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Spaß verstehen
Warum wir lachen und Humor entwickeln

Ohne Spaß, Witz, Komik wäre das Leben nur halb so schön. Humor hilft uns, den Widrigkeiten des Alltags zu trotzen, sie in einem anderen Licht zu sehen. Aber warum lachen wir eigentlich und was macht eine Geschichte komisch? Eine Vorlesungsreihe an der Gutenberg-Universität Mainz hat den Humor untersucht.

Von Eva-Maria Götz | 12.12.2019
Zwei Frauen sitzen nebeneinander und schütten sich aus vor Lachen.
Miteinander lachen ist gut für das gesellschaftliche Klima (imago images / Westend61)
"Also es war der erste Tag, als ich in Goma ankam, ich saß im Kreise meiner Gastfamilie, in der improvisierten Bar in der Autowerkstatt im Kreise vieler Freunde, und mit einem Mal kam es zu einem großen Rums," erzählt Dr. Silke Oldenburg, Ethnologin an der Uni Basel.
"Und in diesem Moment passierten einfach viele Dinge auf einmal für mich: Leute sprangen von ihren Stühlen auf, ein Glas Bier wurde auf den Tisch geschmettert, es wurde mit aufgerissenen Augen geschaut, was passiert war, und viele fingen einfach sehr hysterisch an zu lachen."
Es war kein Anschlag, kein Attentat und keine Explosion, was im Kongo nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Es war ganz einfach die schwere Tür der Autowerkstatt, die durch einen Windstoß mit einem lauten Knall zugefallen war.
Strategien, um sich im Alltag zu behaupten
"Das quasi Alarmbereitschaft, und Lachen, Angst, und danach die Scham, vor so einem normalen Geräusch zusammengezuckt zu haben, quasi widergespiegelt, was der Konfliktkontext im Alltag der Leute bedeutet. Immer auf der Hut zu sein, immer Alarmbereit zu sein. Und dass Humor eine Art ist, das weg zu lachen."
Seit rund 11 Jahren untersucht Silke Oldenburg nun, welche Strategien die Menschen im Ostkongo entwickelt haben, um sich in einem von Terror, Krieg, Korruption und Naturkatastrophen dominierten Alltag zu behaupten.
"Also das "sich-wiedererkennen" ist für uns komisch. Das Entdecken der Wahrheit hinter dem Verrückten, das ist für uns komisch", meint auch Stefan Denzer, Chef des Kleinkunsttheaters "Mainzer Unterhaus", und als langjähriger Abteilungsleiter der Erfinder vieler Comedyformate im ZDF.
"Hinter Comedy befindet sich oft mal ein Stück Wahrheit, ein Stück Schmerz, aber das darüber lachen ist das Begreifen und Erkennen von diesem Schmerz, und das schafft die Befreiung.
Lachen statt weinen
"Das Lachen ist ähnlich wie das Weinen ein Grenzphänomen, eine Reaktion auf eine Grenzlage, wo wir mit unseren Begriffen und Erwartungen an eine Grenze kommen und mit den üblichen Mitteln nicht mehr fertig werden mit der Situation. Das Lachen ist sozusagen so eine Fortsetzung des Bemühens mit unserer Lebenswelt fertig zu werden und zwar genau in dem Moment, wo wir eigentlich kurz davor sind zu scheitern oder wo wir schon gescheitert sind. Und wo wir sagen müssen: entweder ist das jetzt zum Weinen oder es ist zum Lachen."
Fasst Uwe Wirth, Professor für Neuere Deutsche Literatur- und Kulturwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen die Definition des Lachens zusammen, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Philosophen und Soziologen Helmuth Plessner entwickelt wurde. Der wiederum bezog sich auf Theorien von Arthur Schopenhauer, für den das Komische das Ergebnis davon war, dass zwei parallele Wahrnehmungen nicht zueinander passen.
"Und das nennt er: Inkongruenz. Also die Überraschung, die Seltsamkeit, dass etwas nicht in unser Schema der Interpretation passt."
