Archiv


SPD in der Klemme

Der Politologe Peter Lösche gibt der SDP nur sehr begrenzte Profilierungschancen in der Großen Koalition. "Erst wenn die Innenpolitik wieder ganz im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung steht, hat die SPD Chancen zu punkten", sagte Lösche. Allerdings äußerte er sich skeptisch, ob das Thema Mindestlohn zu einem für die SPD entscheidenden Wahlkampfthema für 2009 werden kann.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Pflegereform und Mindestlöhne, beides stand auf der Tagesordnung der Großen Koalition vorgestern Abend. Heraus kam kein großer Wurf, sondern eine Minimalverständigung, mit der beide Parteien nicht recht zufrieden sind. Bei der Pflege gibt es bessere Leistungen, aber auch höhere Beiträge. Zukunftsfähig wird die Versicherung durch die Beschlüsse keineswegs. Und für die beschlossene kleine Ausweitung von Mindestlöhnen in Deutschland hat die Große Koalition ein sehr kompliziertes Tarifverfahren ersonnen. Besonders die Sozialdemokraten hadern damit. ( MP3-Audio , Bericht von Gerhard Irmler)

    Am Telefon in Berlin ist der Politikwissenschaftler Professor Peter Lösche. Guten Tag, Herr Lösche!

    Peter Lösche: Guten Tag, Herr Spengler!

    Spengler: Herr Lösche, lassen Sie uns zunächst gemeinsam ein Zitat des Arbeitsministers Franz Müntefering anhören. Vor gut einem Jahr sprach er sich im Deutschlandradio Kultur gegen eine gesetzliche Regelung für einen einheitlichen Mindestlohn aus. und er plädierte stattdessen für tarifliche Einigungen über eine Ausweitung des Entsendegesetzes.

    "Das ist mir lieber, weil natürlich das ist immer auch eine Frage der Tarifautonomie. Wenn man das über das Entsendegesetz machen könnte wie im Baugewerbe oder demnächst bei den Gebäudereinigern, dann ist das einfacher. Dann kann der Gesetzgeber sich ganz heraushalten und dann können die Tarifparteien das miteinander vereinbaren. Und je nach dem, wie die Lohnlage ist in der jeweiligen Branche, kann man dann auch sehr viel differenzierter da rangehen, als wenn man das mit einem einheitlichen Betrag fürs ganze Land machen wollte."

    Soweit Franz Müntefering vor einem Jahr. Obwohl die Große Koalition nun also genau das beschlossen hat, die Ausweitung des Entsendegesetzes auf mehrere Branchen, zeigt sich der Vizekanzler heute nach der Einigung empört und verärgert über die Union. Ist das typisch, Herr Professor Lösche, für die SPD? Sie setzt Teile ihres Programms durch, aber hadert dann anschließend, und die Union heftet es sich als Erfolg an, dass sie nachgegeben hat?

    Lösche: Nun, das ist nicht nur typisch für die SPD; das ist typisch für Parteien in der Großen Koalition. Nur beim kleineren Partner, beim Juniorpartner, wird das besonders prekär deutlich. Die SPD sucht ja hilferingend nach einem zentralen Thema, mit dessen Hilfe sie eine Strategie für den Bundestagswahlkampf 2009 und für die Landtagswahlkämpfe im kommenden Jahr entwickeln kann. Die SPD ist in den Umfragen kontinuierlich abgesunken, und so erklärt sich auch die ja widersprüchliche Äußerung von Müntefering von vor einem Jahr und heute aktuell. Das heißt, die Umfragedaten leiten natürlich ganz knallharte Lernprozesse ein, und so kann man vielleicht verstehen, wie diese Widersprüchlichkeit zustande kommt.

    Spengler: Womit erklären Sie sich denn diese miserablen Umfragewerte?

    Lösche: Im Moment sieht es doch so aus, dass aufgrund der internationalen Erfolge nicht nur Frau Merkel, sondern auch ein bisschen die CDU davon profitieren, dass die SPD in den Hintergrund gerückt ist. Außenpolitik spielte im Moment die große Rolle. Erst wenn die Innenpolitik wieder ganz im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung steht, hat die SPD Chancen zu punkten.

    Hinzu kommt aber, dass durch die Veränderung unseres Parteiensystems die SPD in eine prekäre Situation gekommen ist. Sie ist eingeklemmt zwischen der CDU/CSU auf der einen und der Linkspartei auf der anderen Seite. Bei CDU/CSU meine ich insbesondere die Sozialausschüsse, die wie die SPD, wie übrigens auch die Linkspartei, für soziale Gerechtigkeit eintreten. Das heißt, das spezifisch sozialdemokratische Profil - Westerwelle würde von dem Alleinstellungsmerkmal sprechen - fehlt.

