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Sparpaket für das Gesundheitswesen

Spengler: Die Bundesgesundheitsministerin - die Bundesministerin für Gesundheit und soziale Sicherung heißt es neuerdings - hat mir ihrem jetzt vorgestellten 3,5 Milliarden Euro schweren Eilsparpaket für das Gesundheitswesen eine wahre Protestlawine ausgelöst. Ob nun Opposition, Gewerkschaften, Pharmaindustrie, Kliniken, Ärzte, ob gesetzliche oder private Krankenkassen, alle üben Kritik an den Plänen von Ulla Schmidt. Guten Morgen, Frau Schmidt.

    Schmidt: Guten Morgen.

    Spengler: Frau Schmidt, Sie scheinen nach Ihren ersten eineinhalb Jahren, in denen man Ihnen vorgeworfen hat, keine Konzepte zu haben und es sich mit keinem verderben zu wollen, nun nach dem Motto handeln zu wollen: Viel Feind, viel Ehr. Haben Sie mit dem Kurswechsel extra so lange bis nach der Wahl gewartet - die Pläne müssen ja schon länger in den Schubladen gelegen haben -, weil sie die Reaktionen der Lobbies geahnt haben?

    Schmidt: Nein, darum geht es gar nicht. Erstens habe ich in den eineinhalb Jahren, in denen ich Ministerin war, eine ganze Menge an Gesetzen auf den Weg gebracht. Ich erinnere nur an die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung, die ab dem kommenden Jahr startet, an die Approbationsordnung, die ja 25 Jahre nicht geändert war und auch nirgendwo eine Mehrheit fand, Risikostrukturausgleich, Chronikerprogramme, Wohnortprinzip Ost. Also, eine ganze Menge an Reformen, und jetzt geht es darum, dass wir im kommenden Jahr weitere wichtige Reformschritte einleiten, und dazu braucht man ein bisschen Luft. Die Einnahmen sind in der zweiten Hälfte des Jahres überall eingebrochen, weil das Wirtschaftswachstum geringer ist. Viel geringer als prognostiziert, weil offensichtlich die Tariferhöhungen mit freiwilligen Zuleistungen gegengerechnet wurden. Wir haben im Banken-Versicherungsgewerbe eine Krise, und da sind viel mehr Höherverdienende, die auch arbeitslos geworden sind, und darauf ist das Sparpaket eine Reaktion.

    Spengler: Sie sagten, Sie brauchen Luft. Die Luft soll Ihnen ja dieses Sparpaket, dieses Vorschaltgesetz verschaffen. Mit diesem Vorschaltgesetz bitten Sie im Grunde alle zur Kasse, zum Beispiel die Krankenkassen selbst, die ihre Beiträge ab 1. Januar nicht mehr anheben sollen. Was ist denn nun, wenn die Kassen noch vor dem ersten Januar Beiträge erhöhen, wie es jetzt schon Meldungen nahe legen. Angeblich wollen die sich am Wochenende treffen.

    Schmidt: Es ist wie überall in diesem System: Sehen Sie, jeder einzelne von denen, die heute schreien, die akzeptieren 95 Prozent des Sparpaketes, sofern es sie nicht selber betrifft. Und immer der Teil, den es selber betrifft, das ist des Teufels, wenn man die Debatten hört. Die Kassen sollen im kommenden Jahr das, was an Einsparmaßnahmen auf den Weg kommt eben bei ihrer Planung mit berücksichtigen. Es gibt nirgendwo einen Dirigismus in diesem Gesetz, sondern auch bei den Kassen wird gesagt: Die Kassen sollen eben die Beitragssätze stabilisieren – das ist das Ziel des Gesetzes – und nur dann anheben, wenn ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist oder wenn unerwartete Dinge kommen, die auch finanziert werden müssen. Da gibt es ganz komplizierte Rechnungsverfahren. Ich glaube, das man das auch von Krankenkassen erwarten kann, dass, wenn es diese Einsparvolumina gibt, das sie das berücksichtigen und dass sie nur dann auch anheben, wenn es nicht anders geht.

