Freitag, 19. April 2024

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SPD-Migrationsbeauftragter
"Das ist halt Horst Seehofer pur"

Nach Ansicht des SPD-Migrationsbeauftragten Aziz Bozkurt geht es Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beim Thema Asylpolitik nur um Symbolik. Viele der Punkte in seinem sogenannten Masterplan zur Migration seien weder vereinbart noch realisierbar, sagte Bozkurt im Dlf.

Aziz Bozkurt im Gespräch mit Christiane Kaess | 10.07.2018
    Im Transitzentrum in Manching für Asylsuchende steht ein Sicherheitsmitarbeiter neben einem Bewohner an einem Zaun.
    Offen oder gechlossen? In der Debatte um Transitzentren sind Union und SPD noch nicht auf einer Linie (Stefan Puchner/dpa)
    Christiane Kaess: Aziz Bozkurt ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD - er ist jetzt am Telefon. Guten Abend.
    Aziz Bozkurt: Guten Abend.
    "Kanisterträger der Rechten"
    Kaess: Ist dieser Masterplan von Horst Seehofer eine Provokation für die SPD?
    Bozkurt: Er ist auf jeden Fall dazu angelegt, die gesamte Gesellschaft zu provozieren und wieder nur Symbolik zu setzen, da er sich anscheinend in der Rolle als Kanisterträger der Rechten gefällt und wie gesagt eigentlich nur durch die Symbolik nach außen setzen will, dass man jetzt das hässliche Gesicht Deutschlands zeigt und abschotten will.
    Kaess: Symbolik ist es ja nicht nur; da ist ja auch noch eine ganze Menge Inhalt, können wir gleich drüber sprechen. Auf der anderen Seite möchte ich hier noch kurz sagen: Herr Seehofer sagt auch, das ist jetzt sein Plan und nicht der der Koalition.
    Bozkurt: Da hat er ja auch Recht. Wenig ist davon vereinbart. Teilweise sind da ja auch Punkte drin, die in den Koalitionsverhandlungen auch Thema waren wie Sachleistungsprinzip, Residenzpflicht und so weiter, die in den Verhandlungen abgeräumt wurden. Das jetzt noch mal aufzumachen - ich weiß nicht, ob er sich in dem Spiel gefällt. Aber der Koalitionspartner hat dazu ja schon eindeutig Nein gesagt. Von daher geht es ihm auch gar nicht um diese konkreten Schritte; tatsächlich geht es ihm wirklich um die Symbolik. Wir und die Öffentlichkeit insgesamt haben uns viel zu lange mit einem Plan beschäftigt, den keiner wochenlang kannte und alle geschrieben haben. Das ist das einzige Ziel dessen, was er dort gemacht hat. Viele der Sachen sind weder gut realisierbar, noch sind sie vereinbart. Das ist halt Horst Seehofer pur.
    "Extrem hart an der Grenze, was Sozialdemokraten vertragen"
    Kaess: Aber warum diese Aufregung, wenn Horst Seehofer selber sagt, wir werden noch vieles anders vereinbaren, als es hier drinsteht?
    Bozkurt: Eine Aufregung ist es nicht. Man muss aber jemanden, der so am Rad dreht im Prinzip, auch irgendwo mal Grenzen zeigen und vielleicht einfach nur sagen, es ist jetzt Schluss mit den Spielchen. Da braucht man auch nicht auf jedes kleinste Detail einzugehen. Deswegen finde ich die Reaktion in der Breite gar nicht mal so falsch, indem man sagt, der Koalitionsvertrag gilt. Mehr muss man gar nicht machen, weil das schon extrem hart an der Grenze war, was Sozialdemokraten vertragen konnten, und meiner Meinung nach sogar darüber hinaus. Von daher muss man da jetzt auch nicht großartig drüber reden.
    Kaess: Wenn Sie sagen, das ist hart an der Grenze, was ist denn der Unterschied zwischen Transitzentren oder Transferzonen - es ist doch letztendlich egal, wie man es nennt -, wenn damit eigentlich ein ordentliches Verfahren gemeint ist, das angelehnt ist an das Flughafenverfahren?
    Bozkurt: Na ja. Auch am Flughafenverfahren gibt es ja lange Zeit schon Kritik.
    "Was im Koalitionsbeschluss vereinbart wurde, davon ist nichts fassbar"
