Meurer: Frau Schmidt, was wissen Sie über das Treffen heute Abend in Hannover? Ist das ein Krisengipfel?
Schmidt: Nein, es ist sicherlich eine Vorbesprechung für die nächste Woche. Nächste Woche beginnen wieder die ganz normalen Gremiensitzungen. Die Osterferien sind zu Ende. Ich gehe davon aus, dass natürlich unsere Parteivorstandssitzung am Montag genauso wie die Fraktionssitzung nächste Woche vorbereitet werden muss. Natürlich haben wir im Moment eine Situation, wie man sie sich nicht wünscht. Nach außen bieten wir nicht gerade ein Bild der Geschlossenheit. Das wäre aber eigentlich notwendig.
Meurer: Hat man den Widerstand an der Basis unterschätzt?
Schmidt: Ich wehre mich ein bisschen dagegen, dass Bundestagsabgeordnete und hohe Funktionsträger, die Mitglied des Parteivorstandes sind, als Basis bezeichnet werden. Wenn solche Menschen ein Mitgliederbegehren anzetteln, dann hat es weniger etwas mit Basis zu tun. Da fühlen sich Funktionäre und hochrangige Mandatsträger in ihren Gremien in der Minderheit und versuchen jetzt, an anderer Stelle eine Mehrheit anzuzetteln. Ich gehe davon aus, dass das nicht gelingt. Ich glaube, dass das, was Gerhard Schröder in der Agenda 2010 vorgestellt hat, genauso umgesetzt werden muss. Es geht hierbei nicht um Details des Gesetzgebungsverfahrens, sondern um eine große Linie.
Meurer: Unterschätzen Sie das Unbehagen an der Basis, das darin begründet ist, dass hier Dinge kassiert und beschlossen werden sollen, die im Widerspruch zu dem stehen, was die SPD noch im Wahlprogramm gesagt hat?
Schmidt: Ich behaupte nicht, dass es ein Spaziergang ist. Ich behaupte aber, dass man das erklären kann. In meiner Funktion komme ich ja nicht gerade wenig in der Gegend herum, rede mit den Menschen und höre mir ihre Sorgen an. Man kann sehr viele Dinge der sogenannten Basis sehr viel verständlicher machen als es sich manche vorstellen. Ich glaube, wir sollten uns hier nicht einigeln, sondern wir sollten unsere Positionen offensiv vertreten. Wir sollten auch deutlich machen, dass unsere Zielsetzung nicht darin besteht, von Menschen irgendwelche Leistungen einzukassieren, sondern möglichst schnell und effektiv Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Meurer: Wie sollen die SPD-Mitglieder es vermitteln, dass es sozialdemokratisch sein soll, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu kürzen? Betroffen davon werden ältere Arbeitnehmer sein. Wie sollen sie vor diesem Hintergrund erklären, dass die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfe herunter gekürzt wird?
Schmidt: Hierzu möchte ich zwei Dinge sagen. Es gab unter Sozialdemokraten eine einjährige Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auch für ältere Arbeitnehmer. Norbert Blüm hat dieses dann auf die heutige Bezugsdauer erhöht, weil er Schwierigkeiten mit den Rentenkasse und mit anderen Dingen hatte. Es war also sozialdemokratisch, das Arbeitslosengeld nicht so lange beziehen zu lassen. Deshalb sehe ich jetzt nichts Unsozialdemokratisches in den langen Übergangsfristen und darin, dass man eigenes Vermögen nicht in dem Unfang anrechnet wie bisher, insbesondere wenn eine lange Lebensleistung dahinter steht. Jetzt komme ich zu dem zweiten Punkt. Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe sind beides steuerfinanzierte und nicht etwa beitragsfinanzierte Regelungen. Es ist nicht ganz einzusehen, warum jemand, der vorher nicht erwerbstätig war, eine andere steuerfinanzierte Leistung bekommt, die ihn vor Not bewahren soll, als derjenige, der aus der Arbeitslosigkeit kommt. Dadurch wird es lange Übergangsfristen geben, und wir werden das erklären können. Insofern sehe ich nicht, was daran unsozialdemokratisch sein soll, wenn beides, und das ist für mich die Voraussetzung, dazu dient, Menschen schneller wieder in Arbeit zu bringen.
Meurer: Nun hat ja der Generalsekretär, Olaf Scholz, die Aufgabe, den Parteivorsitzenden zu entlasten. Hat er in den letzten Wochen einen guten Job gemacht?
