Samstag, 20. April 2024

Archiv


SPD-Landesvorsitzender fordert stärkere Besteuerung höherer Einkommen

Mit einem Lohnsteuerbonus von 300 Euro kann nach Auffassung des SPD-Politikers Ralf Stegner das Steuersystem vereinfacht werden. Dadurch würden zudem in den Finanzämtern Kapazitäten für andere Bereiche frei. Nach den Angaben Stegners plant die SPD auch eine stärkere Besteuerung höherer Einkommen sowie eine Börsenumsatzsteuer. In Krisenzeiten müssten die Besserverdienenden stärker zur Refinanzierung staatlicher Maßnahmen herangezogen werden. Das sei eine Frage der gesellschaftlichen Solidarität.

Ralf Stegner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.04.2009
    Jasper Barenberg: Wer wissen möchte, mit welcher politischen Agenda die SPD in den Bundeswahlkampf ziehen will, der muss sich nur noch wenige Tage gedulden. Am Sonntag wird Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier den Entwurf für das Wahlprogramm präsentieren, ein paar Kernpunkte zeichnen sich schon ab, alte Bekannte zumeist. Dazu gehört das Ziel, flächendeckende Mindestlöhne einzuführen und angeschlagene Unternehmen wie Opel zu retten, notfalls auch mit einer staatlichen Beteiligung. Dazu gehört das Versprechen, die Finanzmärkte stärker zu kontrollieren, Steueroasen trockenzulegen und Managergehälter zu begrenzen. Neu ist dagegen die Ankündigung, den Vermögenden stärker ans Portemonnaie gehen zu wollen. Ob die Sozialdemokraten dafür die Reichensteuer erhöhen oder die Vermögenssteuer wieder einführen wollen, ist noch offen. An diesem Detail und an anderen will das Präsidium der SPD heute in Berlin feilen. Mit dabei: der Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein Ralf Stegner, und der ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen!

    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Barenberg!

    Barenberg: Reichensteuer oder/und Millionärsabgabe - man hört förmlich, wie die Linkspartei schon Beifall klatscht. Freut Sie das?

    Stegner: Nein, uns geht es nicht ums Beifallklatschen, sondern uns geht es darum, dass zum einen die Menschen nicht den Eindruck haben, wir kümmern uns um die Rettung von Banken, aber für die Menschen, die eigentlich gar nichts damit zu tun haben, die das nicht verursacht haben und die geringe Gehälter haben, für die tun wir nichts, oder die müssen das womöglich sogar noch bezahlen. Das ist der Hintergrund und man muss schon sagen, dass gerade in der Wirtschafts- und Finanzkrise die Folgen für die Menschen ja sehr unterschiedlich sind. Da gibt es welche, die merken die Folgen gar nicht, und da gibt es andere, deren Arbeitsplatz ist bedroht oder fällt gar weg. Und die, finde ich, kann man nun wirklich nicht an der Refinanzierung dieser Kosten beteiligen, im Gegenteil. Man muss diejenigen, die die breiteren Schultern haben, und das sind die Vermögenden, die mit den höchsten Einkommen, die muss man daran beteiligen und das werden wir auch tun.

    Barenberg: Die Reichensteuer anheben oder die Vermögenssteuer wieder einführen - wofür setzen Sie sich ein?

    Stegner: Das mit der Vermögenssteuer ist natürlich ein bisschen kompliziert mit der Erhebung und es ist schwierig, sie ist ja auch mal deswegen letztlich weggefallen. Auf der anderen Seite haben wir bei der Erbschaftssteuer nicht viel erreicht in den Verhandlungen mit der Union, und diejenigen mit den höchsten Vermögen werden in Deutschland deutlich großzügiger behandelt als in vergleichbaren anderen Ländern, auch in den USA. Deswegen bin ich schon sehr dafür, das zu prüfen. Das muss nicht unbedingt ein Gegensatz dazu sein, dass wir auch sagen: Bei den Spitzensteuersätzen ist noch Luft. Denn wir haben keinen Bedarf, diejenigen zu entlasten, die besonders hohe Einkommen haben, sondern doch eher diejenigen, die mit geringen Gehältern zurechtkommen müssen. Ich kann mir also durchaus eine Kombination aus beidem vorstellen, und was den Spitzensteuersatz angeht, wollen wir das ja auch hauptsächlich deswegen tun, weil wir wissen, dass wir unbedingt in Bildung, in Kinderbetreuung investieren müssen. Das sind Zukunftsfragen, die dürfen nicht daran scheitern, dass wir jetzt gerade diesen ganzen Kladderadatsch aufzuräumen haben, der sich ergeben hat aus einer Banken- und Finanzkrise, die ja letztlich Ergebnis auch von Marktradikalismus war.