Schmerz, Scham, Scheitern- es sind nicht unbedingt lustige Geschichten, die den Mainzer Referenten als erstes einfallen, wenn sie die theoretischen Grundlagen von "Spaß" analysieren. Auch Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik am Psychologischen Institut der Universität Zürich, ist sehr skeptisch, wenn es darum geht, Spaß, Satire, Komik und Witz unter einem Begriff zusammenfassen und das Ganze dann "Humor" zu nennen.
Begriff aus der Antike
"Jemandem einen rührenden, gutmütigen Witz zu erzählen, ist eben was anderes, als jemanden mit sehr pointierten, spitzen Worten vom Sockel zu holen und wenn man das nicht unterscheidet, dann gibt es keine kumulative Forschung, wir können mit unseren Forschungsergebnissen nicht aufeinander aufbauen, weil wenn ich sage: Humor ist gesund, dann muss man sagen, das betrifft bestimmte Arten von Komik, aber sicher nicht Spott oder Satire."
Schon die Ursprünge des Wortes liegen nicht im Komischen, Humor bedeutet ganz einfach "Feuchtigkeit" und war in der Antike ein Fachbegriff für eine den Charakter bestimmende Körperflüssigkeit:
"Es gab ja diese Körperflüssigkeiten, von denen man gedacht hat, deren Mischung macht den Menschen aus, also Galle, Blut und Schleim, da dachte man, die Mischung macht aus, wie wir aussehen, welche Krankheiten wir bekommen werden, das war eine frühe medizinische Theorie, da wäre Humor ganz weit entfernt von dem, was wir heute meinen."
Der entscheidende Wandel des Begriffs kam erst im England des 17. Jahrhunderts.
"Ein Humorist war damals jemand, den man auslacht, weil einer der Körpersäfte halt zu dominant ist und die Leute dann eben geistige oder körperliche Abweichungen gezeigt haben. "A man of humor" wäre jemand, der den gut parodieren kann, so dass Leute darüber lachen. Und da war Humor mehr oder weniger bald eine Begabung."
Seit der Zeit des Humanismus wurden dem Humor dann immer mehr tugendhafte Eigenschaften zugeschrieben.
"Also zum Beispiel darf ich nicht Untergebene auslachen, aber wohl die Obrigkeit, also Politiker, die Kirche."
Kann man Humor lernen?
Siegmund Freud war es schließlich, der Humor als den Mechanismus sah, der uns hilft, das Leben zu bewältigen. Bei Freud dient Humor der Abwehr von Konflikten, das Lachen der Entladung von psychologischen Spannungen und komisch sind Situationen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht stimmt. Aber was ist, wenn man diese Begabung zum Humor nicht hat? Kann man das erlernen?
"Wir gehen nicht davon aus, dass man Humor lernen muss, weil den kann man schon. Jedes Kind spielt und Humor und Witze sind ja ein Spielen mit Ideen, und jedes Kind innerhalb seiner Entwicklung wird Humor zeigen. Dann ist halt so, wenn man in die Schule kommt, wenn man zur Arbeit geht, wenn einzelne Schicksalsschläge kommen, da wird man graduell ernster-"
In den Trainings, die Willibald Ruch an seinem Institut anbietet, geht es also darum, das Kind in sich wiederzuentdecken.
"Dann geht’s zu Komik, auch unfreiwillige Komik entdecken, im Alltag. Ein paar Tricks mit Übertreibung, Untertreibung, wie kann ich komische Effekte erzielen? Zu den sonst eher schwierigen Dingen: wie über die Dinge zu lachen, die einem sonst eher peinlich sind. Missgeschicke, die einem passiert sind oder irgendwas am Körper, was einem nicht so behagt. Die Scham zu überwinden und auch über diese Dinge langsam Lachen zu lernen.
Witze über Massengräber
Der letzte Schritt ist dann: "Humor einzusetzen in schwierigen Situationen, so wenn Stress aufkommt, versuchen, eine heitere Sicht auf die Dinge zu bewahren."
