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SPD-Linke Nahles warnt vor Lagerbildung in der Partei

In der Debatte über ein neues SPD-Programm hat die Partei-Linke Andrea Nahles die designierten stellvertretenden Vorsitzenden Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier kritisiert. Beide Politiker verlangten, den Geist der Agenda 2010 ungeprüft in die Zukunft zu tragen, sagte Nahles. Es müsse zunächst aber gründlich analysiert werden, welche Reformen sich bewährt hätten, sagte die ebenfalls als Partei-Vize nominierte Bundestagsabgeordnete.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Heinlein: Trotz guter Konjunktur, trotz sinkender Arbeitslosenzahlen, es steht derzeit nicht gut für die SPD. Die Erfolge der Koalition erntet die Union. Die Umfragewerte für die Sozialdemokraten sind im Keller. Parteichef Kurt Beck ist im Vergleich zur Kanzlerin wenig populär. Selbst in den eigenen Reihen wird ihm vom Außenminister Steinmeier der Rang abgelaufen. Und nun das: Zwei Monate vor dem Parteitag in Hamburg gehen die Modernisierer in der SPD in die Offensive. In Berlin präsentieren heute die sozialdemokratischen Schwergewichte Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Matthias Platzeck eine Streitschrift für eine Fortsetzung der Reformpolitik von Gerhard Schröder - nicht dabei Kurt Beck.

    Am Telefon begrüße ich jetzt die designierte stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles. Guten Morgen, Frau Nahles!

    Nahles: Guten Morgen Herr Heinlein!

    Heinlein: Sind Sie schon auf der Höhe der Zeit? Haben Sie das Buch gelesen?

    Nahles: Noch nicht ganz, quer.

    Heinlein: Und wie hat es Ihnen bisher gefallen?

    Nahles: Es entspricht in vielerlei Hinsicht nicht meinen Vorstellungen. Es ist aber auch kein Wunder. Vor einigen Monaten habe ich ein ähnliches Buch herausgegeben, nämlich einen Beitrag zur Grundsatzprogramm-Debatte, um eine Debatte anzustoßen, und jetzt kommt von der anderen Seite ein Return. Insoweit finde ich mich in diesem nicht ganz so wieder wie in dem, was ich selber mit herausgegeben habe.

    Heinlein: Was stört Sie denn?

    Nahles: Ich finde im Kern das Problem, dass das Buch sich nicht so sehr auf die Grundsatzprogramm-Debatte orientiert, sondern eigentlich eine Rechtfertigung der Agenda-2010-Politik versucht und dann auch die Empfehlung an die eigene Partei, die SPD richtet, doch diesen Geist der Agenda 2010 in die Zukunft zu tragen. Ich finde man muss da anders rangehen.

    Heinlein: Wie denn?

    Nahles: Ich glaube, man muss eine Zwischenbilanz machen und gucken. Bei der Agenda 2010 gibt es vieles, was gut gelaufen ist. Wir haben auch Bewegung in den Arbeitsmarkt reingebracht. Aber es gibt genauso Schatten und es wäre besser, wenn die SPD zu einem abwägenden nüchternen Bilanzieren kommt, als sich in zwei Lager zu spalten: die einen, die alles verteidigen, und die anderen, die alles falsch finden. Genau so empfinde ich eben auch den Beitrag jetzt, den dieses Buch macht.

    Heinlein: Sehen Sie die Gefahr, dass die SPD wie in der Vergangenheit sich in zwei Lager spaltet, in die traditionellen sozialen Besitzstandswahrer und in einen Modernisierungsflügel?

    Nahles: Ja. Das ist völlig veraltet. Wir sollten den Blick nach vorne richten. Wir sollten darüber reden, was ab 2009 unter sozialdemokratischer Führung aus diesem Land werden soll, die Leute mitnehmen mit den Themen Mindestlohn und mit den Themen Begrenzung der Leiharbeit, mit der Frage wie gehen wir hin zu Arbeit durch Umweltschutz und Klimaschutz. Wir haben wirklich gute Themen. Die sollten wir fahren und nicht so sehr in der Vergangenheit rumpulen.

