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SPD-Generalsekretärin Barley
"Wir müssen Rücknahmeabkommen abschließen"

Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley hat funktionierende Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen aus Algerien und Marokko gefordert. Natürlich müsse man auch Sanktionen in Aussicht stellen, wenn sich Länder kontinuierlich weigerten, Flüchtlinge zurückzunehmen, sagte sie im DLF. Es gebe mehrere Tausend Ausreisepflichtige aus diesen Ländern.

Katarina Barley im Gespräch mit Bettina Klein | 18.01.2016
    Katarina Barley, Generalsekretärin der SPD.
    Katarina Barley, Generalsekretärin der SPD. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Barley erklärte, mit Algerien gebe es bereits ein Rücknahmeabkommen, das aber nicht funktioniere. Mit Marokko sei noch keins abgeschlossen worden. Sie verwies auf die Praxis mit Ländern des Westbalkans. Mit diesen seien Abkommen vereinbart worden und die Zuzugszahlen seien unter anderem deswegen massiv gesunken. Dies müsse auch schnell mit Algerien und Marokko passieren.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Bettina Klein: Am Telefon ist jetzt die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Schönen guten Morgen.
    Katarina Barley: Guten Morgen.
    Klein: Frau Barley, helfen Sie uns weiter. Wo genau steht die SPD jetzt eigentlich in der Flüchtlingspolitik, uneingeschränkt hinter der Kanzlerin, oder wo?
    Barley: Das Ziel ist jedenfalls nicht die Demontage der Kanzlerin - ich habe Ihren Vorspann ja gehört -, sondern das Ziel ist, diese Situation in den Griff zu bekommen. Und da unterstützen wir alle Maßnahmen der Kanzlerin, die vernünftig sind. Wir machen unsere eigenen Vorschläge und wir kritisieren auch da, wo sie nicht genug tut.
    Klein: Welche Maßnahmen genau unterstützen Sie jetzt?
    Barley: Es ist nicht nur ein Dreiklang, es ist eine Vielzahl von Maßnahmen. Das eine, auch wenn es lange dauert, ist das Wichtigste: Wir müssen am Ende die Fluchtursachen bekämpfen. Das heißt, das Engagement von Frank-Walter Steinmeier in den Krisengebieten ist unendlich wichtig. Ganz viele insbesondere aus Syrien wollen ja auch zurück, wenn sich die Verhältnisse in ihren Heimatländern bessern. Dann geht es tatsächlich um die Unterstützung der Anrainerstaaten. Wenn man sieht, wie viele Flüchtlinge Jordanien und der Libanon aufnehmen im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl, das ist schon irre. Dann das Abkommen mit der Türkei, das ist dann Sache auch tatsächlich der Regierungschefin, dort zu Lösungen zu kommen, ebenso wie innerhalb Europas.
    Klein: Ich habe jetzt viel gehört über Herkunftsländer und über Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Die Frage ist ja, was trägt die SPD mit, wenn es um die Maßnahmen hier in Deutschland geht. Niedersachsens Ministerpräsident Weil - wir haben es gerade noch mal gehört - gehört Ihrer Partei an, hat vergangene Woche gesagt, Deutschland steht ziemlich alleine da, wir brauchen jetzt einen Plan B. Wie sieht der Plan B der SPD aus?
    Barley: Verwaltungsabläufe verbessern
    Barley: Zum einen müssen wir endlich dazu kommen, dass unsere Verwaltungsabläufe so funktionieren, wie sie das tun sollten. Denn das Problem ist ja nicht die absolute Zahl der Menschen, sondern das Problem ist die Geschwindigkeit, mit der sie zu uns kommen und mit der wir die ganzen Vorgänge bearbeiten. Viele von denen müssen Deutschland ja auch wieder verlassen. Und die Registrierung, die Zuordnung auch zu den jeweiligen Herkunftsstaaten und die weitere Bearbeitung, das muss endlich schneller werden. Da hat die SPD dem zuständigen Innenminister letztes Jahr 2000 Stellen in seinen Haushalt geschrieben, die er gar nicht beantragt hatte, damit das zügiger geht. Und natürlich muss man auch über Maßnahmen nachdenken, dass für Flüchtlinge aus bestimmten Ländern klar ist, dass sie nicht bleiben können. Wir haben das mit dem Westbalkan bereits erfolgreich praktiziert. Und so muss es jetzt auch mit Nordafrika passieren.