    Spengler: Frau Schmidt, aber Sie als Ministerin haben keine Mittel, die Kassen zur Räson zu rufen, wenn sie sich nicht daran halten.

    Schmidt: Ich kann das ja auch nur per Gesetz sagen. Es gibt Aufsichten. Bei der bundesweiten Aufsicht, den bundesweiten Kassen ist es das Bundesversicherungsamt, bei den regionalen Kassen ist es immer die jeweilige Länderaufsicht, und da kann ich auch nicht einschreiten. Aber ich kann doch per Gesetz vorgeben, dass man sagt: Hier wollen wir die und die Volumina einsparen. Wir wollen, dass wir im Prinzip mit dem gleichen Geld auskommen wie in 2002. Das sind 140 Milliarden Euro. Das ist ja immerhin nicht so, als hätten wir nichts ausgegeben. Die Kassen sollen dann sagen: Wir berücksichtigen, wir rechnen dies in unsere Haushaltspläne mit ein. Und wenn sich dann ergibt, dass eine Kasse nicht leistungsfähig ist, das sie nicht zahlen könnte, dann muss sie die Beiträge anheben, aber mein Ziel dieses Pakets ist doch nicht, mich mit allen zu streiten, sondern mein Ziel ist es, die Lohnnebenkosten so gering wie möglich zu halten, damit wir wieder mehr Wirtschaftswachstum haben und damit auch wieder mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.

    Spengler: Aber ich habe Sie recht verstanden: Strafmaßnahmen oder Sanktionsmöglichkeiten haben Sie nicht?

    Schmidt: Nein, die hat man nicht, sondern die hat die jeweilige Aufsicht, und deshalb kann in so einem C-Gesetz stehen: Wir wollen die Beitragssätze stabilisieren. Was die Kassen beispielsweise nicht dürfen: Sie dürfen keine Kredite aufnehmen. Wenn dies der einzige Weg wäre, ihre Leistungen zu bezahlen, dann müssen sie anheben, aber ich möchte, dass das Sparpaket in der Haushaltsplanung mit berücksichtigt wird und man nicht sagt, wir heben die Beiträge an und dann gucken wir mal, wie es weitergeht, sondern alle sollen wirklich mit dem Ziel hingehen und mal gucken, wo Wirtschaftlichkeitsreserven sind und wie man die erschließen kann. Bei den Kassen kommt hinzu, dass ich sage: Die sollen auch bei ihren Verwaltungsausgaben mit dem auskommen, was sie 2002 ausgegeben haben. Auch das halte ich für eine Maßnahme, die man per Gesetz auch einmal festhalten kann.

    Spengler: Das wäre ja vernünftig. Hoffen wir, dass sie sich daran halten. Wenn sie sich nun daran halten, wie können Sie denn garantieren, oder besser, können Sie dann überhaupt garantieren, dass zum Beispiel die Ärzte wirklich selbst sparsamer sind, also an ihrem Honorar sparen und nicht, wie sie es schon angekündigt haben, an der Einstellung von Schwestern, von Sprechstundenhilfen, und damit ja letztendlich an Patienten, der dann länger warten muss, der schlechter behandelt oder versorgt wird?

