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SPD gegen Mehrwertsteuererhöhung

Der SPD-Linke Michael Müller hat die Forderung nach einem höheren Steuersatz für Spitzenverdiener verteidigt. Müller lehnte zudem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ab, weil dies vor allem die Bezieher kleiner Einkommen treffen werde.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Ende dieser Woche will Gerhard Schröder die Vertrauensfrage stellen. Wie er das macht und ob es ihm auf diesem Weg gelingt, Neuwahlen herbeizuführen, steht noch nicht fest. Doch alle rechnen damit. Und so bereiten die Parteien ihre Wahlprogramme vor. Die Union will ihres am 11. Juli vorlegen, die SPD eine Woche früher. Gestern hat das Präsidium der Sozialdemokraten beraten, Weniges ist nach außen gedrungen. Das Wenige und wenn er mehr weiß und verraten möchte, gern auch mehr, wollen wir jetzt mit Michael Müller besprechen. Er ist der stellvertretende Fraktionschef im Bundestag und gehört dem linken Parteiflügel an. Guten Morgen Herr Müller.

    Michael Müller: Guten Morgen.

    Heuer: Die Reichensteuer hat das SPD-Präsidium beschlossen. Wie viel Geld soll das denn bringen?

    Müller: Wir haben das berechnet und das schwankt zwischen 1,2 und 1,7 Milliarden Euro. Aber das muss ich alles unter Vorbehalt stellen, da wir das noch mal sehr präzise berechnen müssen. Es ist ein Beitrag, der nicht einfach nur erhoben werden soll, sondern er muss in den wichtigsten Sektor für die Zukunftsvorsorge gehen, nämlich in mehr Innovation, in mehr Wissenschaft und Forschung. Man kann ja auch in Europa sehen, dass die Länder, die in diesen Bereichen mehr ausgeben auch wirtschaftlich besser dastehen. Deshalb ist das ganz dringend, dass da mehr passiert.

    Heuer: 1,2 bis 1,7 Milliarden Euro, das klingt erst einmal viel, wenn man das aber ins Verhältnis setzt zu einer Erhöhung er Mehrwertsteuer auf 20 Prozent, dann ist das verschwindend wenig, denn diese Erhöhung der Mehrwertsteuer würde 80 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen. Wieso will die SPD die Mehrwertsteuer trotzdem nicht erhöhen?

    Müller: Abgesehen davon, dass ich diese Zahl, 80 Milliarden, für überhöht ansehe, muss man ja sehen, dass wir ein zentrales Problem in unserer wirtschaftlichen Entwicklung haben: Wir sind ja nicht per se schlecht, sondern wir sind gespalten in der ökonomischen Entwicklung, sehr gut, im internationalen Bereich sogar Weltspitze, aber wir haben eben die Krankheit der Binnenwirtschaft, also dass wir national nicht richtig auf die Beine kommen. Und wenn man jetzt unter diesen Bedingungen eine Mehrwertsteuer, die vor allem im unteren Bereich erhebliche Kaufkraft abschöpfen würde, macht, dann wäre das sicherlich für die Binnenkonjunktur überhaupt nicht gut.

    Insofern macht man eine sehr differenzierte Strategie, vor allem für höhere Einkommen. Man muss ja sehen, Geld ist in Deutschland vorhanden, die Sparquote war fast noch nie so hoch und es ist eben eine entscheidende Frage, dass man dort etwas gestaltender eingreift und nicht einfach nur an die Masse geht.

    Heuer: Trotzdem Herr Müller, wie wollen Sie denn die leeren Staatskassen wieder füllen? Selbst wenn sie 1,7 Milliarden Euro mit der so genannten Reichensteuer einnehmen, das reicht ja lange nicht aus.

    Müller: Wir haben eine Menge an Vorschlägen gemacht, auch im Subventionsabbau. Da gibt es ja eine ganze Menge Vorschläge, leider sind diese Vorschläge in der Vergangenheit vom Bundesrat allzu häufig blockiert worden. Dabei meine ich jetzt nicht nur die Frage der Eigenheimzulage. Es gab ja ein ganz dickes Paket 1999, mit dem wir dann leider nicht die Mehrheit haben finden können, was aus meiner Sicht bis heute zurückwirkt.

