Dirk Müller: Es war eine bizarre Szene, aber sehr bildhaft, sehr wirkungsvoll im Bayerischen Hof auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Benjamin Netanjahu betritt schwer bewacht über den Hinterausgang des Hotels die Rednerbühne, hält ein längliches Metallteil in die Luft. 'Erkennen Sie diese Drohne', sagt er, 'sie gehört Ihnen.' Diese Worte des israelischen Ministerpräsidenten zielen direkt auf den iranischen Außenminister Sarif ab, der zuvor den Konferenzsaal wohl verlassen hat. Gemurmel, Kopfschütteln, auch ein bisschen Hohn, ein bisschen Spott im Saal für diesen Auftritt.
Wenig später sitzt Sarif ganz entspannt auf einer Couch und diskutiert recht gut gelaunt mit Konferenzchef Wolfgang Ischinger und wischt alle Vorwürfe des israelischen Ministerpräsidenten bei Seite. Der Konflikt zwischen Israel und Iran verschärft sich wieder auf offener Bühne. Viele Beobachter sind fest davon überzeugt, die beiden könnten die nächsten direkten Kriegsgegner im Nahen Osten sein. Am Telefon ist nun Avi Primor, vormals israelischer Botschafter in Deutschland. Guten Morgen.
Avi Primor: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Primor, ist Teheran der Todfeind?
Primor: Teheran hat Interessen in Syrien und das ist für uns gefährlich. Die Frage ist, wer Teheran ist. Es gibt ja die Ayatollahs, die sind Feinde Israels, die wollen tatsächlich Israel vernichten. Das ist eine ideologische Sache für sie, eine religiöse Angelegenheit. Und es gibt die iranische Regierung und die iranischen Interessen, und die sind nicht unbedingt gegen Israel. Ich möchte Sie daran erinnern, zu Zeiten des Schahs waren wir sehr, ganz besonders eng mit dem Iran verbunden, weil wir gemeinsame Interessen haben, als die Religion sich nicht eingemischt hat. Also die Frage ist, in welche Richtung Teheran überhaupt geht, nicht nur in Bezug auf Israel.
Müller: Das ist die Frage an Sie. Wer wird sich dort durchsetzen?
Primor: Das weiß ich nicht. Aber wenn man sich die öffentliche Meinung in Iran anschaut, dann ist die eher zunehmend für Demokratie, für Kontakte mit dem Westen und gegen die Ayatollahs. Aber die Ayatollahs haben die Macht und die Waffen in der Hand.
"Die Öffentlichkeit interessiert sich nur für die Korruption"
Müller: Also ist das völlig kontraproduktiv, was Benjamin Netanjahu an diesem Wochenende in München aufgeführt hat?
Primor: Netanjahu spielt so eine Rolle, weil er nicht von den Sachen sprechen will, die die Israelis heute wirklich interessieren, und das sind die Korruptionsgeschichten Netanjahus. Es kommen immer neue Vorwürfe gegen Netanjahu in Sachen Korruption vor. Die Zeitungen sind damit voll. Die öffentliche Meinung interessiert sich nur noch dafür. Und er versucht natürlich, das abzulenken und von anderen Sachen zu sprechen. Das versteht jeder Israeli heute.
Müller: Nur ein Ablenkungsmanöver?
Primor: Nicht nur, aber zum Großteil. Er hat ja immer gegen den Iran gesprochen und das war immer ein Thema für ihn, aber heute ganz besonders, weil er wirklich Probleme zu Hause hat.
Müller: Jetzt werden ja viele sagen, gut, die innenpolitischen Probleme von Netanjahu interessieren nicht auf einem großen Sicherheitsforum in München, was ja doch eine gewisse Bedeutung auch für die internationale Politik hat. So klar und deutlich hat das kaum jemand zumindest bildhaft formuliert wie Benjamin Netanjahu. Das heißt, täuscht er sich, um Ihrer Lesart zu folgen, Herr Primor, dass die Spannungen zwischen den beiden Ländern tatsächlich so weit zugenommen haben, auch im Hintergrund – Sie haben den Syrien-Konflikt ja unter anderem auch erwähnt -, dass er kurz vor der Eskalation steht?
Primor: Schauen Sie, die Spannungen haben zugenommen aus einem bestimmten Grund, weil der Iran sich zunehmend in den Irak einmischt.
Müller: In Syrien!
