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Spanische Garage-Punk Band Mourn
Laut und selbstbewusst

Mit 18 bzw. 15 starten Carla und Jazz mit billigem Equipment und drei Akkorden die Band Mourn: Knackige Songs, drängende Gitarren mit teilweise dissonant klingenden Intervallsprüngen, wütende Stimmen. Der Sound ist inzwischen differenzierter, die Lieder sind komplexer geworden - die Energie geblieben.

Von Anja Buchmann | 25.04.2021
    Drei Frauen liegen nebeneinander auf einer roten Decke. Die vordere Frau stützt ihren Kopf auf ihre Hand.
    Nahmen ihr Debüt-Album an einem Wochenende auf: Die Band Mourn. Carla Pérez, Leia Rodrigues, Jazz Rodríguez (v.l.n.r.) (Christian Colomer)
    Musik: "Gather, really"
    Sie kommen aus Katalonien, aus kleinen Orten an der Mittelmeerküste bei Barcelona: Carla, Jazz, Leia und Victor.
    Carla und Jazz, die beiden Bandleaderinnen, kennen sich schon seit ihrer Kindheit. Sie sind zusammen auf eine Kunstschule gegangen, wo sie sich gemeinsam gelangweilt haben, von Lehrern und Mitschülern genervt waren und so kurz entschlossen eine Band gründeten. Ziel: ihrem Alltagsfrust Ausdruck verleihen. Da ihre instrumentalen Kenntnisse noch ausbaufähig waren, begannen sie mit Punk und anderer Drei-Akkord-Rockmusik.

    Die Anfänge: drei Akkorde und los

    "Wir haben angefangen Songs zu spielen, die einfach waren, aber Spaß machten und wo wir uns ausdrücken und schreien konnten und wir konnten drei Akkorde spielen und etwas wirklich Cooles machen, einfach cool klingen. Und ich denke, dass Punk, was die Musik angeht, einfacher ist als andere Stile. Man kann also eine Gitarre in die Hand nehmen und irgendeinen Scheiß machen, der gut klingt."
    Und so war das ihr gemeinsamer Nenner – obwohl Carla auch heute sehr gern R‘n‘B hört: Zu Beginn ging es um Punk und Grunge, sie einigten sich auf Bands wie The Clash, PJ Harvey, Nirvana oder die Ramones.
    "Wenn man ein Solo-Projekt macht, und sehr unterschiedliche Musik mag, verschiedene Stile, dann nimmt man all das und transportiert es in die Songs. Aber als Gruppe muss man sich noch mehr auf etwas einigen, denn jeder von uns hört eine Menge Musik und es ist schwer, all das zu reflektieren, zu verbinden und die von mehreren Leuten geschriebenen Songs auf ein Album zu bringen. Die Verbindung zwischen Jazz und mir war zu dieser Zeit einfach Punkmusik und das machte Sinn."
    Musik: "You don‘t know me und Squirrel"
    "You don‘t know me" und "Squirrel": Zwei Songs aus ihrem Debutalbum, das schlicht so heißt wie die Band selbst: Mourn. Kurze, knackige Songs, großenteils unter zwei Minuten, drängende Gitarren mit teilweise dissonant klingenden Intervallsprüngen, aufgeregte, wütende Stimmen, ein im Tempo ab und anschwankendes Schlagzeug. Der Erfolg kam dennoch. Oder gerade deswegen. Vier junge Menschen, deutlich unter zwanzig, die mit Kraft und großem Willen an einem Wochenende ihre erste Platte aufgenommen hatten – einfach, weil Carla noch etwas Geld von ihrem Geburtstag übrighatte. Das Demo ihrer schnell eingespielten ersten Songs schickten sie an vier Labels in Barcelona, eines biss an und veröffentlichte das Album im Jahr 2014. Und dann ging es erst mal so weiter:

