O-Ton Steinmeier: Auch Russland hat in diesem Konflikt Kritik für sein Verhalten verdient. Das ändert nichts daran, Genossinnen und Genossen, dass aus meiner Sicht jedenfalls Sicherheit und Stabilität in Europa am Ende nur mit Russland und nicht gegen Russland hergestellt werden kann. Deshalb, noch mal, schadet Europa sich selbst, wenn wir jetzt emotionsgeladen alle Türen zuschlagen zu den Zimmern, die wir anschließend wieder betreten wollen.
Schütte: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gestern bei der SPD in Brandenburg.
Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen heute Nachmittag in Brüssel zusammen - zu einem Sondergipfel, wie es heißt. Man könnte auch sagen, zu einem Krisengipfel. Sie wollen sich auf eine einheitliche Position gegenüber Russland verständigen. Sie wollen Moskau verurteilen für die Anerkennung der abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien, aber ohne Russland jedoch weiter in die Isolierung zu treiben. Frankreichs Außenminister Kouchner hatte vergangene Woche die Möglichkeit von Sanktionen in Erwägung gezogen, doch kurz darauf hatte die französische Ratspräsidentschaft klar gestellt: Sanktionen, dies sei nicht der geplante Weg.
Auf welche Linie wird sich die EU heute also verständigen? Wird sie mit einer Stimme sprechen? - Am Telefon begrüße ich Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Schulz!
Schulz: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Herr Schulz, warum scheut sich vor allem Ihre Partei, die SPD, so sehr, gegenüber Moskau einen härteren Kurs einzuschlagen?
Schulz: Ich glaube, wir scheuen uns nicht, gegenüber Moskau Klartext zu reden und die Verhaltensweisen, die völlig überzogene Reaktion zu kritisieren. Das hat die gesamte Partei offen gemacht, sehr hart auch gemacht. Aber wir müssen vor allen Dingen mit Russland reden, wie es denn zur Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans kommen könnte, der ja vereinbart worden ist zwischen Medwedew und Putin. Wir müssen darüber reden, ob das Militär auf den Ausgangspunkt vor dem militärischen Konflikt zurückgehen kann. Also wir müssen über praktische Schritte reden. Große Worte können viele machen, aber viel wichtiger für die Situation ist ja, dass sich was bewegt.
Schütte: Mit Russland reden, sagen Sie. Man könnte auch formulieren, Moskau verstößt gegen das Völkerrecht und dies zieht womöglich keine spürbaren Konsequenzen seitens der EU nach sich.
Schulz: Ich will die Frage mal umgekehrt stellen. Bisher hat mir niemand vorgeschlagen und auch niemand konkret gesagt, worin denn diese Maßnahmen gegen Russland bestehen sollen. Was soll die EU als Druckpotenzial beschließen, was Russland dazu motivieren könnte, aus Abchasien oder Süd-Ossetien zurückzugehen?
Schütte: Es ist ja beispielsweise davon die Rede, dass man Visa-Anträge erschwert oder es erschwert, dass Russen beispielsweise Kapital aus Europa bekommen.
Schulz: Ich will das gar nicht weiter kommentieren, weil ich glaube, dass jeder, der sich über Visa-Politik und solche Fragen wie "kein Kapital nach Russland" unterhält, weiß, dass das gar nicht geht. Die Wirtschaft Russlands und die Wirtschaft der Europäischen Union sind gegenseitig aufeinander angewiesen. Das ist einer der entscheidenden Punkte, wie man meiner Meinung nach mit Dialog auch die Russen zum Nachdenken bringen kann, denn wenn mich nicht alles täuscht, gehen fast zwei Drittel der Energieexporte (das heißt an Gas und Öl) aus Russland eben in die Staaten der Europäischen Union. Und mit Russland darüber zu reden, dass im Rahmen eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens man langfristige Absatzsicherheiten und damit auch Gewinnsicherheit für die russische Wirtschaft schafft, oder auch nicht, wenn das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU nicht zu Stande kommt, ich glaube, das ist viel vernünftiger, darüber zu diskutieren, als jetzt zu sagen, es dürfen euere Manager nur noch mit Visa kommen. Ich glaube, das wird in Moskau nicht besonders Eindruck machen.
Schütte: Das heißt, die EU könnte die Verhandlungen über ein solches neues Partnerschaftsabkommen heute am Nachmittag einfrieren. Wird das beschlossen werden?
