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SPD-Linker Annen kritisiert Merkel

Der SPD-Linke Niels Annen hat kein Verständnis dafür, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Wirtschaftsvertretern Hoffnungen auf weitere Entlastungen im Zuge der Gesetzgebung zur Reform der Unternehmenssteuern gemacht hat. Was in der Koalition besprochen sei, müsse auch eingehalten werden, sagte Annen, Vorstandsmitglied in seiner Partei. Angesichts der Erhöhung der Mehrwertsteuer stoße die geplante Entlastung der Firmen auf Unverständnis in der Bevölkerung.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Zwei Wochen ist es etwa her, da soll es im Parteirat der SPD ziemlich heftig geknallt haben. Angeblich soll Peer Steinbrück, der Bundesfinanzminister, gegenüber den SPD-Linken sogar mit seinem Rücktritt gedroht haben. Das wurde dann dementiert, aber der Parteirat beschloss, dass an Steinbrücks Entwurf nachgebessert werden müsse. Jetzt sollen im ersten Jahr also nicht 8 Milliarden, sondern nur noch etwa 6,5 Milliarden Euro für die Unternehmen netto herausspringen.

    Am Telefon begrüße ich Niels Annen, er ist Mitglied im SPD-Parteivorstand und stellvertretender Sprecher der SPD-Linken. Guten Morgen, Herr Annen!

    Niels Annen: Ja, schönen guten Morgen!

    Meurer: Hat Steinbrück aus Ihrer Sicht den Auftrag erfüllt und ausreichend nachgebessert?

    Annen: Nun, die Debatte, die Sie angesprochen haben, die wird, das ist meine Einschätzung, weitergehen. Die SPD, auch die SPD-Linke, steht zu der Idee der Unternehmenssteuerreform, aber die Entlastung, die jetzt dort geplant ist, die ist aus meiner Sicht deutlich zu hoch, und ich glaube, dass die Menschen auch nicht verstehen, dass wir auf der einen Seite die Mehrwertsteuer erhöhen und auf der anderen Seite mehr als einen Mehrwertsteuerpunkt dann in die Gegenfinanzierung dieser Unternehmenssteuerreform stecken, bildlich ausgedrückt, dann die Unternehmen mit Milliarden weiter entlasten. Es geht übrigens auch über das hinaus, was die SPD beschlossen hat und was die SPD bereit ist, zwischenzeitlich an Gegenfinanzierung hinzunehmen.

    Meurer: Dem werden Sie also, so wie es jetzt aussieht, im Bundestag nicht zustimmen?

    Annen: Nun, wir haben ja gerade auch in Ihrem Bericht gehört, dass selbst die Bundeskanzlerin dabei ist, das ganze Paket noch einmal aufzuschnüren, allerdings in Richtung größere Entlastung der Unternehmen. Mir scheint es doch so zu sein, dass die Basis für dieses gewichtige Vorhaben der Großen Koalition von der Bundeskanzlerin damit selber noch mal infrage gestellt worden ist. Ich will hier klarstellen: Wir sind dafür, dass wir eine rechtsformneutralere Besteuerung bekommen. Ich bin auch der Meinung, dass wir Rücksicht darauf nehmen müssen, dass es gerade die kleinen und mittleren Unternehmen sind, die mit ihren Anstrengungen in Deutschland Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir die entlasten können, wenn wir dafür sorgen können, dass es dort einfacher zugeht, dann ist das ein richtiges Ziel. Aber insgesamt darf das Steueraufkommen dadurch nicht weniger werden, sondern wir müssen sogar eigentlich dafür sorgen, dass wir auf der Strecke mehr Geld in der Tasche haben. Und man merkt das in vielen Gesprächen mit der Bevölkerung, mit den Menschen, die sich ja auch an die Politik wenden und die es ungerecht finden, dass die großen Kapitalgesellschaften immer weniger Steuern zahlen in Deutschland und dass es insgesamt wirklich die durchschnittlichen Verdiener sind, die hier zur Kasse gebeten werden, und darauf muss die Politik Rücksicht nehmen, damit nicht noch mehr Vertrauen verloren geht.

    Meurer: Was meinen Sie damit, Herr Annen, dass die Bundeskanzlerin die Basis infrage stellt?

    Annen: Nun, die Frau Bundeskanzlerin hat ja offensichtlich gestern vor Unternehmensvertretern noch einmal damit im Grunde genommen ein Angebot gemacht, noch für weitere Entlastungen im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens zu sorgen. Das ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung, und wir müssen uns darauf verständigen, dass die Dinge, die gemeinsam besprochen worden sind, dann auch eingehalten werden können.