    Billige Gitarre, billiger Verstärker

    "Ich glaube, wir haben ungefähr vier Shows gespielt und ein Plattenlabel aus den Vereinigten Staaten hat sich für uns interessiert. Also fingen wir an, live zu spielen, sind durch Europa und die Staaten und Kanada getourt und bei meinen ersten Gigs hatte ich nicht mal ein Pedal, ich hatte eine Gitarre, eine billige Gitarre, einen billigen Klinkenstecker und einen billigen Verstärker und so haben wir ein Jahr lang gespielt. Als wir dann ein bisschen Geld vom Touren hatten, kauften wir unser Equipment. Und dann hatten wir Probleme mit der spanischen Plattenfirma und konnten ein Jahr lang nicht spielen. Es ging alles super schnell und wir wussten nicht wirklich, was los war. Wir haben viel gearbeitet und wir waren 18 und 15."
    Musik: "Dark Issues"
    Und für solch eine erste Teenie-Platte erkannte man immerhin schon das vorhandene Talent, das Wollen, die scheppernde, stürmische Energie. Teile der Themen, die mit Wut, Ablehnung von gesellschaftlichen Zwängen und Selbstfindung zu tun haben, sind auch heute noch wieder zu finden. Wenn auch aus einem anderen Blickwinkel. So etwa der Feminismus: War es im Debüt bei "Boys are Cunts" noch ein sehr persönlich geprägter, wütender Abwasch, so ist es in "Men" auf dem aktuellen Album "Self Worth" eine allgemeinere Sicht auf das Patriarchat.
    "Wir haben den Song "Boys are Cunts" nie live gespielt, weil wir ihn überhaupt nicht mögen. Wir haben ihn geschrieben, weil wir wütend waren. Ich glaube, es ging darum, wie mein erster Freund mich behandelt hat, so was in der Art. Und wir haben ihn geschrieben, weil wir verärgert und wütend waren. Ich habe das Gefühl, als wir "Men" komponiert haben, ging es mehr um Männer allgemein im Patriarchat. Wir haben nicht eine Person in den Vordergrund gestellt und gesagt, dass Jungs scheiße sind, weil Jungs wegen dieser Person so sind. Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir es offener sehen, globaler, und wir haben auch mit mehr Männern zu tun als früher. Es geht also mehr darum, in einer gewissen Distanz zu sein und zu beobachten und darüber zu schreiben, während es vorher, mehr so war wie: Ich bin wütend, ich will über dieses Arschloch schreiben, das mich wie Scheiße behandelt."
    Musik: "Boys Are Cunts / Men"
    Allein vom Klang der Aufnahme liegt ein großer Unterschied zwischen den Songs aus dem Debüt und Mourns aktuellem, vierten Album ‚Self Worth‘. Bereits auf ihrer zweiten Platte war der Sound besser, da sie sie mit mehr Zeit aufgenommen hatten und auf dem dritten, 2018 erschienenen "Sorpresa Family" deutete sich schon das an, was sie aktuell noch verfeinert haben: Ein differenzierter Gesamtsound, bei dem man einzelne Instrumente besser heraushört – und eine inzwischen komplexere Art des Songschreibens.
    "Wir wissen, wie wir arbeiten wollen und auch das Musikalische ist besser: Ich fühle mich wohler mit meinem Instrument und wie ich meine Gitarren klingen lassen will und all das. Anfangs habe ich einfach nur ausprobiert: OK, ich mag dies und vielleicht das, aber jetzt ist es so, dass ich die Musik mehr kenne, auch durch das Touren und es gibt mir wirklich das Gefühl: OK, ich will, dass das so klingt, dass mein Verstärker so und so eingestellt ist. Aber - wir waren 16 als wir unser Debut geschrieben haben, und jetzt sind wir 25, 24. Wir sind also in gewisser Weise reifer geworden. Wir konnten uns damals nicht die Zeit nehmen, den Sound von Gitarren und Bass genau einzustellen, wir haben es einfach schnell und billig gemacht und losgelegt. Heute denken wir mehr darüber nach, wie unsere Platte klingen soll, früher hätte ich nur gesagt: Ich will auf Tour gehen, lasst uns das aufnehmen."
    Musik: "Barcelona City Tour / Candle Man"
    "Ich denke, man kann wirklich unser Wachstum sehen, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Energie immer noch da ist, obwohl sie sich etwas weiterentwickelt und verändert hat - nicht ‚dunkel‘ aber irgendwie ....ja, reifer."
    Sagt Carla, Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin der spanischen Band Mourn. Vor ihrem letzten Album haben sie den Schlagzeuger gewechselt: Für Antonio kam Victor. Und wie es so ist in einem kleinen System, wie einer Band, ändert eine neue Person auch das Gesamtgefüge – nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich.
    Drei Frauen stehen engumschlungen nebeneinander. Das Bild ist rötlich eingefärbt.
    Mit Schlagzeuger (nicht im Bild) zum Quartett geworden: die spanische Band Mourn. (Christian Colomer)
    "Ja, es hat sich auf jeden Fall viel verändert, denn allein beim Jammen hatten wir das Gefühl, dass wir ein bisschen temporeicher und druckvoller spielen - und irgendwie mehr Hardcore sein wollten. Dieses Schlagzeugspiel hat alles noch verrückter gemach, es klingt einfach zu gut. Und er lächelt auch immer und macht Witze. Ich habe das Gefühl, dass sich die gesamte Stimmung in der Band durch ihn verändert hat und die Dynamik der Freundschaften hat sich auch verändert, weil wir jetzt viel entspannter sind. Und wenn wir an einem Sonntag nicht proben wollen, dann proben wir eben nicht. Wir stellen unsere mentale Gesundheit und uns selbst in den Vordergrund und drängen uns selbst nicht mehr dazu - ‚wir müssen proben, weil wir das tun müssen‘. Und ich glaube, das liegt daran, dass Victor in die Gruppe gekommen ist."
    Das Schlagzeugspiel des aktuellen Bandmitglieds ist auch handwerklich gereifter: Etwas druckvoller und knackiger als beim Vorgänger und technisch besser. So spielt Victor etwa schnelle 32tel-Passagen mit einer großen Leichtigkeit und Gleichmäßigkeit.
    Musik: "I‘m in trouble"
    Sieht man vom gerade gehörten Titel "I‘m in trouble" ab, so haben Mourn einige Songs auf "Self Worth", die sie mit zweistimmigem Gesang Vocals eröffnen und wo sie zumindest anfangs Tempo und Druck zurücknehmen, um es später doch wieder zu steigern. So etwa bei "This feeling is disgusting" über Zukunftsängste und Unsicherheit in einer unübersichtlichen Welt. Und das nachfolgende "The tree" walzert verhältnismäßig ruhig im 6/8 Takt vor sich hin.
    Musik: "This feeling is disgusting / The Tree"