    Klein: Dann knüpfen wir da noch mal an. Ihr Parteichef Sigmar Gabriel sagte gestern in den "Tagesthemen", zumindest indirekt konnte er so verstanden werden, da muss Druck auf Herkunftsländer erhöht werden, vor allen Dingen was Marokko und Algerien angeht, dass die Asylbewerber, die hier nicht angenommen werden, wieder aufnehmen. Und Gabriel verband das mit der Androhung, so wurde es verstanden, möglicherweise auch die Entwicklungshilfe zu kürzen. Wir hören uns das ganz kurz noch mal an:
    O-Ton Sigmar Gabriel: "Es kann nicht sein, dass man sozusagen die Entwicklungshilfe nimmt, aber die eigenen Bürger nicht, wenn sie bei uns kein Asyl bekommen können, weil sie einfach keinen Grund haben, aus ihrem Land zu flüchten. Das ist die Bedingung, die wir an diese Länder stellen müssen."
    Klein: Frau Barley, was heißt das jetzt konkret?
    Barley: Wir müssen Rücknahmeabkommen abschließen. Das haben wir schon mit verschiedenen Ländern auch zum Beispiel im Westbalkan gemacht. Das heißt, dass diejenigen Länder, aus denen diese Flüchtlinge kommen, sich verpflichten, ihre Staatsbürger wieder zurückzunehmen. Mit Marokko haben wir das noch nicht. Mit Algerien gibt es das, aber das funktioniert nicht vernünftig, das müsste neu verhandelt werden. Und das muss dringend geschehen. Denn wir haben etwa, ich glaube, es sind mehrere Tausend Ausreisepflichtige, aber die Herkunftsländer nehmen sie nicht zurück. Und natürlich muss man auch Sanktionen in Aussicht stellen, wenn die Länder sich kontinuierlich weigern.
    Klein: Das heißt, Entwicklungshilfe wird wann gekürzt?
    Barley: Ob das Entwicklungshilfe ist, oder eine andere Größe, muss man sehen. Wir haben ja viele Formen der Zusammenarbeit, auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen Ländern.
    Klein: Und wieviel Zeit soll dem gegeben werden?
    Barley: Das muss schnell passieren. Wir haben das wie gesagt mit dem Westbalkan ja auch gemacht. Und wir haben gesehen, dass die Zahlen, die Zuzugszahlen aus dem Westbalkan unter anderem deswegen massiv gesunken sind.
    Klein: Jetzt haben wir in dem Zusammenhang auch schon gehört, dass sich CDU und CSU darauf verständigt haben, diese Asylbewerber aus diesen Ländern in bestimmte Rückführungszentren dann unterzubringen. Das trägt die SPD auch voll mit?
    Barley: Das ist schon geltende Lage. Das passiert. Diejenigen, die keine Aussicht oder wenig Aussicht auf Erfolg haben in ihrem Asylverfahren, die sollen nach Möglichkeit nicht auf die Kommunen verteilt werden. Das macht ja auch keinen Sinn, weil sonst die Kommunen auch überfordert werden. Die bemühen sich um Integration und müssen das dann jedes Mal wieder tun. Deswegen ist das schon lange die Maßgabe, möglichst diejenigen in den Kommunen zu verteilen, die auch bleiben dürfen.
    Klein: Frau Barley, eine weitere Frage ist die nach der Sicherung der EU-Außengrenzen/deutschen Grenzen. Wieweit geht die SPD da mit, denn die Diskussion geht im Augenblick ja weiter bis hin zu der Frage, ob man auch Bundespolizei verstärkt an den deutschen Außengrenzen einsetzen sollte, um die zu sichern, weil das Schengen-Abkommen nicht mehr wirklich funktioniert?
    Barley: Keine Schließung der deutschen Außengrenzen
    Barley: Wissen Sie, ich wohne in einer Stadt, von der aus man mit dem Fahrrad in einem Tag durch vier europäische Länder fahren kann. Bei uns fährt man über die Grenze zum Einkaufen, zum Arbeiten, zum Freunde besuchen jeden Tag mehrmals. Ich glaube, wenn man leichtfertig über die Aufgabe von Schengen spricht, dann hat man nicht wirklich vor Augen, was das für unseren Alltag auch bedeuten würde. Da müssen wir wirklich alles ausschöpfen, bevor wir an eine Schließung oder verstärkte Kontrolle von Grenzen denken.
    Klein: Aber es ist ja de facto so, dass es nicht mehr funktioniert.
    Barley: Ja, aber wir haben noch viele Möglichkeiten, die wir auch ausschöpfen können, von denen ich ja einige genannt habe.