Schulz: Das ist sicherlich eine der Möglichkeiten, die Verhandlungen über das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu unterbrechen. Und ich glaube, genau darüber wird man diskutieren müssen. Ich bin nicht dafür, dass man über die Situation, die jetzt ja sehr, sehr kompliziert ist, mit großen Worten hinwegrast. Man muss im Detail prüfen: was sind berechtigterweise die Interessen Russlands und wo ist Russland auf dem Weg, sich selbst zu isolieren. Man sollte zum Beispiel mal sehen, dass bei dem Gipfel mit anderen asiatischen Staaten die Russen keine besondere Unterstützung bekommen haben. Das haben die auch gemerkt. Das heißt, ich glaube schon, wenn man ihnen einen Ausweg aus der Situation bietet, dass sie dann zumindest als nächsten ersten Schritt bereit wären, sich auf die Ausgangspositionen vor dem Konflikt in Südossetien zurückzuziehen. Das wäre ja schon mal ein erster Schritt, auch ein Signal, das den Russen, ich sage mal, vor ihren eigenen Augen einen Weg aus der Krise heraus erlaubt, den sie auch gehen können.
Schütte: Das setzte allerdings voraus, dass die EU überhaupt Druck ausüben kann. Und wenn wir über dieses Partnerschaftsabkommen, das vielleicht eingefroren wird, sprechen, dann hören wir darüber aus Moskau, damit schadet sich die EU eher selbst, als dass es Moskau schadet.
Schulz: Das glaube ich nicht. Ich wiederhole noch mal: Die ökonomischen Strukturen sind schon so, dass Russland auf den europäischen Absatzmärkten seine Gas- und Öllieferungen absetzen muss, um seine ökonomische Kraft, die es jetzt hat, auch aufrecht zu erhalten, weiterzuentwickeln und übrigens auch die Gelder zu bekommen, die Russland braucht, um zu investieren, um diese Energie auch dauerhaft fördern zu können. Also da ist schon eine gegenseitige Abhängigkeit vorhanden. Was die in Moskau natürlich glauben ist, die EU sei nicht in der Lage, weil wir natürlich dringend auf die Energielieferungen angewiesen sind, dort letztlich Druck auszuüben. Aber da ist mein Eindruck: Wenn dort die Europäische Union zusammensteht, dann irren sich die Russen. Ich glaube schon, dass das ein Prozess ist, wo man sich gegenseitig braucht. Beim gegenseitigen Brauchen benötigen die Russen eben auch den europäischen Absatzmarkt.
Schütte: Herr Schulz, war es klug, dass die EU-Ratspräsidentschaft schon vor dem Gipfeltreffen Sanktionen ausgeschlossen und damit ja ein Druckmittel aus der Hand gegeben hat?
Schulz: Ich glaube, das war vor allen Dingen sehr unklug von Bernard Kouchner, überhaupt öffentlich darüber zu reden. Wenn man bei einem so komplizierten Prozess wie dem, der da heute Nachmittag ablaufen soll, dass nämlich 27 Staaten sich auf eine einheitliche Linie einigen müssen, die zum Teil sehr unterschiedliche Auffassungen haben, wenn derjenige, der dort die Sitzung mit leiten soll, also der französische Außenminister, mit den möglichen Diskussionspunkten schon vorab in die Öffentlichkeit geht, dann schadet er der gesamten Angelegenheit. Ich glaube, das war sehr unklug, was Bernard Kouchner da gemacht hat.
Schütte: Unklug, sagen Sie. Wohl niemand in der EU möchte durch unkluge Bemerkungen einen möglicherweise zweiten Kalten Krieg weiter anheizen. Ist es aber richtig, mit dem Argument, man will keinen solchen heraufbeschwören, die Debatte über Sanktionen gegen Russland schon vorab gewissermaßen abzuwürgen?
Schulz: Ich glaube noch mal, dass es nicht klug ist in der internationalen Diplomatie, über Handlungsoptionen, die man zunächst einmal hinter verschlossenen Türen diskutieren sollte, um nicht schon den Partner, mit dem man später reden will, vorab über alles zu informieren. Damit schwächt man ja die eigene Position. Ich glaube, dass es deshalb klug ist, solche Dinge nicht öffentlich auszutragen.
