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SPD-Finanzexperte: Europa braucht eine Union im Kern

"Sparmaßnahmen sind notwendig, aber auch die Impulse sind notwendig." Der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, fordert "so etwas wie eine Art Marshall-Plan" für Griechenland, aus EU-Mitteln finanziert.

Carsten Schneider im Gespräch mit Christian Bremkamp | 21.06.2011
    Christian Bremkamp: Die neue griechische Regierung muss heute die erste wichtige Hürde nehmen, damit das Land nicht bankrott geht. Um Mitternacht wird nach tagelanger Debatte eine Abstimmung zur Vertrauensfrage stattfinden, dies hatte Ministerpräsident Papandreou nach der Bildung seiner neuen Regierung am Sonntag beantragt. Die Bewegung "Empörte Bürger" hat derweil neue Demonstrationen angekündigt, will aus Protest gegen weitere Sparmaßnahmen alle Zufahrtswege zum Parlament blockieren. Die desaströse wirtschaftliche Lage hat Griechenland also auch in eine schwere politische Krise manövriert. Am Telefon begrüße ich jetzt Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Schneider.

    Carsten Schneider: Guten Tag, Herr Bremkamp. Ich grüße Sie.

    Bremkamp: Die deutschen Banken wollen sich, so zumindest die Ankündigung, an der Rettung Griechenlands beteiligen. Ein Grund zum Aufatmen?

    Schneider: Nein, überhaupt nicht. Ich traue diesen Aussagen nicht, weil es vollkommen zuwider den Interessen der Aktionäre der Banken steht, sich dauerhaft längerfristig eine Staatsanleihe zu kaufen, die einen Ramschstatus hat. Da würden sie sich fast schon strafbar machen. Und Herr Kemmer, das ist ja nur der Vertreter des Bankenverbandes, hat da auch gar keine exekutive Funktion. Ich habe vorige Woche Gespräche in Frankfurt mit Bankern geführt, und die haben mir gesagt, ich bin doch nicht wahnsinnig, den einen Tag bin ich derjenige, der den Griechen keine Solidarität gibt, und die Woche darauf bin ich derjenige, der sich dort engagiert. Die werden sich also nicht engagieren, zumal ihr Anteil mit jedem Tag, der vergeht, auch immer geringer wird.

    Bremkamp: Was brauchen wir dann Ihrer Meinung nach?

    Schneider: Wir brauchen für Griechenland erst mal eine klare Analyse der Situation, und das, was die EU-Kommission ...

    Bremkamp: Die scheint ja klar zu sein!

    Schneider: Nein, ist sie nicht. Wenn Sie die Regierung fragen, die Bundesregierung, Herrn Schäuble - das habe ich getan -, ist Griechenland überschuldet, wird er sagen, nein, das kann man nicht so genau sagen, weil in dem Fall, wenn sie überschuldet wären und die Regierung das auch so einstufen würde, müssten sie einen Zahlungsausfall, einen Schuldenschnitt machen, und ich kenne keinen Ökonomen, der nicht sagt, dass Griechenland überschuldet ist. Die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ist sehr eingeschränkt und die Gesamtverschuldung des Staates liegt bei 150 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das kann dieses Land nicht mehr erarbeiten, und von daher ist das alles nur ein Sterben auf Raten, und was passiert ist, dass mit jedem Tag länger die öffentliche Hand, Deutschland, aber auch die anderen europäischen Länder und die Europäische Zentralbank Hauptgläubiger Griechenlands werden und die Banken alle fein raus sind.

    Bremkamp: Sie fordern also einen Schuldenschnitt. Da warnt heute das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung vor Misstrauen und Spekulationen auf den Finanzmärkten. Ein Risiko, das man eingehen sollte?

    Schneider: Ja. Wenn man eine klare Antwort haben will, ja. Ansonsten müsste man klar sagen, wir übernehmen ab sofort die griechischen Schulden zu 100 Prozent. Das ist die Alternative dazu. Und da sage ich Ihnen, es gibt auch erstens andere Ökonomen, die das mit den Infektionskanälen et cetera anders einschätzen. Ich glaube, dass in der heutigen Situation eh niemand am Markt glaubt, dass Griechenland es allein schafft. Es gibt ihnen ja auch niemand mehr Geld, außer der öffentlichen Hand. Von daher ist ein Ende mit Schrecken besser und sie geben vor allen Dingen Griechenland auch wieder eine Perspektive, aus dieser wirtschaftlichen Misere herauszukommen, denn so wie es jetzt ist, mit dieser hohen Schuld, Zinsbelastung und dem geringen Wirtschaftswachstum, haben sie keine Chance.

    Bremkamp: Herr Schneider, Ratschläge Richtung Athen gibt es dieser Tage eine Menge, zumeist verbunden mit dem Ruf nach konkreten Gegenleistungen. Schaut man auf die Straßen und Plätze Athens - wir haben es eben gehört -, sieht es nicht danach aus, als könnten sich die Griechen mit neuen Sparmaßnahmen anfreunden.

