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SPD: Bundesverfassungsgericht soll nicht über EU-Gesetze entscheiden

Die Neufassung des EU-Begleitgesetzes zum Lissabon-Vertrag ist abgesegnet. Doch die Union will dem Bundesverfassungsgericht per Entschließung mehr Mitspracherecht bei EU-Vorhaben einräumen. Nein, sagt die SPD.

    Jochen Spengler: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Juni eine stärkere Beteiligung von Bundestag und Bundesrat an europapolitischen Entscheidungen gefordert. Dies sei die Voraussetzung für eine Zustimmung zum Lissabon-Vertrag, mit dem die Europäische Union effektiver werden soll. Nun hat sich die Große Koalition auf ein neues, sogenanntes EU-Begleitgesetz geeinigt. FDP und Grüne sind dafür, gestern hat die SPD-Fraktion die Einigung bestätigt, heute tagte die Union. Doch ihr bajuwarischer Teil tat sich schwer mit der Regierungsvorlage. Die CSU wollte eigentlich mehr parlamentarische Mitbestimmung in EU-Fragen, hat aber nun wohl doch einer gemeinsamen Position zugestimmt.
    Am Deutschlandfunk-Telefon begrüße ich nun die stellvertretende Fraktionschefin der SPD im Bundestag, Angelica Schwall-Düren. Guten Tag, Frau Schwall-Düren.

    Angelica Schwall-Düren: Guten Tag, Herr Spengler.

    Spengler: Die Union will also gleichzeitig mit dem Gesetz eine Entschließung verabschieden, in der, ich zitiere mal, "Regierung und Bundestagspräsident aufgefordert werden, bei der EU klarzustellen, dass der Lissabon-Vertrag nur in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gelten soll". Ist das so windelweich formuliert, dass Sie das mittragen können?

    Schwall-Düren: Mit Sicherheit nicht. Unser Fraktionsvorsitzender Peter Struck hat zugesagt, dass wir prüfen werden, ob wir uns auf einen Entschließungsantrag verständigen können, aber ich kann ganz klar sagen, mit uns wird es keinen völkerrechtlichen Vorbehalt geben und wir werden auch nicht zustimmen, ein neues Prüfungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einzurichten.

    Spengler: Lassen Sie uns das ein bisschen erläutern, weil das ist schwer zu verstehen. Was wäre für die SPD so schlimm, wenn das Bundesverfassungsgericht letztlich die endgültige Auslegungskompetenz hätte?

    Schwall-Düren: Stellen Sie sich mal vor, die Verfassungsgerichte aller 27 Mitgliedsstaaten würden eine solche Macht bekommen, über die einzelnen EU-Gesetze dann zu entscheiden, ob dort Kompetenzen der EU zustehen oder nicht. Dann würde die Europäische Union völlig ausgefranst werden. Es ist geradezu eine Einladung an andere Staaten, nun auch sich darüber Gedanken zu machen, welche Besonderheiten sie sich vorstellen in Bezug auf die europäischen Verträge. Das kann nicht sein und als ein Land, was immer der Integrationsmotor der Europäischen Union gewesen ist, können wir uns nicht erlauben, einen solchen Schritt zu gehen.

    Spengler: Aber müsste es nicht für einen deutschen Politiker selbstverständlich sein, dass das eigene Gericht, das Bundesverfassungsgericht die letzte Instanz ist?

    Schwall-Düren: Wir haben im Grundgesetz die ganz klare Ausrichtung, dass die Bundesrepublik Deutschland sich auf dem Weg aktiv beteiligt zu einem vereinten Europa. Das heißt, die Integrationsverantwortung ist ganz klar gegeben. Und da kann es nicht sein, dass die Verträge, die völkerrechtlich korrekt abgeschlossen worden sind, die immer von den Parlamenten ratifiziert worden sind, dass diese Verträge dann einer besonderen Interpretation von nationalen Gerichten unterliegen. Dann wird diese EU nicht mehr funktionieren können.

    Spengler: Also Sie sagen, die SPD wird so eine Entschließung nicht mittragen?

    Schwall-Düren: Richtig.

    Spengler: Ein zweiter Punkt in dieser Entschließung soll ja sein, dass der nächste Bundestag das Recht auf eine eigene Kompetenzkontrollklage nicht haben soll - der eine Bundestag kann ja nicht den nächsten binden -, sondern er soll es nur erwägen. Das klingt ja auch nicht nach verbindlicher Verabredung.

    Schwall-Düren: Wir haben immer die Möglichkeit, entsprechende Klagen beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, und insofern würde eine solche Formulierung nur eine zusätzliche Skepsis formulieren und damit nicht gerade zur Europafreundlichkeit beitragen.

    Spengler: Frau Schwall-Düren, wenn nun die SPD diesen Entschließungsantrag ablehnt, auf dem die Union besteht, heißt das, es wird nichts mit dem Zeitplan?

    Schwall-Düren: Ich gehe davon aus, dass die CDU/CSU-Fraktion dazu steht, dass sie den Begleitgesetzen, dem Integrationsverantwortungsgesetz und den Zusammenarbeitsgesetzen, zustimmt und dass damit die Ratifikationsurkunde in Rom hinterlegt werden kann.

    Spengler: Also Sie glauben, die CDU/CSU hält sich nicht an das, was sie heute selbst beschlossen hat?

    Schwall-Düren: Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin hier tatsächlich auch ihrer Verantwortung gerecht wird, dazu beizutragen, dass wir von Deutschland aus diesen Schritt nun endgültig unternehmen, dass der Lissaboner Vertrag, der maßgeblich von der Bundeskanzlerin und dem deutschen Außenminister vorbereitet und ausgehandelt wurde, dass dieser Vertrag wirklich in Kraft treten kann.

    Spengler: Angelica Schwall-Düren, stellvertretende Fraktionschefin der SPD im Deutschen Bundestag. Danke für das Gespräch, Frau Schwall-Düren.

    Schwall-Düren: Gerne. Auf Wiederhören!

    Spengler: Auf Wiederhören.