Ich frage umgekehrt - das werde ich auch heute Nachmittag im Parlament in Brüssel machen -, welche Sanktionen sind denn gemeint, die ernsthaft dazu führen könnten, dass Russland seine Politik ändert. Das müssten ja Sanktionen sein, die Russland im Kern erschüttern. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht sehe, wie diese Sanktionen kurzfristig beschlossen werden könnten, unter 27 Staaten, die da ganz heterogene Interessen haben. Deshalb, glaube ich, ist die Diskussion um Sanktionen eine, die A nicht öffentlich und wenn überhaupt viel zu früh geführt wird.
Schütte: Herr Schulz, wie zuversichtlich sind Sie, dass die EU, die sich ja bisher sehr gespalten präsentiert hat, heute zu einer gemeinsamen Stimme finden wird?
Schulz: Man muss die Arbeit der Außenminister und der Staats- und Regierungschefs so sehen, dass die EU gut beraten wäre, wenn sie die unterschiedlichen Möglichkeiten, die die 27 Staaten haben, kombinieren. Es gibt Mitgliedsstaaten der EU, die sind näher bei Georgien und bei Saakaschwili. Es gibt andere, die haben einen besseren Einfluss auf die Regierung von Putin und auf Präsident Medwedew. Wenn die jeweiligen Staatengruppen, die einen guten Einfluss in Moskau haben, und die anderen, die einen guten Einfluss in Tiflis haben, versuchen, Einfluss dahingehend auszuüben, dass beide Seiten wieder versuchen, miteinander zu reden, das wäre meiner Meinung nach ein viel größerer Erfolg, als jetzt vorschnell die Emotionen dadurch zu befriedigen, dass wir über Sanktionen reden, von denen niemand weiß, A welcher Art sie sein sollen und B zu welchem Resultat sie denn führen sollen.
Ich glaube deshalb noch einmal, das was Frank-Walter Steinmeier eben auch gesagt hat: Kritik ja, aber bitte keine Türen zuschlagen zu Räumen, wie er sich ausgedrückt hat, die wir doch jetzt erst betreten sollen. Das halte ich für den richtigen Weg. Und noch einmal: so modulartig zusammensetzen an Fähigkeiten, die jeder einzelne Staat einbringen kann, das ist europäische Außenpolitik.
Schütte: Herr Schulz, jeder bringt ein, was er kann. Was könnte der britische Premierminister Gordon Brown einbringen, der beispielsweise eine völlige Neubetrachtung der Beziehungen zu Russland fordert?
Schulz: Indem er zum Beispiel vorlegt, was er damit meint, welche Neubetrachtung der Beziehungen der Europäischen Union zu Russland er damit meint. Das hat er ja bisher nicht konkretisiert. Ich muss es noch mal sagen: Es gibt Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die sind ganz stark in ihrem ökonomischen Bestand davon abhängig, dass sie Energiesicherheit haben. Wenn Großbritannien der Meinung ist, dass das Vereinigte Königreich selbst das nicht braucht, dann soll Gordon Brown das sagen. Es gibt andere Staaten, die brauchen die Kooperation. Es gibt Staaten, die haben in Russland große Investitionen getätigt. Es gibt Staaten, in denen Russland große Investitionen getätigt hat. Es gibt Staaten wie die baltischen Staaten, die logischerweise Angst haben. Man muss auch darüber diskutieren, wie man denen die Angst nehmen kann. Ich glaube nicht, dass das mit militärischen Maßnahmen geht, sondern ökonomische Verflechtung scheint mir nach wie vor das beste Mittel zu sein, um eine Interessenlage der gegenseitigen Abhängigkeit zu schaffen - Abhängigkeit vor allen Dingen von vernünftigem und rationalem Handeln. Also Gordon Brown müsste vorlegen, was er denn meint, wenn das alles, was in der Entwicklung ist, jetzt gestoppt werden soll.
Schütte: Herr Schulz, könnte die EU anders reagieren, schneller, geschlossener, wenn der neue Grundlagenvertrag, der so genannte Vertrag von Lissabon, schon in Kraft getreten wäre?
Schulz: Ich glaube, ganz eindeutig, weil wir dann zum Beispiel einen europäischen Außenminister hätten, der in der Lage wäre, als berechtigte Stimme mit viel größerer Autorität für alle 27 aufzutreten, als das jetzt der amtierende Ratsvorsitzende kann, der alle sechs Monate abgelöst wird. Von daher wäre mit dem Grundlagenvertrag sicher die Struktur der Verhandlungen oder die Struktur, mit der die EU verhandeln würde, viel leichter handhabbar, als das jetzt der Fall ist.
