Archiv


SPD hält am Atomausstieg fest

Der stellvertretende Fraktionschef der SPD im Bundestag, Ulrich Kelber, hat die Position seiner Partei zum Atomausstieg bekräftigt. Eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke würde nur die Gewinne der Energiekonzerne steigern, sagte Kelber. Außerdem sei die Atomkraft für den Klimaschutz unbedeutend.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Das Thema Klimaschutz spielt auch hierzulande eine Rolle, denn "Atomkraft nein danke!". Immer weniger Bundesbürger sind strikt gegen die Nutzung der Kernenergie. Im Gegenteil: angesichts rasant steigender Energiepreise wächst die Zahl der Befürworter. Auch politisch geraten die AKW-Gegner in die Defensive. In der Großen Koalition stellt die Union den Atomausstiegsbeschluss immer lauter in Frage und auf internationaler Ebene (zum Beispiel beim G8-Gipfel) ist Deutschland weitgehend isoliert. Doch die SPD um ihren Umweltminister Gabriel will ohne Wenn und Aber am Text des Koalitionsvertrages festhalten und Schluss machen mit der Kernenergie. Der Atomausstieg soll ins Grundgesetz, so die jüngste Forderung.
    Die Fronten sind also klar. Der Streit um die Atomenergie könnte zum Kernthema im heraufziehenden Bundestagswahlkampf werden. - Ulrich Kelber ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Guten Morgen Herr Kelber!

    Ulrich Kelber: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Kelber, aus aktuellem Anlass zunächst zum G8-Gipfel. Sie haben mitgehört. Man hat sich in Japan geeinigt auf die Halbierung der Treibhausgase. Wollen Sie der Kanzlerin gratulieren zu ihrem Gipfelerfolg?

    Kelber: Es ist eindeutig ein Fortschritt gegenüber Heiligendamm und es ist auch so, dass Deutschland mit Angela Merkel dort die treibende Kraft ist. Ich bin noch gespannt auf die Details der Einigung, weil es gibt da noch einen wichtigen Punkt. Wir brauchen - da sind sich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig - eine Halbierung der Treibhausgas-Emissionen insgesamt. Das heißt die großen Industriestaaten selber müssen mehr als eine Halbierung leisten, damit Staaten wie Indien, die heute bei einem Zehntel oder Zwölftel der deutschen Emission pro Kopf liegen, Wachstumsmöglichkeiten haben. Das heißt das Ziel muss sein: Die Welt muss halbieren. Die Industriestaaten müssen um 60 bis 80 Prozent reduzieren.

    Heinlein: Aber man könnte zum Beispiel beim Klimaschutz noch mehr erreichen, wenn man verstärkt auf die Atomenergie setzt. Das ist zumindest die Überzeugung der G8-Staaten außer Deutschland.

    Kelber: Nicht nur Deutschland. In der Tat haben ja auch die Experten der UN-Kommission - das IPCC macht ja genau diese Geschichten für die Vereinten Nationen - gesagt, von den zwölf Maßnahmen zum Klimaschutz ist Atomenergie die unwichtigste. Das kann man an einer einfachen Zahl ablesen. Selbst wenn alle Atomkraftwerke, über die geredet wird, gebaut werden, dann hat die Atomkraft im Jahre 2030 einen Anteil von drei Prozent am Weltenergieverbrauch. Das hat mit den Notwendigkeiten des Klimaschutzes auch überhaupt nichts zu tun. Da geht es um die Frage: Will man diese Energieform haben? Sollen die Betreiber viele Milliarden Euro mehr an Gewinnen haben? Aber mit Klimaschutz hat die Debatte überhaupt nichts zu tun.

    Heinlein: Also die SPD hat die Weisheit gepachtet und alle anderen G7-Staaten in diesem Fall außer Deutschland gehen in die falsche Richtung?

    Kelber: Das hat mit der SPD und Weisheit zu pachten nichts zu tun, sondern ich habe gerade erwähnt: Es gibt eine Wissenschaftlervereinigung der Vereinten Nationen mit mehreren Tausend Wissenschaftlern (IPCC). Die haben einen Abschlussbericht gemacht und gesagt, wir haben zwölf Methoden für den Klimaschutz untersucht. Atomenergie ist klar die Nummer zwölf! Das sind die Top-Wissenschaftler der Welt. Dass einzelne G8-Staaten wie Frankreich sagen, ich möchte für meine Energieerzeugung vor Ort die Atomenergie nutzen, dass das George W. Bush für Amerika sagt, ist eine andere Frage als die des Klimaschutzes, weil einfach von der Größenordnung her das nicht der entscheidende Anteil ist. Sie müssen nur nachrechnen; das sind Naturgesetze, ist Mathematik. Wenn die Amerikaner ihre gesamte Stromversorgung aus Nuklearanlagen decken würden, hätten sie bei ihrem Öl- und Gasverbrauch in den Autos und in den Wohnungen immer noch die zehnfache Pro-Kopf-Emission von CO2 wie zum Beispiel die 1,1 Milliarden Inder.