    Schneider: Ja. Ich kann das ehrlich gesagt auch nachvollziehen, denn aus der deutschen Situation wird verkannt, dass die Griechen im letzten Jahr das Land vom Kopf auf die Füße gestellt haben. Sie haben Sparleistungen erbracht, die in Deutschland in etwa 80 Milliarden Euro des Staatshaushaltes ausmachen, und nehmen Sie das mal in Deutschland zum Beispiel: Der gesamte Bundeshaushalt hat nur 300 Milliarden. Das heißt, der gesamte Rentenzuschuss, der 80 Milliarden in Deutschland ausmacht, wäre gestrichen, sie hätten eine Halbierung der Leistung. Also die Griechen haben schon sehr viel gemacht. Es zeigt sich aber, dass allein auf Sparpolitik zu setzen eben nicht ausreicht, um die Wirtschaft auch wieder in Gang zu bringen. Deswegen plädiere ich auch und die SPD-Fraktion intensiv dafür, dass wir denen auch einen wirtschaftlichen Impuls wieder zusätzlich geben, ...

    Bremkamp: Was heißt das konkret?

    Schneider: Das heißt ganz konkret so etwas wie eine Art Marshall-Plan, wie es ihn auch in Deutschland gegeben hat, aus den EU-Mitteln finanziert. Nehmen Sie einen Punkt: Wir haben die Kohäsionfonds-Mittel für Investitionen und andere Punkte, da ist auch Geld für Griechenland reserviert; die können das nur nicht abrufen, weil sie die Kofinanzierung nicht mehr bringen. Da zum Beispiel die Kofinanzierung zu streichen und die Investitionen überhaupt wieder möglich zu machen, dass sie wieder Licht am Horizont sehen, ist einfach notwendig. Sparmaßnahmen sind notwendig, aber auch die Impulse sind notwendig. Sonst hat dieses Land wirtschaftlich auf Dauer keine Überlebenschance und mehr oder weniger eine der Kerndemokratien Europas, zumindest wenn Sie es lange und historisch betrachten, geht dann letztendlich den Bach herunter, und das sehen sie ja auch im Parlament. Ich habe große Sorge, dass heute Abend im Parlament es keine Mehrheit für dieses Paket gibt.

    Bremkamp: Was passiert denn dann, wenn Papandreou diese Vertrauensfrage nicht überlebt, sage ich mal?

    Schneider: Das möchte ich mir gar nicht vorstellen.

    Bremkamp: Gedanken machen Sie sich wahrscheinlich?

    Schneider: Ja. Ich glaube, dann gibt es nur eine Lösung: Die Staatengemeinschaft wird insgesamt einspringen.

    Bremkamp: Ist denn die Zeit nicht reif - lassen wir mal konkret werden - für wirklich eine Art Sparkommissar von außen, oder einen Berater aus Brüssel in Athen, der dort die Geschäfte erst mal führt?

    Schneider: Mit Verlaub, das haben wir ja schon die ganze Zeit. Seit einem Jahr geht dort die Europäische Zentralbank, der IWF ein und aus, die Parlamente sind de facto ausgeschaltet, gleiches haben sie in Portugal und in Irland, das Volk kann sich nicht mehr an der Willensbildung beteiligen, sondern es wird aufoktroyiert von außen und letztendlich auch der Daumen gehoben oder gesenkt. Also de facto ist die Demokratie dort schon ausgehöhlt und sie haben einen Sparkommissar.

    Bremkamp: Muss man vielleicht auch Währungsunion neu denken?

    Schneider: Aber nur in dem Punkt, indem sie sagen, dass wir den Grundfehler der Währungsunion wieder rückgängig machen oder sagen wir mal den ändern, nämlich dass sie nämlich neben einer Währungsunion auch eine politische Union brauchen, das heißt auch eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Was wir jetzt in den vergangenen Jahren erlebt haben ist ja, dass wir eine gemeinsame Währung haben, aber jeder machen konnte was er wollte und dementsprechend auch die Haushaltszahlen der einzelnen Länder durch die Staatsschuldenkrise jetzt durch die Decke gegangen sind, und diese unabgestimmte Politik mit den vielen Claqueuren, die sie da auch auf europäischer Ebene haben - man hat ja Sorge vor jedem Treffen der Finanzminister, was dann an einzelnen Stimmen wieder herauskommt -, das verunsichert nur, und sie brauchen im Kern eine Europäische Union, die viel stärker auch im finanziellen Bereich zusammenarbeitet, denn ansonsten geht es zurück in die Nationalstaaten und das ist eine Rückentwicklung der Europäischen Union, die ich bei Leibe nicht haben will.

    Bremkamp: Das verunsichert mittlerweile sogar die USA. Wie viel Zeit haben wir denn noch Ihrer Meinung nach?

    Schneider: Die Uhr tickt. Die Amerikaner sind nicht ohne Grund so nervös, sie haben ja auch extreme Probleme mit ihrer Staatsfinanzierung, und mein Vorwurf an Herrn Schäuble und Frau Merkel ist einfach, dass sie das eine Jahr Zeit, das sie uns mit vielen Milliarden Euro gekauft haben, um Griechenland über Wasser zu halten, in dieser Zeit ist nichts passiert. Es ist ja wirklich nichts passiert. Erst jetzt, ganz kurz vor Toresschluss, wird wieder aufgewacht und wird über eine Gläubigerbeteiligung gesprochen; geregelt worden hätte sie aber im letzten Jahr sein können. Im Gegenteil: durch die missbräuchliche Nutzung der Europäischen Zentralbank über Anleihegeschäfte, Staatsfinanzierung letztendlich, ist sogar noch die wichtigste Institution für sicheres Geld in Misskredit geraten und fällt letztendlich als Ratgeber der öffentlichen Hand aus.

    Bremkamp: Das sagt Carsten Schneider, er ist der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

    Schneider: Ebenso!