Schütte: Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten im Europäischen Parlament. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Schulz: Ich danke Ihnen, Herr Schütte.
Schütte: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gestern bei der SPD in Brandenburg.
Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen heute Nachmittag in Brüssel zusammen - zu einem Sondergipfel, wie es heißt. Man könnte auch sagen, zu einem Krisengipfel. Sie wollen sich auf eine einheitliche Position gegenüber Russland verständigen. Sie wollen Moskau verurteilen für die Anerkennung der abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien, aber ohne Russland jedoch weiter in die Isolierung zu treiben. Frankreichs Außenminister Kouchner hatte vergangene Woche die Möglichkeit von Sanktionen in Erwägung gezogen, doch kurz darauf hatte die französische Ratspräsidentschaft klar gestellt: Sanktionen, dies sei nicht der geplante Weg.
Auf welche Linie wird sich die EU heute also verständigen? Wird sie mit einer Stimme sprechen? - Am Telefon begrüße ich Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Schulz!
Schulz: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Herr Schulz, warum scheut sich vor allem Ihre Partei, die SPD, so sehr, gegenüber Moskau einen härteren Kurs einzuschlagen?
Schulz: Ich glaube, wir scheuen uns nicht, gegenüber Moskau Klartext zu reden und die Verhaltensweisen, die völlig überzogene Reaktion zu kritisieren. Das hat die gesamte Partei offen gemacht, sehr hart auch gemacht. Aber wir müssen vor allen Dingen mit Russland reden, wie es denn zur Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans kommen könnte, der ja vereinbart worden ist zwischen Medwedew und Putin. Wir müssen darüber reden, ob das Militär auf den Ausgangspunkt vor dem militärischen Konflikt zurückgehen kann. Also wir müssen über praktische Schritte reden. Große Worte können viele machen, aber viel wichtiger für die Situation ist ja, dass sich was bewegt.
Schütte: Mit Russland reden, sagen Sie. Man könnte auch formulieren, Moskau verstößt gegen das Völkerrecht und dies zieht womöglich keine spürbaren Konsequenzen seitens der EU nach sich.
Schulz: Ich will die Frage mal umgekehrt stellen. Bisher hat mir niemand vorgeschlagen und auch niemand konkret gesagt, worin denn diese Maßnahmen gegen Russland bestehen sollen. Was soll die EU als Druckpotenzial beschließen, was Russland dazu motivieren könnte, aus Abchasien oder Süd-Ossetien zurückzugehen?
Schütte: Es ist ja beispielsweise davon die Rede, dass man Visa-Anträge erschwert oder es erschwert, dass Russen beispielsweise Kapital aus Europa bekommen.
Schulz: Ich will das gar nicht weiter kommentieren, weil ich glaube, dass jeder, der sich über Visa-Politik und solche Fragen wie "kein Kapital nach Russland" unterhält, weiß, dass das gar nicht geht. Die Wirtschaft Russlands und die Wirtschaft der Europäischen Union sind gegenseitig aufeinander angewiesen. Das ist einer der entscheidenden Punkte, wie man meiner Meinung nach mit Dialog auch die Russen zum Nachdenken bringen kann, denn wenn mich nicht alles täuscht, gehen fast zwei Drittel der Energieexporte (das heißt an Gas und Öl) aus Russland eben in die Staaten der Europäischen Union. Und mit Russland darüber zu reden, dass im Rahmen eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens man langfristige Absatzsicherheiten und damit auch Gewinnsicherheit für die russische Wirtschaft schafft, oder auch nicht, wenn das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU nicht zu Stande kommt, ich glaube, das ist viel vernünftiger, darüber zu diskutieren, als jetzt zu sagen, es dürfen euere Manager nur noch mit Visa kommen. Ich glaube, das wird in Moskau nicht besonders Eindruck machen.
Schütte: Das heißt, die EU könnte die Verhandlungen über ein solches neues Partnerschaftsabkommen heute am Nachmittag einfrieren. Wird das beschlossen werden?
