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SPD-Fraktionsvorsitz
Nahles lässt früher wählen

SPD-Chefin Andrea Nahles stellt sich ihren Kritikern: Statt im September hat sie schon für nächste Woche ihre Wiederwahl als Fraktionschefin im Bundestag auf die Tagesordnung gesetzt. Damit möchte sie nach den desaströsen Wahlergebnissen parteiinterne Herausforderer dazu zwingen, Farbe zu bekennen.

Von Frank Capellan | 28.05.2019
Vorsitzende Andrea Nahles vor einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion im Bundestag
SPD-Chefin sucht im Ringen mit ihren Kritikern die Entscheidung um den Fraktionsvorsitz (www.imago-images.de)
Andrea Nahles will´s wissen. Die Chefin zockt. Wollen wir doch mal sehen: Wer mich herausfordern will, der kann das gerne tun. Ich stelle mich der Konkurrenz:
"Die Verantwortung, die ich habe, die spüre ich, die will ich aber auch ausfüllen,"
hatte sie noch gestern Nachmittag erklärt. Nichts klang nach Rückzug. Und zurückziehen will sich die Partei- und Fraktionschefin weiterhin nicht. Die angeschlagene Vorsitzende geht in die Offensive: Wer es besser kann - bitte melden! Da scheint sie von ihrem Vorgänger und Kontrahenten Sigmar Gabriel gelernt zu haben, der dazu aufgefordert hatte, den Hut in den Ring zu werfen, als es um den Kanzlerkandidaten ging. Martin Schulz sollte es damals machen. Niemand anderes traute sich 2017, Gabriel eingeschlossen. Und, so hofft Nahles, so könnte es auch diesmal mit Blick auf den Fraktionsvorsitz laufen:
"Schaffen wir Klarheit. Ich schlage deswegen den Gremien der Fraktion vor, dass wir die Fraktionsvorsitz-Wahlen, die eigentlich für Ende September geplant waren, jetzt vorziehen, dass wir die nächste Woche durchführen. Und dann sollen all diejenigen, die glauben, dass sie den anderen Weg gehen wollen, sich aber auch hinstellen und sagen: Ich kandidiere!"
Weil gegen Personalwechsel
Im engsten Kreis hatte sich Nahles am Abend zu dieser Ansage entschlossen. "Was nun", Frau Fraktions- und Parteivorsitzende? - Ein ZDF-Interview, das zeigt, wie groß der Druck geworden ist. Putschgerüchte hatte es schon vor der Wahl gegeben, dass die immer noch mächtigen Landesverbände NRW und Niedersachsen zusammenstehen und Nahles seit Anfang des Jahres immer wieder mal vor sich hergetrieben haben, ist niemandem entgangen. Doch ausgerechnet der derzeit wohl noch beliebteste Sozialdemokrat, Niedersachsens Landeschef Stephan Weil, wendet sich klipp und klar dagegen, nun wieder einmal das Personal auszutauschen:
"Die SPD hat reichlich Erfahrung mit Personalwechsel an der Spitze. Das hat sich unter dem Strich für die SPD nicht positiv ausgezahlt,"
bekräftigt der Ministerpräsident von Niedersachsen, dessen Wort in der Partei großes Gewicht hat, im "Phoenix"-Interview. Demonstrativ stärkt er ihr den Rücken: Andrea Nahles soll die SPD weiter führen, als Partei- und Fraktionsvorsitzende:
"Sie ist es und sie bleibt es! – Und sie soll es auch bleiben? – Sie soll es auch bleiben, wenn sie es ist, und sie wird es bleiben, dann soll sie es auch sein."
Noch Fragen? Ob sich Matthias Miersch, ebenfalls ein Niedersachse, Sprecher der Linken in der SPD, die gestern einen Kurswechsel gefordert hatten, das genauso sieht, ist noch nicht ganz geklärt. Und Martin Schulz, der den Aufstand zu wagen schien und von Nahles zum Vier-Augen-Gespräch zitiert wurde, hatte erklärt, nur dann für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren, wenn sich die Chefin freiwillig zurückziehen würde. Eine Gegenkandidatur allerdings ist eine andere Nummer.
Mattheis für Offenheit
Auch Achim Post, der NRW-Landesgruppenchef, dürfte erst einmal ausloten wollen, ob es überhaupt eine Mehrheit gegen Nahles in der Fraktion geben könnte. Ein Putsch, der in der Zeitung angekündigt wird, findet meistens nicht statt, hatte Ex-Parteichef Gabriel, Intimfeind von Nahles, festgestellt.
"Er könnte Recht haben,"
meint Hilde Mattheis, die vielleicht Linkeste unter den Linken in der SPD, am Morgen im Deutschlandfunk. Sie ist eine der Wenigen, die sich äußern mag. Die Bundestagsabgeordnete findet es gut, dass Nahles nun die Vertrauensfrage stellt und es für die Kritiker heißt: Butter bei die Fische!
"Ich glaube allerdings, dass mit offenem Visier wir sehr viel mehr für eine Partei tun können als das irgendwie über Presse zu lancieren. Die Protagonisten sind mehrfach in der Presse genannt worden, das will ich jetzt hier gar nicht wiederholen. Von daher kann ich das absolut nachvollziehen, dass sie da den Zeitplan für sich anders gestaltet."
Mattheis gehört allerdings zu den Gegnern der Groko. Sie sieht sich nun bestätigt. Aber hat Nahles als vehemente Kämpferin für diese Koalition wirklich eine Zukunft? Kommt darauf an, was wir noch erreichen, meint Stephan Weil. Die Revisionsklausel, der Groko-Stresstest im Herbst, ist für ihn entscheidend:
"Beim Thema Große Koalition gibt es eine klare Vereinbarung, nämlich eine Halbzeitbilanz."
Über alles wird nun schon morgen diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion wird in einer Sondersitzung den Weg in eine ungewisse Zukunft beraten. Die Zeit drängt. Nahles will Klarheit.