Schmidt: Ich glaube nicht, dass das Radio der richtige Ort ist, darüber zu diskutieren, wer wann wie einen guten Job gemacht hat. Vielleicht hätten wir früher vorgewarnt werden müssen. Aber das ist unsere gemeinsame Aufgabe und nicht nur die von Olaf Scholz. Wenn Leute, ohne den Fraktionsvorsitzenden, ohne den Parteivorsitzenden vorher zu informieren, ein solches Mitgliederbegehren anzetteln, dann halte ich das für einen groben Vertrauensbruch. Kein Mensch von uns ist im Besitz der seherischen Gabe. Wir müssen wissen, was auf uns zukommt. Ich war in früheren Jahren auch schon in Positionen, wo ich nicht das gewollt habe, was die Parteiführung oder die Regierung, so wie sie von uns gestellt worden ist, gewollt hat. Ich wäre niemals auf die Schnapsidee gekommen, etwas an den Vorsitzenden meiner Gremien vorbei zu machen. Meuer: Aber da sagen umgekehrt die SPD-Bundestagsabgeordneten, die Sie meinen, auch: 'Wir werden ja auch oft vor vollendete Tatsachen gesetzt und erfahren so etwas aus der Zeitung und sollen es nur noch abnicken.'
Schmidt: Das stimmt überhaupt nicht. Gerhard Schröder hat im Vorfeld dieser Agenda 2010 mit wahnsinnig vielen Leuten gesprochen, natürlich nicht mit jedem einzelnen Bundestagsabgeordneten. Ich war selbst in der Fraktion dabei, als vieles im Detail diskutiert worden ist. Ich habe insbesondere von denen, die jetzt Unterzeichner dieses Mitgliederbegehrens sind, in dieser Fraktionssitzung, wo es um Vorschläge zur Umsetzung der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ging, kein Wort gehört. Sie haben nicht protestiert, sondern saßen in der Fraktionssitzung und haben den Mund nicht aufgemacht. Das halte ich dann schon für einen Vertrauensbruch.
Meurer: Wäre es eine Lösung, wenn man zwar auf der einen Seite Sozialleistungen kürzt oder zeitlich mehr befristet und auf der anderen Seite aber die Besserverdienenden zur Kasse bittet? Der neuste Vorschlag, über den angeblich diskutiert wird, beinhaltet, Aktienverkäufe mehr zu besteuern.
Schmidt: Ich glaube, es ist vernünftig, das Einkommen, egal woher es stammt, zu besteuern. Das ist aber jetzt keine Lösung, kein Äquivalent für das andere, weil damit kein Mensch schneller in Arbeit gebracht wird. Es ist eine etwas bessere Verteilung von Lasten in dieser Gesellschaft und deshalb ist es sicherlich zu begrüßen.
Meurer: Also Sie könnten sich vorstellen, dass Kursgewinne mehr besteuert werden als bis jetzt?
Schmidt: Das kann ich mir gut vorstellen, aber nicht als Lösungsmöglichkeit für die hohe Arbeitslosigkeit. Uns geht es darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Da sollte man alle Möglichkeiten ausschöpfen. Wolfgang Clement sagt ja immer, dass es Rechte und Pflichten gebe. Beides gehöre zusammen. Genau das wollen wir mit dieser Agenda 2010 versuchen.
Meurer: Am 1. Juni ist der Sonderparteitag. Wenn es dann eine Mehrheit für die Reformen gibt, womit eigentlich die meisten Beobachter doch rechnen, erwarten Sie dann, dass sich die Minderheit fügen und im Bundestag dann auch entsprechend mit der Fraktionsmehrheit stimmen wird?
Schmidt: Davon gehe ich aus.
Meurer: Sind Sie sich sicher, dass es dann auch kein Mitgliederbegehren mehr geben wird?
Schmidt: Ich gehe davon aus, dass die Menschen, die das machen, von der Vernunft geleitet werden und wissen, dass es hier um unsere Regierungsfähigkeit ginge. Diese Regierungsfähigkeit setzt man nicht mutwillig aufs Spiel. Ich wiederhole es noch einmal. Ich setze lieber zehn Prozent dessen, was ich gerne durchsetzen möchte, um, anstatt 150 Prozent auf Papier zu schreiben, das in dann in den Papierkorb werfen kann, wenn ich in der Opposition bin.
Meurer: Vielen Dank, Frau Schmidt!
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