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SPD in der Krise

Spengler: Heute beginnen im deutschen Bundestag in Berlin die Haushaltsberatungen. Morgen kommt es zur Generaldebatte. Dann wird Bundeskanzler Gerhard Schröder einen zweiten Versuch machen, mit einer Regierungserklärung die Politik seiner Regierung so zu erklären, dass mehr als nur die treuesten Anhänger davon überzeugt werden. Am Telefon begrüße ich nun Hans-Jochen Vogel, den langjährigen Fraktionschef und ehemaligen Parteivorsitzenden der SPD. Guten Morgen. Herr Vogel.

    Vogel: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Vogel, wie sehr grämen Sie sich um das derzeitige Erscheinungsbild der Sozialdemokraten und der von ihnen geführten Regierung?

    Vogel: Sicher könnte dies Erscheinungsbild besser sein, aber ich gräme mich ein bisschen über den Zustand unserer Politik insgesamt. Darüber, dass in merkwürdiger Eintracht der frühere Vorsitzende aus Saarbrücken, ein ehemals angesehener Wissenschaftler aber auch Repräsentant der CSU, die Lage mit der Endphase von Weimar vergleichen und dass so ein hasserfüllter Ton angeschlagen wird. Das grämt mich im eigentlichen Sinne. Bei dem Erscheinungsbild der Koalition würde ich mir natürlich manches besser wünschen aber ein Erscheinungsbild wird natürlich auch bestimmt durch das, was geleistet werden muss und wenn Finanzlöcher gedeckt werden müssen, dann wird das zu keiner Zeit Begeisterung auslösen.

    Spengler: Das ist klar, aber in neuesten Umfragezahlen würde die SPD derzeit gerade einmal 28 Prozent der Stimmen erhalten. Haben Sie einen solchen Fehlstart einer Bundesregierung und einen so großen demoskopischen Absturz nur zwei Monate nach einer Wahl schon einmal erlebt in Ihrem politischen Leben?

    Vogel: Demoskopische Zahlen, das wissen Sie selbst, werden immer ein bisschen relativiert; aber ich räume ein, eine solche Entwicklung hat es nicht häufig gegeben. Fehlstart... ja, es hat schon auch bei Helmut Kohl Fehlstarts gegeben, wenn ich mich also beispielsweise an das Jahr 1987 nach der damaligen Wahl erinnere und - das muss ich leider einräumen - der Start der sozialliberalen Bundesregierung war ja nach der Wahl 1998 auch nicht gerade zu blendend. Aber ich sage noch mal: es kommt natürlich auf das an, was die Regierung jeweils zu bewältigen hat und wenn die Wahl anders ausgegangen wäre, dann hätten diese finanziellen Probleme - ich rede jetzt nicht von den großen Reformen, zunächst mal diese aktuellen finanziellen Probleme, natürlich auch von der Union angepackt werden müssen und das hätte natürlich auch entsprechende Wirkungen gehabt, vor allen Dingen, wenn dann die SPD als Opposition sich ähnlich verhalten hätte, wie die gegenwärtige Opposition. Wissen Sie, da fällt mit immer die berechtigte Mahnung von Richard von Weizsäcker ein: Dass Parteien teilweise nicht dazu neigen, Probleme nicht zu lösen sondern sie zur Bekämpfung des Gegners zu instrumentalisieren.

    Spengler: Herr Vogel, Sie als Person standen immer für Zuverlässigkeit und Seriosität. Hätten Ihre Parteifreunde, Sie sprachen die Finanzlöcher an, vor der Wahl einfach ehrlicher sein müssen?

