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SPD-Innenpolitiker
Lischka: Mittel für Flüchtlinge nach festem Schlüssel bereitstellen

Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka wirbt für einen festen Schlüssel, mit dem Geld an Kommunen und Länder für die Flüchtlingsversorgung aufgeteilt wird. Sonst gehe der Streit über die Verteilung der Mittel jedesmal wieder los, wenn sich die Prognosezahl ändere, sagte er im Deutschlandfunk.

Burkhard Lischka im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 09.09.2015
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    "Es muss eine feste Größenordnung geben", sagte Lischka. Dann könnten sich alle Beteiligten darauf einstellen. Der SPD-Innenpolitiker wies zudem Kritik der Länder an dem Ergebnis des Koalitionsgipfels zur Flüchtlingsfrage zurück. Nur auf den Bund zu zeigen, sei keine Verantwortungsgemeinschaft. Die Bundesländer, auch Nordrhein-Westfalen, müssten sich an die eigene Nase fassen, wenn nur ein Bruchteil der Mittel bei den Kommunen ankomme.
    Lischka betonte, es müsse eine bessere Abstimmung zwischen Bund und Ländern geben. Wenn beispielsweise ein Zug mit Flüchtlingen in Österreich losfahre, müsse man den Bundesländern mitteilen, wo wie viele Menschen hinkämen. Der Bund habe darauf reagiert und richte eine Task Force ein.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Bestnoten hat Angela Merkel erhalten im In- und Ausland für ihre Entscheidung, die Flüchtlinge, die sich in Ungarn zu Fuß auf den Weg nach Österreich machten, in Deutschland aufzunehmen. Allerdings meldeten sich auch die Kritiker zu Wort. Die CSU sprach von einem völlig falschen Signal und auch innerhalb der SPD-regierten Länder ist der Unmut groß. SPD-Chef Sigmar Gabriel habe sich bei den Verhandlungen im Kanzleramt über den Tisch ziehen lassen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die Flüchtlingspolitik, zentrales Thema auch bei der Generaldebatte heute im Deutschen Bundestag.
    Telefonisch verbunden sind wir jetzt mit Burkhard Lischka. Er ist innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Lischka.
    Burkhard Lischka: Schönen guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Lischka, in den Bundesländern herrscht Unmut über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Sechs Milliarden Euro für die Unterbringung und die Integration, davon drei für Länder und Kommunen, die reichten wohl bei weitem nicht. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat sich da gestern laut und vernehmlich zu Wort gemeldet. Sie könne die viel beschworene Verantwortungsgemeinschaft nicht erkennen, hat sie sogar gesagt. Hat sich also Sigmar Gabriel da über den Tisch ziehen lassen?
    Lischka: Nein, das glaube ich nicht. Es ist das gute Recht der Länder, mehr Geld zu fordern. Ich darf nur daran erinnern: Es ist jetzt gerade mal neun Monate her, da haben sich Bund und Länder auf eine Summe von 500 Millionen pro Jahr geeinigt, damals auf der Grundlage von gut 200.000 Flüchtlingen. Dann ist das verdoppelt worden im Frühjahr, gemeinsam mit den Ländern auf eine Milliarde. Wir haben jetzt eine Verdreifachung auf drei Milliarden entsprechend vorgeschlagen. Da werden wir in den nächsten Tagen weiter drüber verhandeln müssen, ob das ausreicht oder nicht ausreicht. Aber nur auf den Bund zu zeigen, ist auch noch keine Verantwortungsgemeinschaft, und ich finde, einige Länder müssen sich da auch an die eigene Nase packen, wenn sie ihren Kommunen beispielsweise nur einen Bruchteil der Kosten, die bei den Kommunen anfallen, erstatten.
    "Es wird zu einer einvernehmlichen Lösung kommen"
    Heckmann: Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen?
    Lischka: Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen. Wie gesagt: Ich möchte mich an diesem Schwarze-Peter-Spiel nicht beteiligen. Man muss jetzt in Ruhe überlegen, wie wir zu einer dauerhaften Finanzierung des Bundes kommen, ob der Bund beispielsweise eine Pauschale pro Flüchtling bezahlt, oder ob er bestimmte Bereiche komplett übernimmt. Wovon ich vor allen Dingen weg möchte - und ich denke, das ist auch im Interesse der Länder -, dass wir bei jeden neuen Prognosezahlen hier neu über Zahlungen und Bundesbeteiligungen verhandeln. Da muss es jetzt eine feste Größenordnung geben. Und ich bin mir sicher: Wenn sich Bund und Länder am 24. September treffen, dann wird es da auch zu einer einvernehmlichen Lösung kommen.
