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SPD-Außenpolitiker erhofft faire Wahlen in Afghanistan

Für Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD, ist bei den Wahlen in Afghanistan entscheidend, ob das Ergebnis von der Bevölkerung als glaubwürdig betrachtet werde. Dann könne ein innenpolitischer Versöhnungsprozess in Gang kommen, um das Land voranzubringen.

Gert Weisskirchen im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Es ist Wahltag in Afghanistan und es herrscht Wahlkampf in Deutschland. Die Linke fordert schon lange, dass die Bundeswehr Afghanistan verlässt, doch auch aus der CSU und sogar aus der FDP kommen jetzt Forderungen nach einem Zeitplan für den Abzug. Können sich die mehr als 4000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr noch auf die Unterstützung aus Deutschland verlassen? Das will ich jetzt von Gert Weisskirchen wissen, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Weisskirchen.

    Gert Weisskirchen: Hallo! Schönen guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Die Taliban, die Aufständischen in Afghanistan versuchen, nicht nur die Wahl zu stören; angeblich haben sie die deutsche Öffentlichkeit als Ziel ausgemacht. Wollen die Taliban tatsächlich mit Angriffen auf die Bundeswehr in Afghanistan den Abzug erreichen?

    Weisskirchen: Das ist ganz gewiss ihr politisches Ziel. Sie dürfen es nur nicht erreichen, weil dann würden wir einknicken vor denen, die ja jetzt schon im Wahlkampf deutlich machen, was sie vor haben, nämlich diejenigen, die sich an demokratischen Wahlen beteiligen, zu versuchen, nicht nur von den Wahlen abzuhalten, sondern sie auch physisch zu bedrohen. Ich glaube, das kann doch nicht das Ziel sein, dass wir dem auch noch folgen.

    Herter: Was kann denn die Gegenstrategie sein? Ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg?

    Weisskirchen: Die Gegenstrategie hat die internationale Staatengemeinschaft im Januar 2006 - das ist noch nicht allzu lange her - festgehalten und da ist für vier Jahre, also bis zum Ende des Jahres 2010, vorgestellt worden, wie wir uns gemeinsam, eben diese über 70 Nationen, die Afghanistan helfen wollen, sich zu entwickeln, uns vorstellen, wie sich Afghanistan entwickeln kann. Am Ende wird dann zu prüfen sein, also am Ende des Jahres 2010, wie dieser Entwicklungsprozess vorangekommen ist, ob mehr Effizienz von der heute zu wählenden Präsidentschaft ausgeht, ob die Korruption wirklich bekämpft werden kann. All das sind Fragen, die jetzt mit dem neu zu wählenden Präsidenten heute auch von der internationalen Staatengemeinschaft so diskutiert werden müssen, damit nachher Afghanistan eine Entwicklung nimmt, die für das Land selber positiv sein wird.

    Herter: Wenn Hamid Karsai, der als Favorit bei den Präsidentschaftswahlen gilt, der Amtsinhaber also wiedergewählt wird, wird er damit rechnen müssen, unter stärkeren Druck zu kommen?

    Weisskirchen: Aber gewiss, denn wie auch immer die Wahlen am Ende ausgehen und falls er gewählt werden wird, er wird Erwartungen geweckt haben - auch jetzt schon im Wahlkampf - und die muss er erfüllen. Er wird nicht nur die Interessen derer, die er durch seine neue Allianzpolitik versucht hat einzubinden, bedienen müssen, sondern er wird auch das hoffentlich stärker geweckte politische Bewusstsein der Afghanen besser beantworten müssen. Er wird die Bereitschaft zur Partizipation anders beantworten müssen, als das bislang der Fall war: keine Klientelpolitik mehr, keine Ethnifizierung der Politik, sondern das politische Bewusstsein der Afghanen auch wirklich so nutzen, dass das Land vorankommt.

    Herter: Das hätte man Herrn Karsai eigentlich vor dem Wahlkampf sagen müssen, denn von Manipulation ist weithin die Rede, auch davon, dass diese Wahl nicht nach demokratischen Standards verläuft, wie wir sie in westlichen Demokratien gewohnt sind.