    Vogel: Ich kenne natürlich die Details und die zahlen nicht so, dass ich mir ein sicheres Urteil erlauben kann. Ich will es so formulieren: man kann darüber streiten, ob nicht manche Anzeichen für noch stärkere Defizite nicht schon früher hätten thematisiert werden sollen. Aber die Länderfinanzminister - und zu denen gehören ja eine ganze Reihe der Union an - die haben doch diese Anzeichen genauso gekannt und die SPD war mit ihren Wahlaussagen, ihrem Wahlprogramm, finanziell viel zurückhaltender als die Union, die ja je nach Berechungen auf 40, 50 oder 60 Milliarden zusätzlicher Ausgaben kam. Ich weiß nicht, ob wirklich hier die Parteien gegenseitig mit den Fingern aufeinander zeigen können.

    Spengler: Nun gut, nun haben wir halt eine Regierung und die steht in einer Verantwortung. Verstehen Sie denn, dass die Bürger tief enttäuscht sind von dieser Regierung, dass sie sich irgendwie betrogen und auch entmündigt fühlen, weil vor der Wahl eben doch anders geredet wurde und nun ziemlich schamlos in die Taschen gegriffen wird?

    Vogel: Entschuldigung, als Jurist bin ich mit strafrechtlichen Begriffen wie 'betrogen' natürlich wesentlich vorsichtiger, als jemand, der das in der Umgangssprache verwendet. Ich sage noch mal: es wäre sicher erwägenswert gewesen, machen Anzeichen, die es gab, stärker zu thematisieren. Dass Menschen, wenn sie glaube, es hinken die staatlichen Leistungen oder es steigen ihre Belastungen so reagieren, wie sie es tun, dafür habe ich ein gewisses Verständnis, wobei ich Ihnen allerdings sagen muss: manches kommt mir auch im Bereich der Medien maßlos übertrieben vor, nicht. Es wird ein Bild gezeigt, als wenn wir unmittelbar vor der Katastrophe stünden. Jemand meines Jahrgangs, der sich an die Jahre nach 45, aber auch an die 50er- und 60erjahre erinnert, der faß0t sich da manchmal an den Kopf, wenn beispielsweise im Gesundheitsbereich Ärztevertreter den Eindruck erwecken, wenn ein Jahr die Einnahmen dort nicht steigen, dann sei das fast schon der Untergang. Diese Übertreibungen erschrecken mich. Und wissen Sie, dass die Stimmung so ist, wie sie ist, das muss natürlich in erster Linie die Regierung verantworten, da haben Sie natürlich völlig recht. Ich hoffe, dass gerade morgen Gerhard Schröder die Gelegenheit nutzt, um hier auch durch deutliche Aussagen eine Veränderung herbeizuführen.

    Spengler: Was würden Sie ihm raten, an was soll er appellieren, was soll er den Bürgern erklären?

    Vogel: Ich bin mit Ratschlägen deshalb vorsichtig, weil Ratschläge auch Schläge sein können und wenn ich welche zu geben habe, dann nicht über die Medien, dann rede ich selbst mit ihm. Ich würde infolgedessen nur folgendes sagen können: erstens das Ausmaß der finanziellen Probleme sachlich ohne Panik darstellen, sagen warum die Maßnahmen, die jetzt vorgeschlagen werden notwendig sind, die Union immer wieder fragen, was sie eigentlich für Alternativen hat, das ist ja ein Thema, auf das es ke9ine Antworten gibt und dann in Umrissen auch die großen Reformen, die es etwa auf dem gebiet der Rente oder der Krankenversicherung sicher geben muss in großen Linien zu umreißen.

    Spengler: Auch ein Appell an die Bürger, so eine Art 'Blut, Schweiß und Tränen'-Rede, was jetzt oft gefordert wird?

    Vogel: Lieber Herr Spengler, wissen Sie, das ist wieder ein so maßloser Vergleich. Wissen Sie, was 'Blut, Schweiß und Tränen'-Rede war? Das war die Rede Churchills in einem Augenblick, in dem die deutsche Landung drohte und England wirklich in einer Existenzsituation war. Ich kann mich an diesen Maßlosigkeiten und Übertreibungen nicht recht begeistern.

    Spengler: Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch. Das war Hans-Jochen Vogel, der langjährige SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende.

    Link: Interview als RealAudio