    Schmidt: Ein guter Arzt und auch eine gute Ärztin wird das auch im nächsten Jahr nicht tun. Und das ist die Mehrzahl. Das will ich einmal sagen. Man muss auch einmal runterbrechen: Worum geht es? Sie haben ein Geschrei, als würde ab dem kommenden Jahr die Welt einbrechen, und ich sage Ihnen mal, was eingespart werden soll: Im Westen hätten alle Anspruch auf 0,8 Prozent Erhöhung. Das ist gesetzlich festgelegt. Das ist immer die Grundlohnsummensteigerung. Und für die einzelne Arztpraxis bedeutet es im kommenden Jahr keine Mark und keinen Euro weniger als in diesem Jahr, sondern dass man im Monat auf im Schnitt 158 Euro Zuwachs verzichten muss. Und wer mir sagt, weil er als einzelner Arzt oder Ärztin auf im Schnitt 158 Euro Zuwachs verzichten muss, könnte die Versorgung der Patienten und Patientinnen nicht mehr gewährleistet sein, da muss ich mich ernsthaft fragen, wie denn deren Versorgung der Patienten und Patientinnen in diesem Jahr aussieht. Ich glaube, wir müssen immer mal die Kirche im Dorf lassen, bei dem was für das kommende Jahr geplant ist.

    Spengler: Eine Reformmaßnahme, die direkt greifen soll, ist, dass Sie Gutverdienende in den gesetzlichen Kassen halten wollen, indem sie die Pflichtgrenze für die Krankenversicherung von 3375 auf 3825 Euro anheben, also um fast 500 Euro. Das soll schon Ende nächster Woche gelten. Ist da rechtlich eigentlich zulässig, dass man das so kurzfristig macht? Was gilt denn, wenn jemand zum Beispiel Anfang kommender Woche einen Vertrag über eine private Versicherung abschließt, die dann erst zum Jahresbeginn in Kraft tritt?

    Schmidt: Alle die, die private Versicherungsverträge haben, sind ausgenommen. Man hat immer Ausnahmeregelungen.

    Spengler: Und die, die das jetzt unmittelbar vorher machen wollen?

    Schmidt: Die können das ja machen. Dann sollen sie einen Vertrag abschließen, weil wir gesagt haben: Verträge, die geschlossen sind, die werden ausgenommen. Ich sag noch einmal eins: Es geht auch hier darum, dass diejenigen, die etwas mehr verdienen, nicht mehr Beiträge zahlen. Ich erhöhe nämlich nicht die Beitragsbemessungsgrenze, sondern nur die Grenze, ab wann ein einzelner in die private Krankenkasse übertreten kann. Und diese 400 Euro, um die es hier geht – nicht mal ganz, es sind 375 Euro mehr im Monat -, die haben auch etwas damit zu tun, dass in den letzten Jahren sehr viele, die etwas mehr verdienten, in die private Versicherung abgewandert sind, wenn sie jung und gesund sind. Alle diejenigen, die Risiken und Vorerkrankungen haben, die Kinder oder Familie haben, also auch Ehefrauen und Ehemänner, die nicht erwerbstätig sind, bleiben in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich muss dafür sorgen, dass die Einnahmebasis auch erhalten bleibt. Diese Anhebung geschieht ja im Zuge der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. Die Versichertenpflichtgrenze bei der Krankenversicherung sind immer 75 Prozent des Rentenversicherungsniveaus.

    Spengler: Aber, ich meine, dass es nur Gutverdienende sind, die sich in den privaten Kassen befinden, das hat natürlich auch der Gesetzgeber zu verantworten. Trügt der Eindruck, dass Sie selbst kein großer Freund der privaten Krankenversicherung sind?

    Schmidt: Nein, das ist nicht wahr. Ich sehe die besondere Funktion, auch der privaten Krankenversicherungen. Nur, alle Selbstständigen sind überhaupt nicht versicherungspflichtig. Die Beamten und Beamtinnen sind alle nicht versicherungspflichtig. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind alle privat versichert.

    Spengler: Wäre das nicht konsequent, da mal ranzugehen?

    Schmidt: Ja, das ist das Beamtenrecht, und sehen Sie mal, angesichts des Geschreis, das wir jetzt haben, mache ich mir wenig Illusionen, dass ich irgendwo einmal eine Zweidrittel-Mehrheit bekomme, um in nächsten Zeit das Beamtenrecht zu reformieren, und man sollte immer auch in der Politik das machen, was zumindest absehbar machbar erscheint, und sich nicht in Dingen verkämpfen, wo ich überhaupt keine Zweitdrittel-Mehrheit erreichen kann, denn ich brauche ja eine Grundgesetzänderung dafür. Richtig wäre mit Sicherheit, dass man langfristig zu einem Versicherungssystem kommt, wo im Grunde genommen auch alle in einer oder in der gesetzlichen Krankenversicherung wären, mit den Ausnahmeregelungen, die wir heute haben.