    Klein: Das habe ich noch nicht verstanden. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie als SPD-Teil der Regierung beitragen, dass die EU-Außengrenzen geschützt werden?
    Barley: Ach so! Entschuldigung! Ich war jetzt insgesamt bei der Reduzierung von Flüchtlingszahlen. Nein, eine Sicherung der EU-Außengrenzen kann natürlich nur EU-weit erreicht werden. Das ist ganz klar. Da brauchen wir eine stärkere Kooperation innerhalb der EU. Aber wir müssen die Länder mit den Außengrenzen auch unterstützen. Wenn man ganz ehrlich ist, muss man ja sagen, wir haben diese Länder auch ziemlich lange mit dem Problem alleine gelassen. Gerade Lampedusa oder auch Griechenland, dass dort so viele Flüchtlinge ankommen, das ist ja nicht erst seit einem Jahr so.
    Klein: Wenn das nicht klappt, so wie es bisher nicht geklappt hat, trägt die SPD dann die Sicherung deutscher Außengrenzen innerhalb der EU mit?
    Barley: Was wir nicht mittragen ist eine Schließung der Grenzen, so wie das populistisch insbesondere die CSU immer wieder propagiert. Man muss gucken, was realistisch ist. Man darf den Leuten auch keine Scheinlösungen anbieten. Wir haben mehrere tausend Kilometer Außengrenze. Wir sind nicht Dänemark oder Schweden. Diese Länder können ihre ein oder zwei Landgrenzen mal vorübergehend noch nicht mal wirklich dicht machen, aber relativ effektiv kontrollieren.
    Klein: Sie halten es praktisch für unmöglich, die deutschen Außengrenzen zu sichern, wenn die EU-Außengrenzsicherung nicht mehr funktioniert? Verstehe ich das richtig?
    Barley: Komplette Schließung absolut illusorisch
    Barley: Eine vollständige Sicherung der deutschen Außengrenze würde bedeuten, dass man Mauern hochzieht, Stacheldraht hochzieht, weil natürlich, wenn die Leute nicht mehr über die Grenzübergänge kommen können, wir Ausweichbewegungen feststellen werden. Wir hatten das damals in Passau, als die Transitzonen von der Union ins Spiel gebracht worden sind. Und da sagte uns der Oberbürgermeister von Passau, lasst das um Himmelswillen sein, im Moment kommen die Leute und wir können die kontrolliert hier verwalten und registrieren und verteilen. Wenn ihr so was macht, dann werden die über die grüne Grenze gehen. Verstärkte Kontrollen ist was anderes, aber eine komplette Schließung ist absolut illusorisch. Und man sollte den Leuten da keine Scheinlösungen anbieten.
    Klein: Frau Barley, wir sprechen darüber, wieweit die Parteien der Großen Koalition noch hinter dem bisher eingeschlagenen Kurs stehen. Der Altkanzler Ihrer Partei, Gerhard Schröder, hat sich ganz klar gegen die Kanzlerin positioniert und hat gesagt, sie hätte das viel stärker als Ausnahme deklarieren müssen, was da im September passiert ist. Wir haben am Samstagmorgen bei uns im Programm die Integrationsbeauftragte Özoguz hören können, die auch davon sprach, der Zuzug müsse begrenzt werden - das war ihr Wort -, und dabei auch auf die Stimmung im Land hingewiesen hat. Ist es auch für die SPD eine Gratwanderung, nicht Wasser auf die Mühlen von Rechtsradikalen zu gießen, die im Augenblick sich äußern und teilweise auch zur Selbstbewaffnung aufrufen. Und andererseits die Ängste und Nöte der Menschen ernst zu nehmen?
    Barley: Ja, natürlich ist das eine Gratwanderung. Denn es ist so viel leichter, Angst zu schüren, als differenziert so eine Situation zu betrachten. Und natürlich, wenn dann Vorfälle wie in Köln hinzukommen, dann wird das auch nicht besser. Aber wir müssen klar machen, natürlich müssen wir die Zahlen reduzieren. Aber wir müssen vor allen Dingen auch in unserem eigenen Land die Strukturen schaffen und nutzen, damit wir diese Zahlen bewältigen können. Und da haben wir noch Luft nach oben. Was ich überhaupt nicht für sinnvoll halte ist, jetzt ein parteipolitisches Spielchen daraus zu machen. Wir müssen an einem Strang ziehen, damit wir das schaffen. Wir müssen diese Gesellschaft zusammenhalten. Und wir müssen gemeinsam auch gegen Rechtspopulisten da angehen.
    Klein: ... sagt die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch, Frau Barley.
    Barley: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.