    Heinlein: Die Herausgeber sind ja nicht irgendwer, sondern Matthias Platzeck, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier, also Schwergewichte Ihrer Partei. Und Sie sagen, das störrische Beharren am Status quo sei falsch. Ist das für Sie eine Kampfansage an die SPD-Linke, an die sozialen Besitzstandswahrer Ihrer Partei?

    Nahles: Den Schuh ziehe ich mir doch überhaupt gar nicht an. Ich habe die letzten Monate intensiv mit Wolfgang Thierse und Hubertus Heil am Grundsatzprogramm gearbeitet. Wir formulieren Politik für die Zukunft. Ich bin kein Besitzstandswahrer, sondern ich glaube, dass ein Sozialstaat die Risiken absichern muss, auch nachsorgend, aber ich glaube auch, dass wir in den letzten Jahrzehnten zu wenig in die Vorsorge investiert haben, in die Prävention. Aber das muss man nicht gegeneinander ausspielen, und das ärgert mich auch an den Autoren, dass sie alle, die nicht ihrer Meinung sind, schlichtweg zu "Konservativen" erklären. Das hilft nicht. Das ist wenig hilfreich.

    Heinlein: Matthias Platzeck nennt dies "Sozialstaatskonservative". Das klingt schon nach einer Abrechnung mit linken Träumern in der SPD. Fühlen Sie sich unmittelbar angesprochen?

    Nahles: Ich sage Ihnen mal ganz klar, dass diese Positionen, die Matthias Platzeck dort vertritt und auch seine Koautoren, schlicht nicht mehrheitsfähig in der SPD sind. Deswegen bin ich ziemlich gelassen.

    Heinlein: Also als Heulsuse im Sinne von Peer Steinbrück begreifen Sie sich nicht?

    Nahles: Ich habe noch kein Heulen gehört in der letzten Zeit.

    Heinlein: Eine Kernaussage des Buches, Frau Nahles, ist die Forderung nach einer Fortsetzung der Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Sie haben es selber erwähnt. Die SPD dürfe nicht nur eine Partei der sozialen Gerechtigkeit sein, sondern müsse sich auch als Fortschritts- und Wirtschaftspartei wahrnehmen. Können Sie diese Aussage im Kern mittragen?

    Nahles: Ja, selbstverständlich! Es ist doch ganz klar: Das ist immer schon das, was die SPD stark gemacht hat, soziale Gerechtigkeit und Fortschritt miteinander zu verbinden. Es gibt dieses alte Sozi-Lied "Mit uns zieht die neue Zeit" und dazu steht die ganze SPD. Warum sprechen das diese Autoren aber so massiv aus? Warum halten sie das der ganzen Partei vor? Das hat schon so etwas Belehrendes an sich. Ich persönlich kann nur davon abraten, immerzu - und das passiert in den letzten Tagen zu häufig - der SPD als Führung dieser Partei - dazu gehören ja Steinbrück, Steinmeier und Platzeck - Ratschläge zu erteilen. Ich glaube man kann mit dieser Partei, mit dieser SPD zusammen gute Politik machen und darauf sollte man sich konzentrieren.

    Heinlein: Künftig gehören Sie ja auch wahrscheinlich ab Oktober zur unmittelbaren Führungsspitze der SPD. Fühlen Sie sich als linkes Feigenblatt in diesem Führungsquartett?

    Nahles: Nein! Ich fühle mich als jemand, der wirklich einen großen Teil der SPD repräsentiert, der zusammen auch mit anderen für die Sozialdemokratie gemeinsam arbeitet, und das ist auch mein Appell: Lasst uns gemeinsam arbeiten, lasst uns im Team dastehen mit Kurt Beck an der Spitze.