    Weisskirchen: Da haben Sie vollständig Recht. Afghanistan ist in einem Entwicklungsprozess befindlich, es ist eines der ärmsten Länder dieser Erde und auch das Land Afghanistan hat ganz schwach ausgeprägte politische Institutionen. Das ist ein Land, das sich allmählich versucht zu entwickeln, und mit unseren Begriffen von freien und fairen Wahlen kann man Afghanistan gar nicht messen. Von den fast 400 Provinzen, die es gibt, kann man, wenn alles gut geht, damit rechnen, dass hoffentlich drei Viertel, vielleicht vier Fünftel aller Menschen offenen und freien Zugang und gewaltfreien Zugang zu Wahllokalen haben werden. Sie sehen also: Das ist ein Land, das hoffentlich sich ganz allmählich in glaubwürdigen und umfassenden Wahlen weiter entwickeln wird.

    Herter: Aber es muss doch irgendeinen Punkt geben, wo man sagt, die Manipulation ist so umfangreich, dass die Wahlen ungültig sind. Ist denn eine Wiederholung dieser Wahl, wenn sie ungültig wäre, überhaupt denkbar?

    Weisskirchen: Das ist exakt der entscheidende Punkt, ob diese Wahlen wirklich glaubwürdig sein werden, ob die Afghanen sich mit dem Prozess, der nun heute zu einem hoffentlich positiven Abschluss kommt, auch identifizieren können, dass sie erkennen, das sind unsere eigenen Wahlen, die jetzt stattgefunden haben, und nicht irgendwelche manipulierten. Das wird das entscheidende politische Kriterium sein und wir werden natürlich sehr genau beobachten, alle gemeinsam und auch diejenigen, die in Afghanistan selbst als zivilgesellschaftliche Gruppen existieren, werden ihre Kritik, wenn sie denn berechtigt ist, so hart formulieren, damit daraus dann politische Schlüsse gezogen werden können. Ich hoffe jedenfalls, dass dieser Prozess von Manipulationen so weit wie möglich frei sein wird.

    Herter: Wie tolerant können wir gegenüber Manipulationen und Betrug sein, ohne unsere eigenen Werte in Gefahr zu bringen?

    Weisskirchen: Dann, wenn diese Wahl als glaubwürdig vom afghanischen Volk selbst anerkannt sein wird, dann ist das für uns das Prüfkriterium. Wenn die Afghanen selbst zu einem Ergebnis kommen, zu einem politischen Ergebnis mit wachsendem politischen Bewusstsein, dass dies keine Wahlen waren, die inklusiv gewesen sind und von der keine Glaubwürdigkeit ausgehen, dann ist dieses Projekt gescheitert. Ich hoffe, dass das nicht der Fall sein wird.

    Herter: Geht es da nicht einfach um Geld? Der Sicherheitsaufwand ist so enorm groß für diese Wahlen, dass man sich doch zweimal überlegen wird, ob man das alles nicht noch einmal veranstalten kann.

    Weisskirchen: Eines der Prüfkriterien wird sein, ob die Zahl der Wahllokale wie beim letzten Mal angeboten werden wird für die politische Entscheidung der Menschen. Damals waren es 6100 und diesmal hoffen wir alle, dass es an die 7000 sein könnten. Jede Zahl, die unterhalb oder in die Nähe der 6100 kommt wie beim letzten Mal, muss man leider als Misserfolg betrachten. Dann hätten die Taliban ihr Ziel erreicht und die Manipulation, die von diesem patrimonialen neuen politischen Allianzbegriff von Karsai ausgeht, hätte leider die Oberhand gewonnen. Das wäre für die Entwicklung des Landes schlecht.

    Herter: Mehr als 100.000 Soldaten gehören der multinationalen ISAF-Truppe an, darunter mehr als 4000 deutsche. Hat die ISAF trotzdem die Kontrolle über Afghanistan verloren?

    Weisskirchen: Das kann man heute noch nicht sagen. Erst am Ende des Wahltages wird man hoffentlich zum Ergebnis kommen können, dass das Maß an Sicherheit erreicht worden ist, das überhaupt zu einer Grundbedingung für einen Wahlakt nötig ist, erfüllt sein muss. Ich hoffe, dass die Zahl ausreicht, und ich hoffe doch auch sehr - und es gibt ja solche Entwicklungen auch in Afghanistan zu beobachten -, dass auch Aufständische bereit sind, Wahlen zuzulassen. Hier ist noch die schwierigste Lehrstelle zu erkennen, nämlich dass Schritt für Schritt auch nach und besonders nach dem Wahltag ein Versöhnungsprozess nach innen vorankommen muss, damit dieses Land innerlich befriedet werden kann.

    Herter: Der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Gert Weisskirchen, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank!

    Weisskirchen: Ich danke.