Auch im Kongo dient Lachen als Ventil, als Möglichkeit, sein Leben zu ordnen, Ungewissheit in den Alltag zu integrieren, und trotzdem eine Perspektive zu entwickeln, meint die Basler Ethnologin Silke Oldenburg. Denn viele Dinge, wie zum Beispiel die überall vorhandenen Massengräber für die zahlreichen Opfer von Massakern, sind so schrecklich, dass sie nur noch zu ertragen sind, wenn man darüber lacht. Auch über Massengräber gibt es Witze.
"Es kam eine Entwicklungsagentur in ein Pygmäendorf." - Schon der Begriff "Pygmäen" ist ein sehr negativer Ausdruck aus der Kolonialzeit, eigentlich heißt das überwiegend kleinwüchsige Volk nach seiner Eigenbenennung "Batua". - "Es kam eine Entwicklungsagentur in ein Pygmäendorf und wollte deren Sanitärsystem verbessern, es wurden Latrinen ausgehoben, in der Nähe des Waldes, und nachdem die Entwicklungshelfer die Arbeit beendet hatten, kommen die Pygmäen wieder zurück und schauen, was passiert ist, und dann fangen sie an zu schreien und laufen weg, und ich erinnere mich genau wie meine Freund, der mir diesen Witz das erste Mal erzählte, dann schon anfing zu kichern und zu beben und er fragte: Weißt du warum? Weißt Du warum? Und dann brach es aus ihm raus: Ja, die Pygmäen dachten, dass die Latrinen eben Massengräber seien."
Einen Horizont, über das Unaussprechliche zu reden
Galgenhumor ist wohl die treffende Bezeichnung für diese Art "Witz", der vieles auf die Schippe nimmt: die angenommene Rückständigkeit der Pygmäen beziehungsweise Batua, die Ineffektivität von Entwicklungsagenturen , deren Projekte an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen und den anhaltenden Schrecken der Vergangenheit, denn für alle ist klar: es gibt Massengräber und es gibt überall Tote.
"Und diese Art von Witzen, die wird halt vor allem von Leuten verwendet, die halt den selben Wissensvorrat teilen, also der Massengrabwitz zieht halt nur für diejenigen, die genau wissen, worum es geht, das eröffnet einen Horizont, über das Unaussprechliche zu reden, und schafft damit einen gleichen Interpretationsrahmen, könnte man sagen."
"Vor einigen Jahren konnte man sich in Deutschland als Kabarettist immer noch sehr sicher sein, wenn man einfach gegen die Konventionen, gegen das bürgerliche Lager schießt, dann ist das ausreichend und gut und das hat man auch oft getan.
Und im Grunde ist auch noch richtig: Kabarett ist immer die Klage der kleinen Leute gegen die großen Leute", sagt der Erfinder der "Heute Show", der Kabarettist und Theaterleiter Stephan Denzer.
"Die Schwierigkeit ist nur, dass sich die Welt so verändert hat und die Fragen so komplex geworden sind, dass Sie als Satiriker nicht mehr nur mit einer politischen Ideologie antworten können. Ein Grundmerkmal der Satire ist ja die Überzeichnung, die Übertreibung, und wenn man sieht, was in Amerika politisch grade passiert, wenn eben ein Präsident im Amt ist, der die Übertreibung schon in sich, in seiner Persönlichkeit trägt, dann können Satiriker das nicht nochmal einfach überhöhen. Sondern sie machen es, in dem sie erst einmal einfach die Realität abbilden und die stehen lassen.
Miteinander Lachen ist gut fürs gesellschaftliche Klima
Egal, ob im Kongo, in den USA oder bei uns- Böser Witz, Satire und damit das Lachen über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, wird vielleicht nicht die Welt verändern, kann aber eine integrative Kraft haben, meint denn auch der Kulturwissenschaftler Uwe Wirth. Die Voraussetzung, so wie sie der russische Kunsttheoretiker Michail Bachtin beschrieben hat, ist allerdings, dass man nicht übereinander, sondern miteinander lacht,
"Es gibt ein karnevaleskes, gemeinsames Lachen, das als Lachen integrierend wirkt. Und seine Idee ist, dass sich das aus der mittelalterlichen Karnevalstradition ableitet, wo das gesamte Gesellschaftssystem für die Karnevalszeit auf den Kopf gestellt wird, und wo die gesamte Hierarchie nivelliert wird und Menschen gemeinsam lachen, übereinander, aber auch über die Ordnung, ein überpersönliches Lachen, und dann irgendwann, natürlich durch die Kirche kontrolliert und sanktioniert, ist die Karnevalszeit vorbei und dann werden alle wieder ernst."