    Meurer: Sie tut aber nichts anderes als Sie. Sie wollen ja auch Änderungen.

    Annen: Nein, wir haben uns gemeinsam, Sie können das im Übrigen auch im Koalitionsvertrag nachlesen, dass dort schon damals festgestellt worden ist, dass es im Grunde genommen wenig bis gar keinen Spielraum dafür gibt, die Unternehmen grundsätzlich zu entlasten, sondern dass wir gesagt haben, wir wollen, um das Ziel dieser rechtsformneutralen Besteuerung zu erreichen, natürlich auch, weil es technisch gar nicht anders geht, in den ersten Jahren Einkommensausfälle hinnehmen. Das ist anders gar nicht möglich. Aber die SPD hat immer ganz klar gesagt, wir wollen die Unternehmen an dieser Stelle nicht dauerhaft entlasten, schon gar nicht in einer Höhe von über sechs Milliarden. Zum Teil sind in den Berechnungen ja sogar Summen von zehn Milliarden genannt worden. Das ist nicht vermittelbar, und wenn die Bundeskanzlerin jetzt sozusagen das Tor aufmacht, diese Summe noch zu erhöhen, dann ist das keine gute Grundlage für das anstehende Gesetzgebungsverfahren.

    Meurer: Glauben Sie den Versicherungen oder der Perspektive, dass durch die Reform dann im Ende ja die Steuereinnahmen steigen und wir Steuerzahler dann doch etwas davon hätten?

    Annen: Ja, wir müssen ja offensichtlich in unserer Regierungsarbeit und in der wichtigen Gesetzgebungsarbeit darüber reden, ob wir dort dasselbe Ziel verfolgen. Ich glaube, dass es möglich ist, eine Reform zu machen, die gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen Erleichterung bringt, die in den ersten Jahren auf Grund technischer Voraussetzungen zu Einnahmeausfällen führt, aber mittelfristig und langfristig das, was Peer Steinbrück ja auch vorgeschlagen hat, was er beispielsweise dadurch erreichen möchte, dass die berühmten Schlupflöcher gestoppt werden, dass wir dadurch also auf die lange Strecke hin mehr Steuereinnahmen bekommen. Es gibt aber bei uns in der Koalition gerade von den Christdemokraten auch viele Leute, die ganz klar sagen, sie möchten eine Netto-Entlastung für die großen Unternehmen. Das ist aus meiner Sicht nicht zeitgemäß. Wir haben inzwischen eine gute konjunkturelle Entwicklung. Die großen Unternehmen machen glücklicherweise Milliardengewinne, und deswegen besteht überhaupt gar keine Notwendigkeit, die dauerhaft in Milliardenhöhe zu entlasten.

    Darin, glaube ich, besteht der Kernkonflikt, und den muss man dann offensichtlich auch aussprechen. Ich sage aber auch, es gilt das so genannte Strucksche Gesetz, bisher ist noch kein Gesetz aus dem Bundestag so herausgekommen, wie es eingebracht worden ist, und das bedeutet, es ist jetzt die Stunde des Parlamentes, über diese Vorlage zu diskutieren und gegebenenfalls dann auch Änderungen vorzunehmen.

    Meurer: Die SPD hat ja in der letzten Zeit einiges zu schlucken bekommen sozusagen, die Rente mit 67 schmeckt den Gewerkschaften überhaupt nicht, das Kindergeld soll nicht angehoben werden, um Kindertagesstättenplätze zu finanzieren. Wie sehr, glauben Sie, bedrückt die Partei auch noch die Unternehmenssteuerreform?

    Annen: Sie haben ja auch an der Reaktion der Öffentlichkeit, auch innerhalb der SPD gemerkt, dass gerade die Landespolitiker in der SPD, Frau Kraft aus Nordrhein-Westfalen und andere, darauf hingewiesen haben, dass natürlich die drohenden Einnahmeausfälle gerade die Landesetats mit ihren wichtigen Vorhaben auch belasten werden. Und es gibt eine ganz klare Linie, die ist von einem Parteitag und von einem Parteirat der SPD beschlossen worden. Wir erwarten, dass diese Linie auch weiterhin gilt. Wir wollen eine aufkommensneutrale Reform, und das muss jetzt natürlich auch die Grundlage unserer Arbeit innerhalb der Fraktion sein. Und ich sage mal, da gibt es schon eine ganze Reihe von Leuten, die signalisiert haben, dass zu Hause ordentlich Druck im Kessel ist.

    Meurer: Hat die SPD das Ziel der sozialen Gerechtigkeit aus den Augen verloren?