    Heinlein: Also Sie fühlen sich, Herr Kelber, sowohl national als auch international auf politischer Ebene wohl als einsamer Kämpfer gegen die Atomkraft?

    Kelber: Sie interpretieren ja bereits, dass es einsam ist. 160 von 190 Staaten nutzen keine Nukleartechnologie. Bei einigen dieser Staaten sind wir sehr froh, dass sie sie nicht nutzen. Das ist ja eine Debatte, die auch nie geführt wird: Wer soll eigentlich alles Zugang zur Nukleartechnologie bis hin auch zu Nuklearbomben bekommen, wenn die Nukleartechnologie weltweit verbreitet werden soll? Und auch in Deutschland ist ja trotz des Trommelfeuers einiger Medien und auch der milliardenschweren Konzerne dahinter immer noch in jeder Umfrage eine Mehrheit für den Ausstieg. Man darf das nicht unterschätzen. Gestern ist das ja ausgerechnet worden. Eine Verlängerung der Laufzeiten würde alleine RWE und Eon 20 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne bringen - nicht für die Bürgerinnen und Bürger, sondern für die beiden Betreiberfirmen, die beiden größten. 20 Milliarden Euro Gewinne! Und dass damit natürlich Öffentlichkeitsarbeit verbunden ist? Ich halte das für eine Sensation, dass gegen dieses Trommelfeuer immer noch eine klare Mehrheit sagt "wir wollen dies nicht".

    Heinlein: Aber Herr Kelber, den meisten Bürgern scheint es inzwischen mittlerweile ganz egal zu sein, aus welcher Quelle die Energie kommt, Hauptsache der Strom wird billiger.

    Kelber: Sie haben doch selber die Umfragen zitiert und in diesen Umfragen hat eine Mehrheit gesagt, trotz teilweise einer Fragestellung wie: "Wollen sie angesichts steigender Energiepreise den Atomausstieg beibehalten" - die Fragestellung ist ja suggestiv -, ja, wir wollen das, weil die Menschen einiges wissen. Heute laufen alle Atomkraftwerke noch. Trotzdem erhöhen die Betreiber jedes Jahr den Preis. Nach welcher Logik sollte denn das Weiterbetreiben dieser Kraftwerke zu sinkenden Preisen führen? Das kann ja keiner der Befürworter des Ausstiegs aus dem Atomausstieg begründen. Gestern hat der Verbraucherzentralen-Bundesverband - ich zähle ihn ja immer nur auf, weil Sie von isoliert sprechen - erzählt, dass selbst unter optimistischen Annahmen eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke eine Senkung der Stromkosten von 50 Cent im Monat bedeuten würde. Das sind alles Fakten, das sind alles Zahlen. Ich glaube da nützt es nichts zu sagen, wer das zitiert ist isoliert.

    Heinlein: Fakt ist auch, Herr Kelber, dass ein Mann wie Erhard Eppler - er ist immer noch ein Vordenker des ökologischen Bewusstseins Ihrer Partei - inzwischen laut nachdenkt über längere Laufzeiten.

    Kelber: Das war doch ein genialer Vorschlag. CDU/CSU sagen, uns geht es nur um längere Laufzeiten und wir wollen die Gelder, die daraus gewonnen werden, bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern deponieren und nicht bei den Konzernen. Dann geht Erhard Eppler hin und sagt, wenn ihr das wirklich wollt, dann macht zwei Sachen. Erstens: Bietet uns an, dass das Verbot des Baus neuer Kraftwerke ins Grundgesetz geschrieben wird. Und zweitens: Akzeptiert irgendeine gesetzliche Möglichkeit, dass die zusätzlichen Gewinne - ich habe Ihnen das gerade genannt: 20 Milliarden Euro alleine für Eon und RWE - abgeschöpft und den Verbraucherinnen und Verbrauchern gegeben werden. Beides lehnen CDU und CSU ab. Daraus sieht man: Es geht nicht darum, Strom zu verbilligen, sondern es geht darum, riesige Gewinne den Energiemonopolisten zuzuschieben, die uns allen seit Jahren das Geld aus der Tasche ziehen. Ich halte das nicht für einen schlauen Vorschlag und Erhard Eppler hat das wunderbar auf den Punkt gebracht.

    Heinlein: Letzte Frage zum Schluss. Gibt es denn nach 2009 noch die Möglichkeit einer Neuauflage der Großen Koalition, wenn sich Union und SPD in dieser Frage des Atomausstieges nicht einig werden?

    Kelber: Das sehe ich schon. Wir werden nach der Wahl sehen, für was es Mehrheiten gibt. Im Augenblick gibt es in keiner Umfrage Mehrheiten für Parteien, die den Atomausstieg beenden wollen. Von daher werden sich sowohl CDU/CSU als auch SPD anschauen müssen: Mit wem kriegen sie ihre Politik durch. Wenn die Große Koalition weitermachen muss, dann wird sie das auch tun und der Atomausstieg wird Bestandteil dieser Politik bleiben.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!