Freitag, 19. April 2024

Archiv

Sparmaßnahmen bei Tamedia
Sorge um die Pressevielfalt in der Schweiz

Der Verlag Tamedia plant den Abbau von Stellen bei seinen Zeitungen und begründet den Schritt mit Einbrüchen der Erlöse aus Werbe- und Abo-Einnahmen. Die Gewerkschaften sind alarmiert.

Von Thomas Wagner | 02.10.2017
    Abbildung "Tages Anzeiger" und "Berner Zeitung"
    Die Schweizer nennen ihn liebevoll „den Tagi.“ (dpa / Walter Bieri)
    Es ist angerichtet: Einheitsbrei in Form von Risotto, öffentlich ausgeteilt in der Innenstadt der Schweizer Bundeshauptstadt Bern: "Wir kamen auf die Idee mit dem Risotto deshalb, weil wir gehört haben, dass Tamedia sparen will. Und wir haben daraus ausgeschlossen, dass da so eine Art Einheitsbrei gemacht werden soll im ganzen Konzern: Überall die gleichen Sachen, die gleichen Inhalte. Und weil Brei schwierig ist, kamen wir auf die Idee mit dem Risotto," sagt Markus Dütschler.
    Markus Dütschler arbeitet, wie das in der Schweiz heißt, als 'Redaktor' bei der Tageszeitung "Der Bund" und bekleidet ein Vorstandsamt bei "Impressum", der Schweizerischen Journalistengewerkschaft. Dass Dütschler mit seinen Kollegen den Passanten 'Einheitsbrei' in Form von Risotto servierte, hat einen Grund: "Der Bund" gehört zur Verlagsgruppe Tamedia, ebenso die konkurrierende "Berner Zeitung". Beide erscheinen mit völlig unterschiedlichen Mantelteilen - noch. Denn das wird sich bald ändern.
    "Wir haben entschieden, dass wir mit Anfang 2018 eine neue gemeinsame Mantelredaktion schaffen werden, die die gesamte nationale und internationale Berichterstattung für diese Tageszeitung in der Deutschschweiz übernimmt," bestätigt Christoph Zimmer, Sprecher der Tamedia-Verlags-AG in Zürich. Will heißen: Eine einzige und nicht wie bisher zwei Zentralredaktionen werden die überregionalen Seiten der Tamedia-Titel in der Deutsch-Schweiz mit Nachrichten, Reportagen und Artikeln bestücken. Was dann nach Lesart der Journalistengewerkschaft als "Einheitsbrei" daherkommen wird, ist aus Sicht des Verlages eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit.
    Mantelredaktion für Synergie-Effekte
    Christoph Zimmer: "Wir haben alleine im vergangenen Jahr alleine bei Tamedia 56 Millionen Franken an Werbeumsatz verloren, hauptsächlich in der gedruckten Zeitung. Das heißt: Die Rahmenbedingungen sind schwierig und werden es auch bleiben. Wir müssen uns jetzt die Frage stellen: Wir können wir mit deutlich weniger Einnahmen aus der Werbung in drei, fünf oder zehn Jahren immer noch gute Zeitungen machen?"
    Die Antwort: Mit einer gemeinsamen zentralen Mantelredaktion für alle zwölf Titel, mit der sich entsprechend Synergieeffekte nutzen ließen. Zwar verspricht Tammedia-Sprecher Christoph Zimmer: "Wir wollen diesen ganzen Umbau ohne Kündigungen in den letzten Monaten bewerkstelligen, ergänzt dann aber Augenblicke später: "Wir werden in Zukunft nicht mehr jede Stelle besetzen wollen, die frei wird. Das wird uns helfen, auch."
    "Du bischt jo im News-Room, d’Stimmig - hat sich die verschlächteret? In dere Stimmung ischt das halt gefährlich, dass do d’Angsct und d‘Unsicherheit noch vergrößert."
    Schlechte Stimmung, Angst, Unsicherheit: Andrea Fischer und Benno Schmidt, zwei Redaktoren des "Tagesanzeigers", im Gespräch miteinander. Beide gehören der Personalvertretung dieser ältesten Schweizer Tageszeitung an, die als Flaggschiff der Tamedia AG gilt: "Die Frage wird sein, ob nicht unter den Journalisten ein Kampf losgeht, wer da langfristig überlebt. Davor fürchte ich mich."
    Und die Furcht, die Andrea Fischer hat, ist nicht unbegründet. Denn: "Die Arbeitnehmervertretung in der Schweiz, die ist nicht so wie in anderen Ländern der EU, wie in Deutschland: Es gibt keine gesetzlich verankerte Mitbestimmung."
    Zwei Zeitungen - ein Inhalt
    Wer von den bisherigen Mantel-Redaktoren darf bleiben, wer muss weichen, sein Ressort verlassen? Solche bangen Fragen innerhalb der Tamedia-Belegschaft sind das eine, die Sorge um den Erhalt der publizistischen Vielfalt das andere. Beispiel Bern: Obwohl sowohl "Bund" als auch "Berner Zeitung" vom gleichen Verlagshaus, nämlich von Tamedia, herausgeben wurden, habe inhaltlich stets ein lebendiger Wettbewerb geherrscht, so "Bund"-Redaktor Markus Dürtschler: "Der Wettbewerb ist tatsächlich groß: Die Leute fragen uns manchmal. Wisst Ihr nicht, was in der BZ steht? Dann sagen wir: 'Nein, wissen wir nicht – das wissen wir, wenn wir morgen die BZ aufschlagen. Und die BZ Leute schlagen den BUND auf und sagen. Mist - die haben was, was wir nicht haben. Der Wettbewerb spielt gut'."
    Allerdings nur noch bis zum Jahreswechsel, dann erscheinen beide Zeitungen mit denselben überregionalen Inhalten: Schluss mit Lustig in Sachen Themen-Konkurrenz. Das bedeutet aber auch: Ausgerechnet in der Schweizer Hauptstadt wird es zukünftig nur noch eine einziges überregionales Tageszeitungsangebot geben, mit zwei unterschiedlichen Etiketten: "Für einen großen Kanton wie Bern ist es doch ein Armutszeugnis, wenn da nur noch eine gedruckte Meinung publiziert wird. Die Hauptstadtregion nennt sich das ja stolz. Das ist ja eine totale Unterversorgung. Und die BZ und der Bund haben sich deutlich unterschieden. Die Leute haben das schon gespürt."
    Kein Wunder, dass "Impressum", die Schweizer Journalistengewerkschaft, weiter Druck machen will gegen die Vereinheitlichungs-Strategie von Tamedia. Sprecher Urs Thalmann stellt klar: "Wir glauben aber schon, dass der Druck, auch der politische Druck eine politische Wirksamkeit haben kann, einfach darum, weil auch Tamedia in der Politik Interessen verfolg und nicht als 'Bad-Guy' dastehen will. Das heißt: Es gibt durchaus noch Möglichkeiten, das Steuer in eine etwas bessere Richtung zu wenden."