Und das funktioniert auch, wenn Fremdes aufeinanderstößt und die Gefahr wächst., dass man über den anderen lacht, weil der Fehler macht, weil er anders ist, weil er Ängste heraufbeschwört, Ein Perspektivwechsel- und der Bann kann brechen, wie bei dem türkisch-pfälzischen Komiker Bülent Ceylan.
"Worüber lachen wir jetzt eigentlich? Lachen wir über jemanden, der sich nicht richtig anpassen kann? Oder lachen wir womöglich über den Begriff der Integration als solchen? Also verlachen wir ein Prinzip? Dann kämen wir eigentlich wieder an einen Punkt wie beim Karneval, wo wir über die Gesellschaftsordnung lachen."
"Das frühe Kino setzt das Versprechen: Ihr werdet lachen bei uns sehr dezidiert ein"
Ein neues Medium entdeckt den Humor
Kristina Köhler, Juniorprofessorin für Filmwissenschaften an der Gutenberg Universität Mainz, forscht über das Kino der Jahre 1890 bis 1910. Witz, oft brutal, derb und zotenhaft, gehörte bereits zum Kernrepertoire. Zum anderen aber wurde das Lachen selbst thematisiert.
"Als würde das frühe Kino selbst über eine Art Wissen verfügen oder über Phantasien, wie das mit dem Lachen funktioniert."
Zum Beispiel in dem amerikanischen Film "Lachgas" von 1907, der von einer Frau of Colour, erzählt, die zum Zahnarzt geht und dort mit Lachgas behandelt wird. Aus dem Lachen kommt sie nicht mehr raus.
"Und überall, wo sie hinläuft - sei es auf das Polizeiamt, sei es in das bürgerliche Esszimmer, wo sie die Herrschaften bedient, sei es in den Gospelgottesdienst - überall fangen die Leute an zu lachen und das stiftet natürlich extrem Chaos."
Das Unheimliche weglachen
Dass das frühe Kino sich so stark über das Lachen definiert, als Burleske, als Lustspiel, als Vergnügungskultur daherkommt, hat nach Meinung von Kristina Köhler auch damit zu tun, "dass es ein neues Medium ist, und das Lachen so eine Möglichkeit ist, auf das Neue, auf das Staunenswerte zu reagieren, und etwas, was unheimlich daran ist, erstmal wegzulachen."
Das Unheimliche, das Beängstigende, das Ärgerliche weglachen - das scheint doch ein Hauptantrieb zu sein, wenn wir uns via Witz, Satire oder Comedy der Komik zuwenden. Dass es zumindest die Hoffnung gab und gibt, dass Lachen und Humor eine positive, vielleicht sogar Völkerverbindende Kraft haben, zeigte sich auch im Kino früh, bei den ersten Filmen von Charlie Chaplin, die auf allen Kontinenten, da, wo es Kinos gab, auch ohne Worte verstanden wurden.
"Die Idee war, wenn alle Menschen über die gleichen Gags von Charlie Chaplin lachen, wie können wir dann eigentlich Kriege gegeneinander führen?"
Und diese Hoffnung ist bis heute geblieben. Im Film, im Fernsehen, im Theater, in der Literatur. Stephan Denzer:
"Letzten Endes ist es ja so, dass hinter all der Komödie der Wunsch steckt, die Welt etwas rosiger aussehen zu lassen. Über das, was uns täglich betrübt und über das, was uns täglich Schmerzen bereitet, befreiend zu lachen."