    "Wir kämpfen um Geld und Lebensentscheidungen"

    "Wir kämpfen wirklich, wir kämpfen um Geld und wir kämpfen um Lebensentscheidungen, weil wir uns entschieden haben, in einer Band zu sein und vieles für uns nicht funktioniert. Als ob der Staat nicht will, dass Musiker einen richtigen Job haben. Das System ist so schräg. Es ist einfach ein prekärer Job."
    Nichts Neues, was Carla von Mourn da erzählt. Aber die Lebensrealität von Musikerinnen und Musikern, mit der auch ihre Band seit Jahren leben muss. Und zu Pandemie-Zeiten mit Auftrittsverbot noch mal mehr.
    "Wir sagen immer, es ist ein bisschen wie eine Achterbahn, weil du dich auf der Bühne so gut fühlst und all diese Emotionen hast und wenn du den Leuten sagst, du weißt nicht, wie du damit Geld verdienen kannst, erwidern sie nur: Ja, aber du machst diese wunderbare Erfahrung als Musikerin. Und ich sage: Ja, das tu ich. Und ich liebe es. Aber es ist nicht gut bezahlt. Wie lange werde ich so leben können, ohne einen zweiten Job zu haben und so... Naja, jetzt hat es sich sowieso sehr verändert, weil wir nicht mehr spielen, also versuchen wir, Jobs zu finden. Ich fühle mich nicht so, als wären wir Musiker. Auf keinen Fall. Weil es schon so lange her ist, seit wir auf der Bühne gestanden und gespielt haben."
    Den Kampf und die Unsicherheit ihres Lebens als Musikerinnen thematisieren die Songschreiberinnen Carla und Jazz explizit in ‚Worthy Mushroom‘: "I don’t have a real job, I’m not useful to the world, I shouldn’t be trying to prove my worth, I feel like I’m valid". Musikalisch hört man hier, wie die beiden Gitarristinnen und die sehr melodisch spielende Bassistin Leia ihre einzelnen Stimmen mehr ineinander verwoben haben – eine deutliche Weiterentwicklung im Vergleich zu den Anfängen, wo beide meist auf ähnliche Art die Akkorde gedroschen haben.
    Musik: "Worthy Mushroom"
    Für ihr aktuelles Album Platte, veröffentlicht 2020, haben Carla und Jazz zunächst in Barcelona begonnen zu schreiben. Meist tun sie das zusammen, ergänzen sich in ihren Ideen, spielen mit Gitarrenriffs, Textideen und Grooves. Aber irgendwie wollte es nicht so laufen. Also fuhren sie kurzentschlossen nach Frankreich, in ein kleines Häuschen in der Nähe der Pyrenäen, um dort weiter zu komponieren.