    Annen: Nein, natürlich nicht. Wir arbeiten ja nicht mit einer absoluten Mehrheit im Deutschen Bundestag, sondern wir haben eine Große Koalition, wo wir Kompromisse machen müssen. Das, glaube ich, ist uns gut gelungen. Und unsere Handschrift ist deutlich erkennbar, trotz des Streits, den wir jetzt dort in der Sache haben.

    Meurer: Aber im Moment scheint sich ja eher die CDU zu profilieren als sozialdemokratische Partei.

    Annen: Ja, sehen Sie, das ist ein ganz normaler demokratischer Prozess, dass man sich über auch so komplexe Gesetzesvorhaben auseinandersetzt. Aber sehen Sie, wir haben beispielsweise dafür gesorgt, dass das Thema der Kinderbetreuung nicht nur auf die Tagesordnung gekommen ist, sondern dass wir geradezu einen Mentalitätswechsel erzeugt haben, auch bei den Christdemokraten. Das ist sozialdemokratische Handschrift, und darüber freuen wir uns. Wir sind dabei, in Deutschland für Millionen von Menschen dafür zu sorgen, dass wir eine Perspektive für einen gesetzlichen Mindestlohn haben. Wir haben gerade in der letzten Sitzungsperiode des Deutschen Bundestages für diejenigen, die im Reinigungshandwerk arbeiten, mit einer entsprechenden Gesetzesänderung dafür gesorgt, dass es einen Mindestschutz gibt. Das sind Dinge, die zum Teil wirklich historischen Charakter haben.

    Meurer: Nur: Reicht das aus, um Profil zu zeigen für soziale Gerechtigkeit, das Thema Mindestlöhne?

    Annen: Nein, wenn Sie sich die Umfragen angucken, wenn Sie sich den Zustand der Sozialdemokratie insgesamt ansehen, dann kann man ja sich nicht zufrieden zurücklehnen. Und das ist auch gar nicht der Eindruck, den ich hier bei Ihnen erwecken möchte, sondern wir müssen hart an unseren Vorhaben arbeiten, wir müssen auch die Chance nutzen, die wir mit der Grundsatzprogrammdebatte haben, um deutlich zu machen, dass wir in Deutschland eine Entwicklung hin zu mehr Gerechtigkeit, und es sind ganz konkrete Fragen, es ist ja keine theoretische Debatte, die wir führen. Die Frage, ob wir einen Mindestlohn einführen, das verändert ja die Lebenssituation der betroffenen Menschen. Wir müssen den Menschen deutlich machen, das geht nur mit der Sozialdemokratie. Es ist manchmal ein steiniger Weg, gerade dann, wenn man nicht über eigene Mehrheiten verfügt, aber ein Weg, der in die richtige Richtung geht.

    Meurer: Wo würden Sie denn außer den Mindestlöhnen noch ansetzen wollen?

    Annen: Nun, wir haben ja insgesamt, wenn ich die Familienpolitik nenne, wenn ich die Arbeitsmarktpolitik insgesamt nenne, auch dafür gesorgt mit unseren Reformen, dass wir jetzt eine wirtschaftliche Entwicklung haben, die uns wieder Spielräume verschafft, was beispielsweise die Steuereinnahmen angeht. Aber es gibt eine ganze Reihe von Politikbereichen, wo wir unsere Handschrift durchgesetzt haben. Sehen Sie, beispielsweise im Bereich der Außenpolitik haben wir die Frage der Abrüstung international wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Wir sind dabei, mit diplomatischen Wegen den Versuch zu unternehmen, die großen Krisen dieser Welt zu lösen.

    Meurer: Das ist aber kein soziales Gerechtigkeitsprofil.

    Annen: Unterschätzen Sie nicht die Angst der Menschen auch vor dem, was beispielsweise die amerikanische Anti-Terror-Politik ausgelöst hat. Aber Sie haben ja nach der Frage des sozialdemokratischen Profils gefragt, und deswegen sage ich, das ist in allen Politikbereichen deutlich nachzeichenbar. Aber es ist auch klar: Eine Partei, die nicht die Regierungschefin oder den Regierungschef stellt, eine Partei, die auch viele Stimmen verloren hat in den letzten Jahren, muss sich natürlich auch überlegen, ob die Prioritäten richtig gesetzt gewesen sind und an welchen Stellen wir noch nacharbeiten müssen. Und ich will nicht leugnen, dass es ein schwieriger Prozess ist.

    Meurer: Niels Annen war das, stellvertretender Sprecher der SPD-Linken bei uns im Deutschlandfunk. Herr Annen, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    Annen: Bitteschön.