    Barenberg: Vor Jahren haben Sie den Spitzensteuersatz von 52 Prozent auf 42 gesenkt, warum dann jetzt die Kehrtwende?

    Stegner: Zum einen muss ich sagen: Ich selbst - und auch die schleswig-holsteinische SPD - gehörte nie zu den Anhängern der Senkung von Spitzensteuersätzen, sondern wir waren immer eher der Meinung, wir sollten etwas tun für die Einkommen der Niedrig- und Normalverdiener. Und zum Zweiten: Es passt auch einfach nicht in die Zeit, denn schauen Sie, wir diskutieren ernsthaft darüber, ob Menschen in Deutschland einen Lohn haben, von dem sie leben können, und das soll dann staatlich subventioniert werden, wenn es keine Mindestlöhne gibt, wie die Union und die FDP das wollen, und auf der anderen Seite haben wir zum Teil wirklich Riesengehälter. Wir haben nicht nur sittenwidrig niedrige Löhne in Deutschland, sondern wir haben teilweise auch sittenwidrig hohe Gehälter. Da ist es schon relativ klar für mich, dass die Richtung nur dahingehen kann zu sagen: Man muss diejenigen solidarisch beteiligen, die das auch besser können. Und ich sage mal, die Börsenumsatzsteuer gehört da auch dazu. Das ist ja, wenn Sie so wollen, ein direkter Beitrag zur Refinanzierung durch die, die das angerichtet haben. Das ist ein bisschen der Eintritt ins Spielcasino, kann man sagen, wenn man eine Börsenumsatzsteuer hat, die ja auch ein paar Milliarden Euro in die Staatskasse bringt.

    Barenberg: Zur Reichensteuer noch mal, zur Erhöhung oder der geplanten Erhöhung: Auch bei den Vermögenden im Land schmelzen ja gerade Einkommen und Vermögen, gerade als Folge der Krise. Stimmt die Prämisse eigentlich, wonach die Reichen immer reicher werden? Ist es nicht gerade in diesen Zeiten genau andersherum?

    Stegner: Das ist alles sehr relativ. Insgesamt stimmt die Prämisse sehr wohl, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergegangen ist, als es uns lieb sein kann. Und nach meiner Einschätzung sind die Leistungsträger in der Gesellschaft eben diejenigen Menschen, die hart arbeiten müssen und zurechtkommen müssen mit ihren Familien, denen niemand hilft, wenn Energiepreise steigen, denen niemand hilft, wenn die Waschmaschine kaputtgeht oder auch die Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben und nichts davon haben, wenn sie keine ordentlichen Rentenerhöhungen haben. Von daher, glaube ich, ist die Lage schon sehr unterschiedlich bei denjenigen, und wir reden über Gehälter von 250.000 Euro Jahresgehalt für Verheiratete - als Beispiel - aufwärts. Das ist doch noch weit von dem entfernt, was ein Normalverdienender in Deutschland hat, und deswegen glaube ich, dass da schon Luft ist. Das ist eine Frage praktizierter Solidarität in einer Phase, in der wir die größte Wirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte unseres Landes haben, das darf man ja nicht vergessen.

    Barenberg: Ab 250.000 Euro Einkünften im Jahr gilt diese Steuer derzeit, Sie haben es angesprochen. Jetzt wollen Sie diesen Betrag halbieren mit der Folge, dass natürlich sehr viel mehr Menschen in Zukunft Steuern dann zahlen müssen. Geht dabei nicht die Mittelschicht über die Wupper, die ja einen wichtigen Beitrag für wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität im Land leistet? Sparen Sie die genau aus in Ihren Überlegungen für das Wahlprogramm?