Schulz: Das ist sicherlich eine der Möglichkeiten, die Verhandlungen über das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu unterbrechen. Und ich glaube, genau darüber wird man diskutieren müssen. Ich bin nicht dafür, dass man über die Situation, die jetzt ja sehr, sehr kompliziert ist, mit großen Worten hinwegrast. Man muss im Detail prüfen: was sind berechtigterweise die Interessen Russlands und wo ist Russland auf dem Weg, sich selbst zu isolieren. Man sollte zum Beispiel mal sehen, dass bei dem Gipfel mit anderen asiatischen Staaten die Russen keine besondere Unterstützung bekommen haben. Das haben die auch gemerkt. Das heißt, ich glaube schon, wenn man ihnen einen Ausweg aus der Situation bietet, dass sie dann zumindest als nächsten ersten Schritt bereit wären, sich auf die Ausgangspositionen vor dem Konflikt in Südossetien zurückzuziehen. Das wäre ja schon mal ein erster Schritt, auch ein Signal, das den Russen, ich sage mal, vor ihren eigenen Augen einen Weg aus der Krise heraus erlaubt, den sie auch gehen können.
Schütte: Das setzte allerdings voraus, dass die EU überhaupt Druck ausüben kann. Und wenn wir über dieses Partnerschaftsabkommen, das vielleicht eingefroren wird, sprechen, dann hören wir darüber aus Moskau, damit schadet sich die EU eher selbst, als dass es Moskau schadet.
Schulz: Das glaube ich nicht. Ich wiederhole noch mal: Die ökonomischen Strukturen sind schon so, dass Russland auf den europäischen Absatzmärkten seine Gas- und Öllieferungen absetzen muss, um seine ökonomische Kraft, die es jetzt hat, auch aufrecht zu erhalten, weiterzuentwickeln und übrigens auch die Gelder zu bekommen, die Russland braucht, um zu investieren, um diese Energie auch dauerhaft fördern zu können. Also da ist schon eine gegenseitige Abhängigkeit vorhanden. Was die in Moskau natürlich glauben ist, die EU sei nicht in der Lage, weil wir natürlich dringend auf die Energielieferungen angewiesen sind, dort letztlich Druck auszuüben. Aber da ist mein Eindruck: Wenn dort die Europäische Union zusammensteht, dann irren sich die Russen. Ich glaube schon, dass das ein Prozess ist, wo man sich gegenseitig braucht. Beim gegenseitigen Brauchen benötigen die Russen eben auch den europäischen Absatzmarkt.
Schütte: Herr Schulz, war es klug, dass die EU-Ratspräsidentschaft schon vor dem Gipfeltreffen Sanktionen ausgeschlossen und damit ja ein Druckmittel aus der Hand gegeben hat?
Schulz: Ich glaube, das war vor allen Dingen sehr unklug von Bernard Kouchner, überhaupt öffentlich darüber zu reden. Wenn man bei einem so komplizierten Prozess wie dem, der da heute Nachmittag ablaufen soll, dass nämlich 27 Staaten sich auf eine einheitliche Linie einigen müssen, die zum Teil sehr unterschiedliche Auffassungen haben, wenn derjenige, der dort die Sitzung mit leiten soll, also der französische Außenminister, mit den möglichen Diskussionspunkten schon vorab in die Öffentlichkeit geht, dann schadet er der gesamten Angelegenheit. Ich glaube, das war sehr unklug, was Bernard Kouchner da gemacht hat.
Schütte: Unklug, sagen Sie. Wohl niemand in der EU möchte durch unkluge Bemerkungen einen möglicherweise zweiten Kalten Krieg weiter anheizen. Ist es aber richtig, mit dem Argument, man will keinen solchen heraufbeschwören, die Debatte über Sanktionen gegen Russland schon vorab gewissermaßen abzuwürgen?
Schulz: Ich glaube noch mal, dass es nicht klug ist in der internationalen Diplomatie, über Handlungsoptionen, die man zunächst einmal hinter verschlossenen Türen diskutieren sollte, um nicht schon den Partner, mit dem man später reden will, vorab über alles zu informieren. Damit schwächt man ja die eigene Position. Ich glaube, dass es deshalb klug ist, solche Dinge nicht öffentlich auszutragen.
Ich frage umgekehrt - das werde ich auch heute Nachmittag im Parlament in Brüssel machen -, welche Sanktionen sind denn gemeint, die ernsthaft dazu führen könnten, dass Russland seine Politik ändert. Das müssten ja Sanktionen sein, die Russland im Kern erschüttern. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht sehe, wie diese Sanktionen kurzfristig beschlossen werden könnten, unter 27 Staaten, die da ganz heterogene Interessen haben. Deshalb, glaube ich, ist die Diskussion um Sanktionen eine, die A nicht öffentlich und wenn überhaupt viel zu früh geführt wird.