    Heckmann: Hannelore Kraft hat auch gesagt, nicht nur fürs kommende Jahr wird Geld benötigt, sondern bereits natürlich für dieses Jahr. Muss da Finanzminister Schäuble nicht in der Tat nachschießen und ist die schwarze Null im Haushalt für dieses und auch für das kommende Jahr nicht schon längst Makulatur? Wie sehen Sie das?
    Lischka: Na ja. Wir leben ja im Augenblick in der Situation, wo unsere Wirtschaft brummt, wir gute Steuereinnahmen haben, wo der Bund auch mehr zur Verfügung hat, als ursprünglich prognostiziert. Insofern gibt es finanzielle Spielräume, um das gemeinsam hinzubekommen.
    Heckmann: Aber sechs Milliarden sind ja kein Pappenstiel und dabei dürfte es wahrscheinlich auch nicht bleiben.
    Drei Flüchtlingskinder wurden in einer Unterkunft in Essen im Ruhrgebiet
    Drei Flüchtlingskinder in einer Unterkunft in Essen im Ruhrgebiet (imago / Ralph Lueger)
    Lischka: Das ist im Augenblick alles ein Stückchen weit Kaffeesatzleserei. Wir wissen nicht, wie hoch sind denn eigentlich die Flüchtlingszahlen im nächsten Jahr. Haben wir 500.000, haben wir 800.000, haben wir eine Million, reden wir über zwei Millionen? Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man jetzt zu gemeinsamen Verabredungen kommt, einen festen Schlüssel zu bilden, der dann dazu führt, dass man nicht anhand neuer Prognosen immer neu verhandelt, sondern dass man eine Zahl hat, worauf sich alle einstellen.
    Heckmann: Habe ich das gerade richtig verstanden? Sie rechnen damit, dass möglicherweise zwei Millionen Flüchtlinge im nächsten Jahr in Deutschland zu erwarten sind?
    Lischka: Nein! Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es im Augenblick reine Kaffeesatzleserei ist und keiner eine seriöse Vorgabe machen kann und eine seriöse Prognose machen kann darüber, wie viele Flüchtlinge beispielsweise im nächsten Jahr kommen. Nur deutlich wird auch bei der derzeitigen Zahl von etwa 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr, dass unsere Möglichkeiten auch begrenzt sind. Im Augenblick liegt die Hauptlast auf drei europäischen Ländern und das kann so nicht bleiben.
    "Es war ein wichtiges humanitäres Signal"
    Heckmann: Dazu kommen wir ja auch später noch mal, zu dieser Quote. - Hannelore Kraft, die hat allerdings auch kritisiert, dass am Wochenende zunächst mal die Rede war von 7.000 Flüchtlingen, die jetzt nach Deutschland kämen. Gekommen seien mehr als 20.000. Haben Sie den Eindruck, dass sich Angela Merkel und Sigmar Gabriel eigentlich über die Konsequenzen dieser Entscheidung bewusst gewesen sind, nämlich dass das als Signal verstanden werden muss an diejenigen, die sich gerade auf den Weg machen, sich ebenfalls auf den Weg nach Deutschland zu machen?
    Lischka: Es war ein wichtiges humanitäres Signal, das ich auch nicht zu kritisieren habe. Ich glaube aber, was sich verbessern muss ist in solchen Situationen wie am vergangenen Wochenende, dass es zu einer besseren Abstimmung kommt zwischen dem Bund und den Ländern, damit wenn in Österreich Züge in Bewegung gesetzt werden, dass man dann in Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen oder Baden-Württemberg weiß, welcher Zug kommt eigentlich bei mir an und mit wie vielen Personen. Auch darauf hat der Koalitionsausschuss reagiert, indem er vorsieht, dass dafür künftig eine Task Force eingesetzt werden soll.
