Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

SPD-Kanzlerkandidat Schulz
"Es geht ein Ruck durch die SPD"

Der SPD-Vorstand hat Martin Schulz offiziell als Kanzlerkandidat der SPD nominiert. In einer ersten Rede im Berliner Willy-Brandt-Haus formulierte er seine Ziele: Schulz will mehr Solidarität, mehr Gerechtigkeit, er wendet sich gegen Trump und die AfD – und er will unbedingt Kanzler werden.

Von Klaus Remme | 29.01.2017
    Martin Schulz hält eine Rede, hinter ihm sitzen Menschen
    Martin Schulz bei seiner ersten Rede als SPD-Kanzlerkandidat in Berlin. (imago / ZUMA Press)
    Das eigene Image formen, die Partei aus der Lethargie herausholen, aktuelle politische Verwerfungen kommentieren, inhaltlich Akzente für den Bundestagswahlkampf setzen und den politischen Gegner angreifen - diese erste Rede des vom Parteivorstand zuvor einstimmig ernannten Kanzlerkandidaten war in der Zielsetzung ehrgeizig. Martin Schulz brauchte fünf Minuten, um einen klaren Machtanspruch zu formulieren:
    "Unsere Partei, die SPD, tritt mit dem Anspruch an, bei der kommenden Bundestagswahl die stärkste politische Kraft in unserem Land zu werden, und ich trete mit dem Anspruch an, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden."
    In der dann folgenden knappen Stunde stellte sich Martin Schulz denjenigen im Land vor, die ihn noch nicht kennen:
    "Ich bin der Sohn einfacher Leute, meine Mutter war Hausfrau, mein Vater Polizist. Ich war ein begeisterter Fußballspieler und deshalb lieber auf dem Sportplatz als auf der Schulbank. Als junger Mann sind meine Fußballträume zerplatzt, und ich habe in dieser Zeit die Orientierung verloren. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man vom Weg abkommt."
    Aus diesen einfachen biographischen Wurzeln, der Erfahrung eines frühen Scheiterns und dem Bewusstsein, eine zweite Chance genutzt zu haben, beruht die persönliche Stärke des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten. Ich bin einer von euch - so die Botschaft, ich habe nicht nur Verständnis, ich habe tiefe Empathie. Wer immer ihn in den vergangenen Wochen als "Kommunalfuzzi ohne Abitur" kritisiert habe, so Schulz, sei elitär und abgehoben. Vieles ist aus dem Lot, kam Schulz auf die Lage im Land zu sprechen, im Kern gehe es um Gerechtigkeit. Hier ein Beispiel von vielen, die er zitierte:
    "Wenn wir locker Milliarden zur Rettung von Banken mobilisieren, aber der Putz in den Schulen unserer Kinder von der Wand bröckelt, dann geht es in diesem Lande nicht gerecht zu."
    Klare Worte gegen die AfD und Donald Trump
    Um Verwerfungen wie im amerikanischen Wahlkampf zu vermeiden, bot Schulz den anderen Parteien für die kommenden Monate ein Fairnessabkommen an. Seine klaren Worte zu Donald Trump sind ein Indiz für Freiheiten eines Wahlkämpfers, der keine Rücksicht auf Regierungsverantwortung nehmen muss:
    "Dass ein US-Präsident Mauern hochziehen will, laut über Folter nachdenkt und Frauen, Religionsgemeinschaften, Minderheiten, Menschen mit Beeinträchtigungen, Künstler und Intellektuelle mit unverschämten und gefährlichen Äußerungen attackiert, das ist ein Tabubruch, der unerträglich ist."
    Doch auch auf dieser Seite des Atlantiks sieht Schulz die politischen Gefahren, allen voran von rechts. Er verwies auf den Schulterschluss zwischen Front National und AfD:
    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz spricht in der SPD-Parteizentrale in Berlin. 
    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei seiner Rede in Berlin. (dpa/picture alliance/Kay Nietfeld)
    "Wozu ein blinder Nationalismus führt, haben wir in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt. Deshalb ist die Partei der Höckes, der Gaulands und der Petrys keine Alternative für Deutschland sondern eine Schande für die Bundesrepublik."
    Schulz verteidigte die deutsche Flüchtlingspolitik: eine historische Leistung, so sagte er wörtlich. Wer sich in der EU unsolidarisch verhalte, müsse das in Zukunft bei der Zuwendung von EU-Mitteln spüren. Innenpolitisch gelte:
    "Dass der lautstärkste Vertreter dieser Entsolidarisierung in Europa, der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán, von der CSU hofiert und beklatscht wird, das ist ein offener Affront gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland."
    Jetzt muss ein Wahlprogramm her
    Titelseite Bild am Sonntag, Titelseite Spiegel, ein Plus in den Umfragen und Neueintritte in die SPD. Martin Schulz sieht es so:
    "Jeder spürt es: Es geht ein Ruck durch die SPD, es geht ein Ruck durch das ganze Land, wir wollen und wir werden diese Aufbruchsstimmung nutzen."
    Es folgte langer Applaus im Willy-Brandt Haus. Jetzt muss ein Wahlprogramm her, Kritiker erinnert die Euphorie an die erste Begeisterung für Peer Steinbrück vor vier Jahren. Kandidat und Partei passten damals nicht zusammen, diesen Fehler will man nicht wiederholen.