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SPD-interner Streit um Gemeindefinanzreform

Meurer: Etwa 16 Milliarden Euro spült die Gewerbesteuer in diesem Jahr voraussichtlich in die klammen Kassen der Gemeinde. Ein gutes Viertel davon, nämlich 28 Prozent müssen sie allerdings an Bund und Länder abgeben. Es geht also um viel Geld bei der Gemeindefinanzreform, und dabei ist die Gewerbesteuer nur ein Thema. Hans Eichel gegen den Rest der Welt, so hat man fast den Eindruck, zumindest gilt: Hans Eichel gegen die eigene SPD-Bundestagsfraktion oder zumindest wesentliche Teile der Fraktion, die sich für die Gemeinden stark macht. Am Telefon begrüße ich den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Joachim Poß. Herr Poß, tagt heute das Scherbengericht über den Finanzminister?

    Poß: Es geht nicht um ein Scherbengericht. Es geht um eine sachgerechte Lösung, so dass wir pünktlich zum 1.1.2004 die Gemeinden nachhaltig und zügig entlasten können. Das ist das politische Ziel, und an dem Ziel hat sich nichts geändert.

    Meurer: Hans Eichel sagt doch, er entlastet die Gemeinden. Glauben Sie ihm nicht?

    Poß: Das ist nicht die Frage. Es geht um unterschiedliche Konzepte bei der Ausgestaltung der Steuer. Die Kommunen hatten die Erwartung, dass es ein Gewerbesteuerkonzept geben wird, so wie es in einer Gemeindefinanzreformkommission über anderthalb Jahre entwickelt wurde. Das Kabinett hat sich dazu nicht verstehen können. Das ist der Diskussionspunkt, nicht das Ziel, die Kommunen nachhaltig zu entlasten. Nach den bisherigen Plänen werden das insgesamt 4,4 Milliarden Mark sein, 2,5 Milliarden Mark über die Steuer und dann 1,9 Milliarden Mark bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Das sind die Eckdaten. Die Eckdaten sind unumstritten. Es geht, wie gesagt, um die Ausgestaltung der Steuer.

    Meurer: Die Kommunen hatten ja das Gespräch mit Hans Eichel gekappt, weil sie gesagt haben, er hatte einen Brief an die SPD-Fraktion geschrieben und die Zahlen stimmen einfach nicht. Stimmen denn nun die Zahlen oder stimmen sie nicht?

    Poß: Also das sollen die Schätzer und Experten beider Seiten noch weiter abgleichen. Das ist nicht die zentrale Frage, die hier im Vordergrund der politischen Erörterung steht.

    Meurer: Für die Gemeinden schon.

    Poß: Nein, es geht in der Tat nicht um die Größenordnung. Es geht um zwei, drei Punkte, wo es unterschiedliche Auffassungen gibt, wie viel bestimmte Maßnahmen, wenn sie denn Gesetz würden, bringen würden. Das ist wirklich, sage ich mal, eine Expertenauseinandersetzung, die unnötig politisch hochgeblasen wurde.

    Meurer: Sie wollen ja, dass die Gewerbesteuer keine reine Gewinnsteuer ist, wenn ich das richtig verstehe, sondern auch sogenannte ertragsunabhängige Bestandteile hat. Ist Ihnen da das Konzept von Hans Eichel zu wirtschaftsfreundlich?

    Poß: Es geht auch nicht um Wirtschaftsfreundlichkeit oder Wirtschaftsfeindlichkeit. Es geht darum, ob den Kommunen eine Steuer zugestanden wird im Sinne des Artikels 28 Absatz 2, die sie in die Lage versetzt, auch nicht so stark den konjunkturellen Schwankungen unterworfen zu sein, wie das ja derzeit in den letzten Jahren bei dem konjunkturellen Einbruch der Fall war. Das hat ja die Diskussion ausgelöst, und deswegen ist die Gewerbesteuer von ihrem Charakter her nie eine reine Gewinnsteuer gewesen. Wir als SPD-Fraktion sind aber sehr wohl der Meinung - das steht auch in unseren Eckpunkten, das haben wir, Rot-Grün, übrigens im Deutschen Bundestag beschlossen -, dass es mittelstandsfreundlich ausgestaltet werden muss, dass Interessen von Existenzgründern bedacht werden müssen, dass auf der anderen Seite aber Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie von Großunternehmen praktiziert werden im Zusammenhang mit Mieten, Pachten, Leasingraten, eingedämmt werden.

    Meurer: Was erwarten Sie heute vom Finanzminister, wenn er auf der Klausur spricht?

    Poß: Es geht heute darum, dass die Abgeordneten zunächst mal auch über die unterschiedlichen Vorstellungen, die es gibt, ganz sachlich informiert werden. Das ist ja das erste Zusammentreffen zu diesem Thema nach der Entscheidung des Kabinetts vom 13. August. Um nicht mehr und nicht weniger geht es.