    Heuer: Aber die Mehrheit finden Sie doch auch jetzt nicht.

    Müller: Entschuldigung, aber das ist, glaube ich, ein Denkfehler bei vielen. Wenn man jetzt zu einer vorgezogenen Wahl kommt, dann thematisiert man damit auch einerseits das Wechselverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat und da wird Blockadepolitik, wenn die Wahl, in dem Sinne, wie ich mir das erhoffe, ausgeht, sehr viel schwieriger werden. Und zum Zweiten: Man darf nicht vergessen, wir hätten, wenn es normal geblieben wäre, bis zu Bundestagswahl vier Wahlen gehabt und die hätten die Blockadepolitik in dramatischer Weise noch verschärft.

    Insofern ist dieses schon in sich logisch und man kann das nicht nur mit den Status -quo-Betrachtungen sehen, sondern man muss vor allem die nächsten zwölf Monate sehen. Ich hoffe, dass durch diese Wahl auch in Deutschland eine politische Entwicklung in Gang gesetzt wird, die wieder mehr Verantwortung dem Bund zuweist und insofern sehe ich diese Wahl in einer gewissen Weise auch als eine Art Reifeprüfung für unsere Demokratie an.

    Heuer: Ein Abschied von Hartz IV, ein genereller, den hat das SPD-Präsidium gestern nicht beschlossen. Reicht der Parteilinken das aus?

    Müller: Ich würde dies auch für falsch ansehen. Man kann sicherlich über jeden einzelnen Punkt von Hartz IV reden, aber erstens gibt es auch viele Bereiche, wo durch die Reformen deutliche Besserungen eingetreten sind, insbesondere bei Jugendlichen. Aber der zweite Punkt scheint mir noch viel wichtiger. Viele Kritiker von Hartz IV weisen dann auf die Entwicklung in skandinavischen Ländern hin. Sie sagen aber nicht, dass gerade in den skandinavischen Ländern derartige Reformen vor allem zwischen 1990 und 1995 gemacht worden sind.

    Unser Problem mit Hartz ist eigentlich, dass es nicht in einer Zeit mit wirtschaftlicher Prosperität, also vor allem in den 90er Jahren, als noch eine andere Regierung in Deutschland war, gemacht wurde, sondern dass wir das unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen nachholen. Das ist das eigentliche Problem von Hartz IV, unbeschadet von einzelnen Aspekten, aber wir werden auch überall da - wir sehen, dass es Fehlentwicklungen gibt - sicherlich zu Korrekturen kommen. Und das halte ich im Grundsatz auch für richtig.

    Heuer: Nun befindet sich die SPD aber faktisch im Wahlkampf. Wie wollen Sie denn mit einem "weiter so" der so genannten Linkspartei das Wasser abgraben in diesem Wahlkampf?

    Müller: Abgesehen davon, dass ich das nicht für eine Linkspartei halte, weil eine linke Partei immer eine Antwort darauf geben muss: Wie ist heute sozialer Fortschritt möglich? Und ich kann da nicht mit Instrumenten, die aus meiner Sicht Instrumente einer vergangenen Epoche sind, operieren. Nationalstaat, hohes Wachstum und der alte Sozialkorporatismus der Deutschland lange Zeit geprägt hat, war in seiner Zeit gut, aber er funktioniert eben heute unter den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr und deshalb gehört für mich zu einer Linkspartei nicht nur die Kritik, sondern auch die Selbstkritik und da mangelt es doch erheblich.