    Heinlein: Dennoch sagen Sie die Positionen, die in diesem Buch vertreten werden, seien nicht mehrheitsfähig innerhalb der SPD. Mit Sigmar Gabriel, Jens Bullerjahn, Christoph Matschie oder Ute Vogt, um nur einige zu nennen, haben ja viele jüngere Genossen in Ihrem Alter zur Feder gegriffen. Ist dies ein Zeichen für einen Generationenwechsel innerhalb der SPD?

    Nahles: Nein.

    Heinlein: Warum nicht?

    Nahles: Weil es gibt genauso viele Jüngere, die ich nennen könnte, die auch andere Positionen mitvertreten. Ich glaubem, es ist eine gute Möglichkeit gewesen, über Bücher auch miteinander - wissen Sie wir tauschen sehr oft Schlagwörter auch in der Politik aus - konzeptionell einen Schlagabtausch herbeizuführen, mit ein bisschen mehr Tiefe, mit ein bisschen mehr Erdung. Insoweit bin ich froh, dass es so ein Buch gibt, dass es auch andere Bücher zur Programmdebatte zum Beispiel von Kurt Beck und auch von den Parteilinken, die ich vertrete, gegeben hat. Das gereicht der SPD zur Ehre, dass wir über Programmatik auch leidenschaftlich streiten.

    Heinlein: Gereicht es der SPD auch zur Ehre, dass ihr Parteivorsitzender Kurt Beck in diesem Buch fehlt?

    Nahles: Wie gesagt ich halte das für absolut richtig, dass Kurt Beck selber den Aufschlag gemacht hat in dieser Serie, indem er selber ein Programmbuch auf den Markt gebracht hat, aber sich jetzt aus dem Flügelschlagen raushält. Kurt Beck ist in der Mitte der Partei. Er führt zusammen. Er ist der Vorsitzende. Das ist doch völlig in Ordnung.

    Heinlein: Kurt Beck hat es ja schwer, in der Öffentlichkeit derzeit überhaupt wahrgenommen zu werden. Seine Werte - Sie wissen es - liegen im Keller. Wackelt seine Kanzlerkandidatur?

    Nahles: Nein. Das wird noch nicht in diesem Jahr entschieden und zweitens: Es gibt vielleicht eine aufgeregte Debatte in der Öffentlichkeit jetzt, weil die Umfragewerte tatsächlich sehr bescheiden sind. Das muss jeden beschäftigen, der in der SPD ist. Aber das ist keine Kurt-Beck-Debatte. Wir müssen mit ihm und wir werden mit ihm da wieder rauskommen aus dem Tief. Das hat es in der Geschichte der SPD in den letzten 10, 15 Jahren immer wieder gegeben, und wir haben uns immer wieder rausgekämpft, und genau darauf setze ich auch.

    Heinlein: Kann man dennoch dieses Buch als einen Ausdruck des Unbehagens interpretieren, dass Kurt Beck es eben bisher nicht geschafft hat, die SPD auf die Höhe der Zeit zu bringen?

    Nahles: Ich glaube, so ein Buch hat einen ziemlich langen Vorlauf und ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Kommentar auf eine aktuelle Situation ist. Ich beobachte eher ein Unbehagen in der gesamten SPD, dass sich aus so einer Debatte jetzt so was wie ein Keim des Streites entwickeln könnte. Deswegen sollten wir das auch wieder in eine vernünftige Bahn leiten.

    Heinlein: Wird dies in Hamburg auf dem Parteitag schon gelingen?

    Nahles: Ich bin eigentlich sehr zuversichtlich. Das wird kein einfacher Parteitag, weil auch ein Grundsatzprogramm verabschiedet wird, weil es Wahlen gibt, weil es viele kontroverse Themen gibt. Aber bisher habe ich kein Indiz dafür, dass das irgendwie ein problematischer Parteitag wird.

    Heinlein: Die designierte stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Nahles: Ja, Tschüß!