    Meurer: Wie wahrscheinlich ist es, dass man einfach sozusagen zum Altstand zurückkehrt, nämlich die Gemeinden überweisen nicht 28 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen an Bund und Länder, sondern, wie es vor drei Jahren einmal der Fall war, nur noch 20 Prozent?

    Poß: Das ist die Frage der Gewerbesteuerumlage. Das steht bei uns nicht im Vordergrund. Da geht es eigentlich auch nicht um die konzeptionelle Ausgestaltung, sondern das ist ein Mechanismus, mit dem man natürlich dafür sorgen könnte, den Gemeinden mehr Geld zu geben.

    Meurer: Also würde Ihnen ein Entgegenkommen bei der Gewerbesteuerumlage nicht ausreichen?

    Poß: Die Union hat es ja vorgeschlagen, weil sie selbst tief zerstritten ist in der Frage der Konzeption. Da gibt es viele, die die Gewerbesteuer generell abschaffen wollen, und die Kommunalpolitiker der Union sehen das anders. Um dieser Verlegenheit zu entgehen, haben sie ein Sofortprogramm vorgeschlagen. Wir werden uns heute hier mit der SPD-Fraktion mit der Konzeption auseinandersetzen. Dieser andere Vorschlag wird ja so oder so ins Geschäft kommen durch das weitere Verfahren, das ja schließlich irgendwann im Vermittlungsausschuss enden wird.

    Meurer: Würden Sie sagen, es sollte einen Gipfel im Kanzleramt geben, wie ihn die Gemeinden und Kommunen fordern?

    Poß: Also ich bin immer für konstruktive Gespräche. Ob man das Gipfel nennt oder wie auch immer, das ist eine zweite Frage. Deswegen habe ich auch bedauert, dass es diese Töne gab, wir sprechen nicht mehr mit Hans Eichel. Es geht gar nicht um Hans Eichel. Die Meinung, die das Kabinett geäußert hat, der Beschluss, der da gefasst wurde, wurde ja von allen Kabinettsmitgliedern gefasst, an der Spitze vom Bundeskanzler. Es geht also überhaupt nicht um einen personalisierten Konflikt zwischen Hans Eichel und der SPD-Fraktion.

    Meurer: Auch um keinen Konflikt mit dem Kanzler? Denn der will ja auch nicht, dass die Gewerbesteuer auf Mieten und Pachten anfällt.

    Poß: Also es geht auch letzten Endes nicht um diese Einzelelemente, sondern um die Grundausrichtung, um die Frage, wie soll es auf Dauer gemacht werden. Wir als SPD-Fraktion, wie gesagt, hätten auch nicht, wenn wir Kabinett gespielt hätten, das Kommunalmodell vorgeschlagen, sondern eine Variante davon, bei der die Interessen insbesondere des Mittelstandes und der Existenzgründer noch besser bedacht worden wären. Wir wollen eine Lösung, mit der die Wirtschaft leben, die aber die berechtigten Interessen der Kommunen erfüllt. Das ist nach unserer Auffassung mit dem gegenwärtigen Vorschlag noch nicht voll erreicht, und darüber geht die Diskussion.

    Meurer: Wird diese Lösung heute gefunden werden?

    Poß: Nein. Auch darum kann es gar nicht gehen. Das ist ja relativ kompliziert und komplex, da sind verschiedene Elemente angesprochen. Es geht heute um die Diskussion über die Konzeption.

    Meurer: Wenn Hans Eichel nachbessert, bedeutet das nicht aus seiner Sicht, dass er dann überhaupt keine Chance mehr hat, die Defizitgrenze einzuhalten?

    Poß: Also jede Lösung, die stärker auf die Umsatzsteuer setzt, so wie es das Kabinett ja mit seiner Entscheidung getan hat, erhöht die Gefahren für den Bundeshaushalt, weil schließlich das alles verhandelt werden muss mit den Ländern. Auch von daher wäre eine Lösung, die auf einen stärkeren Gewerbesteueranteil setzt, eigentlich die Lösung, die im Interesse des Bundeshaushaltes ist.

    Meurer: Die Lösung wären höhere Einnahmen über die Steuern?

    Poß: Die Lösung wären potentiell höhere Einnahmen für die Kommunen, und der Druck auf die Umsatzsteuerverhandlung und auf die Umsatzsteuer wäre nicht so stark.

    Meurer: Aber die Zeche würde der Mittelstand bezahlen.

    Poß: Nein, eben nicht. Das habe ich ja vorhin, glaube ich, sehr deutlich machen können, dass es nicht der Mittelstand wäre, sondern dass es darum geht, dass insbesondere Großunternehmen durch durchaus legale Gestaltungen sich nicht ihrer Gewerbesteuerpflicht entziehen können.

    Meurer: Das war der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio