreunden geschadet haben. Und in Spanien haben die Sozialisten mit Podemos ja auch noch eine Partei an ihrer linken Seite, die sich als die echte Opposition profilieren will. Gerade die Situation der SPD in Deutschland wird in Spanien ganz genau beobachtet."
    Gesucht wird ein Projekt für das Land
    Für Ignacio Urquizu, Soziologe und erst seit einem halben Jahr sozialistischer Abgeordneter, ist das allerdings kein Argument. Die Probleme der Sozialdemokratie in Europa seien ganz andere. Ihnen fehle es etwa an Ideen zur Umverteilung des Reichtums in Zeiten der Globalisierung oder überhaupt an einem sozialdemokratischen Konzept für Europa. 60 Prozent der Wähler der Sozialisten würden zumindest eine Stimmenthaltung ihrer Partei begrüßen, wenn Rajoy dafür entsprechende Gegenleistungen einräumen würde, zitiert Urquizu Umfragen. Das Problem:
    "Unsere Mitglieder haben fest verankerte politische Überzeugungen. Bei uns hat die politische Identität zudem auch mit dem Bürgerkrieg zu tun, die Volkspartei ist die politische Erbin des Franco-Regimes. Da fehlt es an einer politschen Führung, die den Dialog mit dem politischen Gegner mit Nachdruck verteidigen würde. Führung bedeutet: Einen Fahrplan, ein Projekt für das Land haben, wissen, was man will – und die Leute dafür hinter sich bringen. Stattdessen haben wir eine Führung, die das genaue Gegenteil macht: Das, was die Leute wollen."
    So kommen die spanischen Parteien nicht aus dem Taktieren heraus. Die naturgegebene Rolle der Sozialisten sei die Alternative zu den Konservativen, nicht ihr Bündnispartner, sagt Parteichef Pedro Sánchez, während Podemos gleichzeitig mit einem gemeinsamen Linksbündnis lockt, für das es aber nur zusammen mit den katalanischen Separatisten zu einer Mehrheit reichen würde – oder gemeinsam mit Ciudadanos. Konstellationen wären also viele denkbar. Zudem:
    "Die meisten von uns kommen aus derselben Generation. Wenn wir nicht zusammenfinden, dann muss man unsere Generation als gescheitert ansehen. Zum Glück sollen wir nur eine Regierung wählen. Man muss sich mal überlegen, in welcher Situation Spanien wäre, wenn wir auch noch eine Verfassung ausarbeiten müssten, so wie die Generation vor uns! Unser Land steht vor einer großen politischen Herausforderung, aber wir haben keine Antwort darauf."
    ... konstatiert der sozialdemokratische Abgeordnete aus der Provinz, wie sich Urquizu selbst charakterisiert. Auch wenn er keinen großen Einfluss habe, wolle er sich dafür einsetzen, Neuwahlen zu verhindern, sie würden den politischen Verdruss der Spanier nur vertiefen, warnt er.
    Spanien ist noch nicht am Rand des Abgrunds
    Aussichtslos ist dieses Bestreben nicht, glaubt Politologe Galindo. Er hofft, am Ende werden sich die Sozialisten mit den Konservativen einigen. Aber dafür sei die Situation noch nicht ernst genug:
    "Wenn wir erst mal vor dem Abgrund stehen und klar ist: Entweder enthalten sich die Sozialisten oder wir bekommen schon wieder Neuwahlen, dann werden ihre Wähler eine Enthaltung verstehen. Doch dafür müssen wir wirklich am Rande des Abgrunds stehen. So weit sind wir noch nicht. Aber gut, auch wenn ich es nicht für wahrscheinlich halte: Eine dritte Parlamentswahl würde ich auch nicht ausschließen."