    Wie soll man die Debatte führen? Ich glaube, dass zwei Elemente entscheidend sind: Erstens, wir müssen ganz im Zentrum unserer Wahl auch das Thema Europa stellen. Wir müssen sagen: Vieles an Kritik gegenüber Europa ist berechtigt, nur die Schlussfolgerung, die die Populisten in Europa daraus ziehen, nämlich Nein zu Europa zu sagen, ist nicht unsere Sache. Wir sagen, im Gegenteil, um so mehr rein mit den Ideen der sozialen Demokratie nach Europa und dort Europa vor allem als Gestaltungsmacht zur sozialen und ökologischen Erneuerung der Marktwirtschaft benutzen. Das zweite Thema wird sein: Wir müssen natürlich vor allem wieder den Aspekt des Ausgleichs zwischen sozialen Interessen und wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund rücken und Abschied von dem Postliberalismus - ich sage das, weil ich das nicht als neoliberal ansehe - erreichen.

    Heuer: Gehört dazu eine Anhebung des Arbeitslosengeldes II in Ostdeutschland aufs Westniveau, was ja auch gestern im Präsidium besprochen wurde? Und gehört dazu auch eine Rückkehr zu den alten Zumutbarkeitsregeln, wie Ihr Parteifreund Klaus Brandner dies vorschlägt? Was ja dann doch beides Änderungen an Hartz IV wären.

    Müller: Wir diskutieren im Augenblick über eine Reihe von Punkten, die auch im Zusammenhang mit dem Monitorbericht von Frau Bergmann, Herrn Biedenkopf und Herrn Rappe stehen. Dazu gehört zum Beispiel, wie die Vermögensfrage in Zukunft behandelt werden soll, dazu gehört auch, ob wir nicht in der Frage der Qualifikation zu Verbesserungen kommen müssen und dazu gehört ohne Zweifel auch, ob man nicht in den neuen Bundesländern zu einer Anhebung auf Westniveau kommen muss. Das sind Punkte, die werden wir jetzt am Freitag und dann am Wochenende entscheiden, um am Montag dann zu einer gemeinsamen Vorlage zu kommen, die wir dann in den entsprechenden Gremien in der Partei beschließen werden.

    Ich sehe das nicht als einen Abschied von Hartz IV an. Die Grundelemente von Hartz IV bleiben und sie sind auch richtig. Im Übrigen wäre es für die SPD nicht glaubwürdig, sich jetzt von den letzten sieben Jahren zu verabschieden, denn das ist nicht aus Jux und Dollerei gemacht worden, sondern als notwendige Korrektur in bestimmten Arbeitsmarktbereichen, weil wir doch wissen, dass bestimmte Strukturen in der Vergangenheit nicht verlängerbar sind. Allerdings brauchen sie mehr Zeit, als wir erwartet haben.

    Heuer: Noch eine Frage zur Linkspartei: Wenn diese so genannte Linkspartei stark genug wird, dann könnte sie rechnerisch dafür sorgen, dass es im Parlament nur eine große Koalition geben kann, nach Neuwahlen. Wäre das besser für die SPD als gar nicht zu regieren?

    Müller: Erst mal glaube ich, auch wenn es jetzt merkwürdig klingt, dass diese Wahl noch nicht verloren ist, weil die Mehrheit, die sich in den Meinungsumfragen im Augenblick andeutet, die beruht ja doch auf sehr vielen Widersprüchlichkeiten und Irrationalitäten. Ein Punkt: Wir wissen alle, dass wir ein starkes Europa brauchen. Wieso dann jemand gewählt werden soll, der vor allem in den letzten Jahren Europa geschwächt hat, will mir nicht in den Kopf.

    Und so gibt es viele andere. Die Regierung Kohl hat in den 90er Jahren dramatisch versagt bei den Sozialreformen. Wieso soll die jetzt die Feuerwehr spielen? Insofern, ich glaube, dass es vor allem auch darauf ankommt, die Irrationalitäten zu beseitigen, aber zweitens zu der neuen Linkspartei, da sage ich auch ganz deutlich, das ist eine Partei, die den Blick nach hinten wirft. Die ist eine Flucht vor der Wirklichkeit. Und deshalb wäre es aus meiner Sicht fatal, wenn sie viel kriegt, aber ich sehe auch keine Alternative in einer großen Koalition. Das wäre auch keine gute Lösung.

    Heuer: Michael Müller, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, ich danke Ihnen für das Gespräch.