    Stegner: Nein, das glaube ich nicht. Im Übrigen finde ich die Definition von "Mittelschicht" auch in Teilen ein wenig fragwürdig. Mittelschicht ist in der Regel noch nicht der Teil der Bevölkerung, der 125.000 Euro als Alleinstehender oder 250.000 Euro als Verheirateter bekommt, sondern das sind ja teilweise Menschen mit schon auch niedrigerem Einkommen. Uns geht es nicht darum, Leistungsträger zu bestrafen, aber es geht darum, dafür zu sorgen, dass unser Land eine Zukunft hat, und die kann es nur haben, wenn wir mehr für Bildung, wenn wir mehr für Kinderbetreuung tun. Und ich will Ihnen noch etwas anderes sagen: Wir werden in unser Wahlprogramm ja hineinschreiben, dass wir für eine gebührenfreie Bildung sind, von der Kindertagesstätte bis zum Studium. Wenn wir das machen, beispielsweise bei den Kindertagesstätten, dann entlastet das ganz normale Familien, solche, die gar keine Sozialtransfers kriegen oder von Sozialstaffeln profitieren, und das ist eine viel größere Entlastung als jede Steuerentlastung, die man machen kann. Man muss also schon die verschiedenen Punkte zusammenfügen am Ende, und das Ziel für uns muss sein, dass die, die mehr können, auch mehr leisten müssen und dass diejenigen, die geringe Einkommen haben, nicht zusätzlich belastet werden, sondern eher entlastet.

    Barenberg: Gerade in den vergangenen Jahren ist allerdings die Mittelschicht, also die genau zwischen Reich und Arm, stark belastet worden, immer mehr belastet worden, zum Beispiel durch heimliche Steuererhöhungen wie die sogenannte Kalte Progression. Warum beseitigen Sie die nicht in Ihren Plänen?

    Stegner: Es ist ungeheuer teuer, Veränderungen im Steuersystem, gerade in diesem Bereich, vorzunehmen.

    Barenberg: Aber wäre es nicht gerecht?

    Stegner: Gerecht ist ganz vieles, aber im Augenblick verwenden wir Milliarden um aufzuräumen mit dem, was durch die Bankenkrise angerichtet worden ist, und man kann nicht alles zur gleichen Zeit tun. Ich glaube schon, dass in der Reihenfolge der Dinge, die man tut, auch dieses auf der Tagesordnung steht, dass man versucht, ein gerechteres Steuersystem zu schaffen, als wir es haben. Dazu gibt es ja auch Vorschläge, das kann man an verschiedenen Stellen tun, dass das neue System gerechter wird, dass das, was wir uns wünschen, begünstigt wird, wenn jemand zum Beispiel Kinder hat, dass jedes Kind vom Staat gleich behandelt wird oder dass jemand, der die Umwelt belastet, steuerlich stärker belastet wird als der, der das nicht tut und viele andere Dinge mehr, die man sich da vorstellen kann. Aber kurzfristig muss es darum gehen, dass diejenigen, die niedrige Einkommen haben, die geringe Spielräume haben, nicht zusätzlich bestraft werden durch eine Wirtschafts- und Finanzkrise, die andere angerichtet haben. Und ich sage mal, wir diskutieren ja mit der Union ernsthaft darüber, ob man nach wie vor Abfindungen für gescheiterte Manager steuerlich absetzen darf. Das ist ja sozusagen hochdosiertes Flaschenpfand, wenn ich das mal so sagen darf. Über solche Dinge muss man ernsthaft reden, das ist mit der Union ganz schwierig. Und auf der anderen Seite reden wir dann über andere Dinge im Steuersystem. Ich glaube, da ist noch eine Menge Ungerechtigkeit drin und die Sozialdemokraten sind dafür, dass wir nach dem Grundsatz gehen, dass wir eine gerechte Besteuerung wollen, dass die, die die höchsten Einkommen haben, auch am meisten beitragen müssen.

    Barenberg: In der "Süddeutschen Zeitung" von heute ist zu lesen, dass Sie auch einen Lohnsteuerbonus von 300 Euro planen. Ist das schon beschlossene Sache, bitte kurz zum Schluss?

    Stegner: Nein, das ist noch nicht beschlossen, aber das ist ja ein Hinweis darauf, dass es uns auch um Vereinfachung geht, weil die Finanzbehörden, die Steuerbehörden sich im Grunde genommen eigentlich nicht beschäftigen sollen mit denjenigen, die kaum Einkommen haben. Das ist ein ganz hoher Verwaltungsaufwand, das lohnt sich gar nicht. Und ganz viele, bei denen es sich sehr lohnen würde, hinzugucken, da hat man teilweise gar nicht die Kapazitäten dafür, weil die Menschen immer für schlanken Staat sind und wir teilweise gar nicht genügend Steuerbeamte da haben. Und deswegen glaube ich, dass das ein Teil zur Verfahrensvereinfachung wäre, der dazu auch noch gerecht ist und den die Menschen sicher begrüßen.

    Barenberg: Im Deutschlandfunk Ralf Stegner, Mitglied des SPD-Präsidiums und Landesvorsitzender von Schleswig-Holstein, vielen Dank!