    Aktuelles Album "Self Worthy"

    "Wir haben dort vielleicht fünf oder sechs Songs angefangen und sie so aufgenommen, unsere Ideen im Computer gesammelt mit dem Audiosystem Pro Tools. Wir hatten eine Snare und eine andere Trommel dabei, ein Mikrofon und zwei Gitarren und dann haben wir uns einfach jeden Tag ein bisschen betrunken und viele Songs geschrieben. Es war so schön. Ich, würde gerne so leben."
    Zurück in Barcelona haben sie ihre Ideen und Songskizzen mit Leia und Victor geprobt, ergänzt und weiterentwickelt. Ein Stück, dessen Grundidee schon früh entstand, ist "Apathy". Carla wollte bei einem Song die Gitarren weglassen oder ihren Part zumindest begrenzen, Bass und Schlagzeug dominieren lassen und dazu rappen oder besser: Den Text ohne große Melodie rausschreien. Ein bisschen in der Art der US amerikanischen Hardcore-Punk-Band Fugazi.
    "Eines Tages haben wir diesen Text geschrieben, der super lang ist, aber wir wussten nicht, wie wir ihn vertonen sollten sollten. Also dachte ich mir: OK, dieser Song wird derjenige sein, bei dem wir eher sprechen und schreien, ohne ne große Melodie. Dann haben wir uns in unserem Proberaum hingesetzt und den ganzen Text aufgeteilt und daraus den Bass-Part und das Schlagzeug und dann das Riff auf der Gitarre entwickelt. Ich glaube, das war der erste Song, den wir für dieses Album aufgenommen haben. Und als wir es das erste Mal gespielt haben, den ganzen Song, haben wir angefangen zu lachen, weil wir das Gefühl hatten, dass es super ‚metal‘ ist und so. Und dann konnten wir es nicht einmal zu Ende spielen, wir haben gelacht und gesagt: wie, nehmen wir das wirklich auf? Das ist wirklich komisch. Aber jetzt glaube ich, dass es mein Lieblingssong auf dem Album ist. Oder zumindest einer meiner Lieblingssongs."
    Musik: "Apathy"
    Obwohl die Charts in vielen Ländern von Spielarten des R‘n‘B und Hip Hop angeführt werden: Die Verkäufe von Gitarren steigen und es gibt sie weiterhin, die Gitarren betonte Musik zwischen Punk, Garage und Indie-Rock. Und sie wird nicht nur von älteren männlichen Semestern gespielt, sondern auch von weiblich geprägten jungen Bands, wie oder Shirley Holmes in Deutschland, EMA oder Cherry Glazer in den USA oder Dream Wife in Großbritannien. Und eben: Mourn aus Barcelona.
    Wie es weitergehen wird für das Quartett? Carla jedenfalls mag nichts mehr zum Thema Corona hören, auch aus ganz persönlichen Gründen.
    "Ich habe meinen Vater vor einem Monat wegen Covid verloren, also... Ich hasse Covid so sehr, wirklich. Jedes Mal, wenn wir die Nachrichten sehen, denke ich: es ist so verrückt."
    Musik: "It‘s a frogs world"
    "Der Song ‚It‘s a frogs world‘ handelt davon, dass man ein Problem mit einer Person hat, aber nicht mit ihr reden will. Und man sagt einfach Dinge wie: oh, das Wetter ist heute schön oder so etwas in der Art.
    "Der Ausdruck "it's a frogs world" macht eigentlich gar keinen Sinn und genau deswegen wollten wir den Titel beibehalten"
    "Weil es sich anfühlt wie eine dieser Phrasen, die man drischt, um Probleme einfach zu ignorieren und sich nicht mit Leuten auseinanderzusetzen und zu reden."