Primor: In Syrien! Entschuldigung, in Syrien. – Die Frage ist natürlich, was die Syrer wirklich wollen. Was die Russen da wirklich anstreben, das ist auch nicht klar. Und sogar, was die anderen Nachbarn davon halten. Das ist nicht nur eine Frage von Israel. Aber in Israel wird das besonders gespürt, weil sie ja fast an unserer Grenze jetzt sitzen, und die Frage ist, was sie wirklich anstreben. Wie gesagt, es gibt die Ayatollahs mit ihrer Politik, und die führen die Armee und die führen die Streitkräfte und die führen auch die Einmischung in den Sachen des Nahen Ostens. Und es gibt die Regierung und die Interessen des Volkes. Wir wissen das nicht. Deshalb sind wir eben besorgt, weil wir es nicht wirklich verstehen, weil wir es nicht durchsehen können.
"Wir werden die Ayatollahs abschrecken müssen"
Müller: Aber Kriege führen ja die Armeen. Das heißt, die Mullahs, das Mullah-Regime ist doch der entscheidende Faktor im Iran mit Blick auf das Verhältnis zu Ihnen, zu Israel.
Primor: Ja, zweifellos. Zweifellos! Die Ayatollahs, die bestimmen diese Sache, obwohl es in Iran heute ganz andere Probleme gibt, besonders die wirtschaftlichen Probleme und gesellschaftliche Probleme. Aber die Ayatollahs haben andere Interessen und deshalb müssen wir ganz stark sein, und das tun wir auch. Wir werden die Ayatollahs abschrecken müssen. Das können wir auch. Wir haben genug Kraft dazu. Wir haben auch Atomwaffen, was die noch nicht haben, aber wir haben die, und wir haben die Unterstützung der Vereinten Nationen.
Müller: Das finden Sie auch nach wie vor notwendig und richtig, dass Sie nuklear drohen können?
Primor: Ja, natürlich! Deshalb haben wir auch U-Boote. Das ist der Grund der U-Boote, die wir in Deutschland bestellt haben und schon gekauft haben.
Müller: Haben Sie auch Zweifel am sehr umstrittenen Atomabkommen mit dem Iran?
Primor: Ich glaube, dass der Iran heute kein Interesse daran hat, mit dem Westen darüber zu streiten. Aber langfristig oder mittelfristig gesehen ist das natürlich ein Problem. Sie streben das an und sie sind ganz nah dran.
Müller: Wo sind sie nah dran? Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden?
Primor: Entschuldigung!
Müller: Wo sind sie nah dran, sagen Sie, Herr Primor? Wir haben über das Atomabkommen gesprochen.
"Teheran wird irgendwann weiterbauen an den Atomwaffen"
Primor: An Atomwaffen! – An Atomwaffen. – Sie sind ja nicht weit davon. Ihre Forschungsarbeit ist schon sehr fortschrittlich. Sie haben es gestoppt, weil sie jetzt ein vorübergehendes Interesse daran haben. Aber sie können das wieder aufnehmen, wann auch immer sie wollen. Das wissen wir und wir wissen, dass die Gefahr nicht weit entfernt von uns ist.
Müller: Das heißt, das ist nur Camouflage? Das ist nur eine vorübergehende Pause aus Ihrer Sicht?
Primor: Es ist keine Camouflage, aber eine vorübergehende Pause, ja.
Müller: Donald Trump könnte mit seiner Politik das Ganze jetzt in Frage stellen, beziehungsweise in der Konsequenz könnte das dazu führen, dass Teheran jetzt dann doch wieder weiterbaut?
Primor: Teheran wird irgendwann weiterbauen. Davon gehe ich aus. Natürlich werden sie weiterbauen. Heute haben sie kein Interesse daran, weil sie dringende Sachen vorhaben, dringendere Sachen, und deshalb werden sie es heute nicht tun. Aber sie haben die Option und sie werden das tun, wann auch immer es ihnen passt.
Müller: Liegt hier Benjamin Netanjahu mit seiner Einschätzung richtig, dass er sagt, dieses ganze Abkommen, das taugt nichts?
Primor: Ja. Die Frage ist nur, was das Interesse des Irans ist. Das wissen wir nicht. Will der Iran wirklich einen Streit mit Israel? Das verstehe ich persönlich nicht sehr gut, weil ich nicht sehe, was Iran davon zu gewinnen hat. Dass die Ayatollahs aus "ideologischen" Gründen so etwas wollen, das verstehe ich schon, aber der iranische Staat hat kein Interesse daran. Und ich wiederhole: Wir hatten in der Vergangenheit die engsten Beziehungen zum Iran, weil wir in Wirklichkeit gemeinsame Interessen haben und nicht gegenseitige Interessen. Die Frage ist, was unterscheidet das Interesse des Irans, des iranischen Staates, oder die Religion.
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