    Spengler: Frau Schmidt, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie tatsächlich die Grenze, nach der der Versicherungsbeitrag bemessen wird, nicht steigen lassen wollen. Bleibt das auch im nächsten Jahr so?

    Schmidt: Ja, ich habe das immer gesagt. Wenn Sie heute einen freiwillig Versicherten haben bei der Beitragsbemessungsgrenze, die derzeit bei 3375 Euro liegt und die im Zuge der Grundlohnsummensteigerung auf 3450 Euro – der Inflationsausgleich wird ja Jahr für Jahr immer eingerechnet – ansteigen wird, dann finde ich, ist das bei im Schnitt 550 Euro Beitrag ein ausreichender Beitrag, und wenn der höher wird, dann ist das nicht mehr wettbewerbsfähig und auch nicht mehr konkurrenzfähig zur privaten Krankenversicherung. Das Zweite ist: In der gesetzlichen Krankenversicherung ist ja egal, wie viel Sie einzahlen. Das Prinzip ist: Jeder und jede erhält die gleiche Leistung, egal wie hoch der Beitrag ist, egal ob überhaupt Beiträge gezahlt werden, wie zum Beispiel für beitragsfreimitversicherte Familienangehörige, und da hat die Beitragsbemessungsgrenze eine Schmerzgrenze, Ich möchte nicht, dass wir da zu weit drübergehen. Das habe ich immer gesagt und deshalb wird die Beitragsbemessungsgrenze abgekoppelt. Sie bleibt auf dem jetzigen Niveau.

    Spengler: Frau Schmidt, kurze Frage zum Schluss: Verstehen Sie, dass, angesichts der vielen Änderungen im Vergleich vor der Wahl und nach der Wahl, zum Beispiel die Rentenversicherungsbeiträge, die nun doch steigen, sich die Bürger hinter das Licht geführt fühlen?

    Schmidt: Aber man ist nicht hinter das Licht geführt, sondern Sie können mit allen reden. Ich habe in dieser Woche auch mit den Rentenversicherungen und mit anderen geredet. Alle haben darauf gehofft, dass in der zweiten Jahreshälfte die Einnahmen wieder ansteigen. Wir hatten im Schnitt Tariferhöhungen von über 3 Prozent. Es gibt Weihnachtsgeld, es gibt Urlaubsgeld, und man stellt in diesem Jahr fest, dass sich zum Beispiel auch die Zahlungen von Urlaubsgeld nicht ausgewirkt haben, wie in allen anderen Jahren. Man hat festgestellt, dass eben offensichtlich viele Tariferhöhungen mit freiwilligen Zulagen verrechnet wurden. Es hat auch das Instrument der Betriebsrenten gegeben, dass also Entgeld in den Tarifverträgen umgewandelt wird. Das wirkt sich immer negativ auf die Beitragsseite aus. Und alle haben gehofft, durch diese zusätzliche Einnahmen erholt es sich in der zweiten Jahreshälfte. Das ist nicht der Fall: Die Konjunktur ist weiter schlecht, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Meine Aufgabe ist es doch, so dagegen zu steuern, dass ich die Beiträge so wenig wie möglich erhöhe, aber dass beide Systeme leistungsfähig sind, und ich glaube, das, was ich hier vorgelegt habe, auch mit dem Sparpaket, macht überall Ausnahmen, wo es wirklich auch um Strukturveränderungen geht.

    Spengler: Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch. Das war die Bundesministerin für Gesundheit und soziale Sicherung, Ulla Schmidt.