Schütte: Herr Schulz, wie zuversichtlich sind Sie, dass die EU, die sich ja bisher sehr gespalten präsentiert hat, heute zu einer gemeinsamen Stimme finden wird?
Schulz: Man muss die Arbeit der Außenminister und der Staats- und Regierungschefs so sehen, dass die EU gut beraten wäre, wenn sie die unterschiedlichen Möglichkeiten, die die 27 Staaten haben, kombinieren. Es gibt Mitgliedsstaaten der EU, die sind näher bei Georgien und bei Saakaschwili. Es gibt andere, die haben einen besseren Einfluss auf die Regierung von Putin und auf Präsident Medwedew. Wenn die jeweiligen Staatengruppen, die einen guten Einfluss in Moskau haben, und die anderen, die einen guten Einfluss in Tiflis haben, versuchen, Einfluss dahingehend auszuüben, dass beide Seiten wieder versuchen, miteinander zu reden, das wäre meiner Meinung nach ein viel größerer Erfolg, als jetzt vorschnell die Emotionen dadurch zu befriedigen, dass wir über Sanktionen reden, von denen niemand weiß, A welcher Art sie sein sollen und B zu welchem Resultat sie denn führen sollen.
Ich glaube deshalb noch einmal, das was Frank-Walter Steinmeier eben auch gesagt hat: Kritik ja, aber bitte keine Türen zuschlagen zu Räumen, wie er sich ausgedrückt hat, die wir doch jetzt erst betreten sollen. Das halte ich für den richtigen Weg. Und noch einmal: so modulartig zusammensetzen an Fähigkeiten, die jeder einzelne Staat einbringen kann, das ist europäische Außenpolitik.
Schütte: Herr Schulz, jeder bringt ein, was er kann. Was könnte der britische Premierminister Gordon Brown einbringen, der beispielsweise eine völlige Neubetrachtung der Beziehungen zu Russland fordert?
Schulz: Indem er zum Beispiel vorlegt, was er damit meint, welche Neubetrachtung der Beziehungen der Europäischen Union zu Russland er damit meint. Das hat er ja bisher nicht konkretisiert. Ich muss es noch mal sagen: Es gibt Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die sind ganz stark in ihrem ökonomischen Bestand davon abhängig, dass sie Energiesicherheit haben. Wenn Großbritannien der Meinung ist, dass das Vereinigte Königreich selbst das nicht braucht, dann soll Gordon Brown das sagen. Es gibt andere Staaten, die brauchen die Kooperation. Es gibt Staaten, die haben in Russland große Investitionen getätigt. Es gibt Staaten, in denen Russland große Investitionen getätigt hat. Es gibt Staaten wie die baltischen Staaten, die logischerweise Angst haben. Man muss auch darüber diskutieren, wie man denen die Angst nehmen kann. Ich glaube nicht, dass das mit militärischen Maßnahmen geht, sondern ökonomische Verflechtung scheint mir nach wie vor das beste Mittel zu sein, um eine Interessenlage der gegenseitigen Abhängigkeit zu schaffen - Abhängigkeit vor allen Dingen von vernünftigem und rationalem Handeln. Also Gordon Brown müsste vorlegen, was er denn meint, wenn das alles, was in der Entwicklung ist, jetzt gestoppt werden soll.
Schütte: Herr Schulz, könnte die EU anders reagieren, schneller, geschlossener, wenn der neue Grundlagenvertrag, der so genannte Vertrag von Lissabon, schon in Kraft getreten wäre?
Schulz: Ich glaube, ganz eindeutig, weil wir dann zum Beispiel einen europäischen Außenminister hätten, der in der Lage wäre, als berechtigte Stimme mit viel größerer Autorität für alle 27 aufzutreten, als das jetzt der amtierende Ratsvorsitzende kann, der alle sechs Monate abgelöst wird. Von daher wäre mit dem Grundlagenvertrag sicher die Struktur der Verhandlungen oder die Struktur, mit der die EU verhandeln würde, viel leichter handhabbar, als das jetzt der Fall ist.
Schütte: Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten im Europäischen Parlament. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Schulz: Ich danke Ihnen, Herr Schütte.