    Spengler: Herr Lösche, das klingt so, als sei die SPD unverschuldet in eine Notlage geraten.

    Lösche: Es ist nicht unverschuldet, aber es hat eben Veränderungen innerhalb des Parteiensystems gegeben, und es hat Erwartungen an die Große Koalition, insbesondere an die SPD, gegeben, die nicht zu erfüllen waren. Das Problem der SPD liegt aber auch darin, dass sie selbst nicht in der Lage gewesen ist bisher, den Diskussionsprozess um das neue Programm der Partei so in die Öffentlichkeit hineinzutragen, dass eine Sogwirkung entsteht, dass konzeptionell erkennbar wird, dass die SPD weiß, wo sie hin will, dass sie eine Strategie hat. Es fehlt sozusagen, wenn man es pathetisch ausdrückt, an der großen Erzählung.

    Spengler: Ist es denn nur die Erzählung, oder fehlt der SPD tatsächlich die Strategie selbst? Die einen bekennen sich ja zu ihrer Regierungsverantwortung und wollen auch auf ihre Erfolge hinweisen, während die anderen ständig diese Erfolge klein reden in derselben Partei.

    Lösche: Es fehlt der SPD in der Tat an einer Strategie, die die Kritiker in der eigenen Partei auch mitzieht. Eine Programmdiskussion hat vor allen Dingen und zuerst den Sinn, die eigene Partei zu integrieren, hinter sich zu bekommen und dann gemeinsam nach vorne zu gehen. Genau diese Aufgabe hat die Programmdiskussion bisher nicht erfüllt, so dass die Partei in sich zerspalten ist. Man sieht es schon äußerlich daran, dass es ja drei Gruppierungen, Flügel, in der Partei gibt: die Netzwerker, die Seeheimer, die parlamentarische Linke. Hinzu kommt dann aber, dass bei ganz konkreten Fragen die Kritik quer durch alle Gruppierungen und Flügel geht. Das heißt, die SPD ist nicht auf eine bestimmte Strategie eingeschworen, macht nach außen den desolaten Eindruck, den sie macht im Moment.

    Spengler: Was soll sie jetzt tun? Soll sie den Konflikt innerhalb der Großen Koalition suchen? Soll sie keinen Konflikt suchen? Soll sie die Große Koalition verlassen?

    Lösche: Ähnlich wie bei der ersten Großen Koalition gibt es bestimmte Gemeinsamkeiten, bei denen man Politik machen kann. Dann aber gibt es Punkte, bei denen man in die Auseinandersetzung, in den Konflikt hineingehen muss, wegen der Sache selbst, aber auch um sich zu profilieren. Das war bei der ersten Großen Koalition die Ostpolitik. Dieses Thema fehlt bisher der SPD, um sich zu profilieren von der Sache her, aber auch aus wahltaktischen Gründen. Es ist der Versuch, die Frage des Mindestlohnes zu einem solchen Thema zu machen. Nur ob das ausreicht, um sich von der CDU/CSU abzugrenzen und gegenüber der Linkspartei zu profilieren, erscheint mir höchst fraglich, zumal die Bundestagswahlen noch mehr als zwei Jahre in der Zukunft liegen.

    Spengler: Weiten wir unseren Blick auf die Große Koalition generell. Haben all die Recht behalten, die von einer Großen Koalition nur kleine Resultate erwarten?

    Lösche: Ja, sie haben Recht behalten aus einem ganz banalen Grund: Wir täuschen uns häufig optisch dadurch, dass die Große Koalition eine große Mehrheit im Bundestag hat - auch im Bundesrat -, und dass man glaubt, da wären große Reformen möglich. Die Realisten, die die großen Zweifel hatten, die Sie gerade schon erwähnen, haben deswegen Recht behalten, weil es ja nicht nur zwei große Parteien sind, die miteinander koalieren, sondern innerhalb der Parteien gibt es die höchst verschiedenen Interessengruppen, Flügel, die auf eine gemeinsame Linie gebracht werden müssen, damit die Regierungsmehrheit bei Abstimmungen sich immer wieder herstellt. Das heißt, vordergründig werden Kompromisse geschlossen, die weder strukturell tief gehen, noch in die Zukunft weisen, und hintergründig sind die Differenzen zwischen den Parteien eben doch noch so groß, dass sie entgegen dem, was häufig gesagt wird, gar nicht zum Verwechseln ähnlich sind, wenn Sie etwa an die Gesundheitsreform denken. Das Konzept einer Bürgerversicherung bei der SPD stand im völligen Kontrast zu der Kopfpauschale der CDU/CSU.

    Spengler: Und entsprechend sah auch der Kompromiss aus. Professor Peter Lösche, herzlichen Dank für das Gespräch. Ich danke Ihnen für Ihre ernüchternden Bemerkungen.

    Lösche: Bitte schön.