    "Die Menschen würden zur Not über den Nordpol kommen"
    Heckmann: Die Bundesregierung spricht ja davon, dass es eine Ausnahme gewesen ist, diese Entscheidung, die Flüchtlinge am Wochenende aufzunehmen, eine Ausnahmeentscheidung in einer Notsituation. Viele, die sich gerade auf den Weg machen - wir hören die Meldungen aus Ungarn, aus Serbien -, die sehen das offenbar anders. Die sehen die Chance, dass das noch so weitergeht. Wie wollen Sie denn eigentlich verhindern, dass sich weitere Märsche bilden, die dann Einlass in Österreich und in Deutschland verlangen?
    Begleitet von einem Polizeiauto sind zahlreiche Menschen zu Fuß auf der Autobahn unterwegs.
    Flüchtlinge auf der Autobahn nach Budapest (AFP/Csaba Segesvari)
    Lischka: Wir werden diese Märsche nicht verhindern können. Wir haben mittlerweile Fluchtwege, die über den Polarkreis führen. Uns muss deutlich sein: Selbst wenn wir Grenzzäune errichten würden, die Menschen würden zur Not über den Nordpol oder über den Südpol kommen, weil sich das Elend und der Krieg in Syrien ja nicht in den nächsten Wochen in irgendeiner Art und Weise auflöst.
    Heckmann: Aber gerade dann wiederholt sich ja diese Notsituation und im Prinzip müsste genau die gleiche Entscheidung wieder getroffen werden.
    Lischka: Deswegen ist es umso dringender, dass wir beispielsweise am kommenden Montag auf dem Ministerrat der europäischen Innenminister hier tatsächlich zu Lösungen kommen müssen. In Europa leben insgesamt 5,8 Millionen. Wir reden derzeit über Flüchtlinge von knapp zwei Millionen. Würde Europa das endlich als solidarische und gemeinsame Aufgabe begreifen, dann würden wir das auch bewältigen können. Aber es kann nicht in Zukunft durch drei Staaten in Europa bewältigt werden. Die können nicht im Alleingang die Welt retten und 25 andere Staaten tun so, als wenn sie das überhaupt nichts angeht.
    "Ein Hochverrat an europäischen Werten"
    Heckmann: Ungarns Polizei geht mittlerweile mit Gewalt gegen die Flüchtlinge vor. Wir haben die Bilder gestern gesehen. Es sind regelrechte Jagdszenen gewesen, die man da hat sehen müssen. Da gab es auch massive Kritik durch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Aber gehen wir mal davon aus, dass das jetzt eine Ausnahme gewesen ist, diese Entscheidung, die Flüchtlinge aufzunehmen, dann müsste Deutschland ja geradezu darauf setzen, dass Gewalt angewendet wird in Ungarn, damit die Flüchtlinge nicht weitergehen.
    Lischka: Nein, da setzen wir nicht drauf. Ich glaube, was wir da teilweise erleben, das ist ein Hochverrat an europäischen Werten, und umso dringender ist es, dass wir uns auf europäischer Ebene darauf einigen, mit den Flüchtlingen menschlich umzugehen und diese Aufgabe auch gemeinsam zu lösen. Diese Jagdszenen, die wir dort erlebt haben, das ist eine Bankrotterklärung für Europa.
    Heckmann: Wie wollen Sie denn die ungarische Regierung dazu bringen, sich anders zu verhalten?
    Lischka: Nun, ich finde es sehr gut, wenn der österreichische Kanzler schon mal laut darüber nachgedacht hat, dass man von europäischer Seite bei der mittelfristigen Finanzplanung jetzt darüber nachdenken muss, dass sich das finanziell im europäischen Haushalt abbildet, dass dort Milliarden zur Verfügung gestellt werden auch für die Länder, die im Augenblick versuchen, hier ein menschliches Gesicht in Europa zu zeigen, und das geht dann natürlich zu Lasten vielleicht des einen oder anderen Projekts auch in den Ländern, die im Augenblick so tun, als hätten sie mit der ganzen Sache nichts zu tun. Ich glaube, dieser Druck muss jetzt entfacht werden. Da hat Deutschland ein gewichtiges Wort mitzureden, auch ein Gewicht in die Waagschale zu werfen. Es gibt auch Verbündete hier in Europa und wir müssen endlich auf europäischer Ebene hier auch zu Lösungen kommen.
    Heckmann: Burkhard Lischka war das, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke Ihnen für Ihre Zeit, Herr Lischka.
    Lischka: Ihnen auch, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.