    Kaess: Dazu hat man aber bisher wenig von der SPD gehört.
    Bozkurt: In den letzten Jahren wurde wenig über das Flughafenverfahren geredet, weil die Fallzahlen so gering sind, dass das wirklich kein großes Themenfeld ist, wo man sich tagelang auseinandersetzen muss.
    Kaess: Das wäre ja jetzt auch so. Es würde ja nur um einige wenige Fälle gehen.
    Bozkurt: Genau! Diesmal auch wieder um einige wenige Fälle. Man muss tatsächlich verstehen, dass es Rechtspopulisten und Leuten wie Seehofer nicht darum geht, tatsächlich irgendwas zu lösen. Dementsprechend hat man darüber jahrelang nicht diskutiert und jetzt kommt er und sagt, ich will dieses Verfahren. Was in diesem Beschluss der Koalition vereinbart wurde, davon ist ja nichts fassbar. Weder ist eine gesetzliche Änderung dort vereinbart, weder wird das Verfahren funktionieren, weil beim Flughafenverfahren ist ja der Kniff sozusagen, dass die Leute nicht einreisen, in einer Transitzone sind und dann festgehalten werden. Nun ist das aber auf Land völlig anders. Die Menschen reisen ein, haben den Boden hier schon betreten, und dann sind die nicht mehr im Niemandsland, sondern in Deutschland. Deswegen wird das Verfahren ohne gesetzliche Änderung, glaube ich, nicht so ganz funktionieren. Und das Ganze, was dort vereinbart wurde, es ist eine Nullnummer, die wir dort beschlossen haben.
    "Die SPD hat es tatsächlich so unkenntlich gemacht"
    Kaess: Aber, Herr Bozkurt, es ist ja schon so, dass die SPD dem Ganzen schon zugestimmt hat. Es sollte bloß nicht Transitzentren heißen. Deswegen noch mal meine Frage: Das Verfahren ist ja genau das, was mit der SPD vereinbart wurde. Was ist daran falsch?
    Bozkurt: Die SPD hat es tatsächlich so unkenntlich gemacht, dass es wie gesagt ohne gesetzliche Vereinbarung und zweitens ohne das Zutun der Herkunftsstaaten aus Europa, wonach es ja auch nicht aussieht, weil keine Vereinbarungen Zustandekommen, so unwirksam gemacht wurde. Dabei wird nichts herauskommen. Weder wird Italien Flüchtlinge aufnehmen, und dann funktioniert das, was da steht, schon gar nicht.
    Herausforderungen in allen Ländern tragen
    Kaess: Aber das Zugeständnis hat Horst Seehofer in diesem Masterplan jetzt gemacht, dass nicht mehr die Rede ist von einseitigen Zurückweisungen, sondern es geht um diese Abkommen mit anderen Ländern, und er spricht da von ermutigenden Signalen, die er offenbar wahrgenommen hat. Wenn das Ganze so käme, dann entspräche das den Dublin-Regeln. Was wäre dagegen zu sagen, wenn man geltendes Recht umsetzt?
    Bozkurt: Noch einmal muss ich sagen, dass es ihm nicht um geltendes Recht geht. Tatsächlich stellt sich die Frage, dass das Dublin-Verfahren so funktioniert, und gerade Sozialdemokraten und auch fortschrittliche Europäer sollten sich jetzt eigentlich Gedanken machen, wie man ein Verfahren macht, was ein solidarisches Europa tatsächlich nach vorne bringt, weil dass das Dublin-Verfahren nicht funktioniert, sehen wir die letzten Jahre. Die südeuropäischen Länder ächzen unter einer gewissen Herausforderung, die im Norden sind fein raus, und das funktioniert einfach so nicht. Jetzt hat es Deutschland getroffen, weil die Wege dann einfach mal geöffnet wurden und in Deutschland auch einige mehr Menschen gekommen sind, und erst jetzt regt sich Deutschland auf. Das Notwendigste, um den Zusammenhalt Europas herzustellen, ist, ein Verfahren zu finden, dass gleichermaßen die Herausforderungen in allen Ländern getragen werden.
    "Eher mit Anreizen arbeiten"
    Kaess: Aber auf was Sie jetzt anspielen, eine Verteilung der Flüchtlinge innerhalb von Europa, das hat ja nicht funktioniert.
    Bozkurt: Unter Zwang hat es auch nicht funktioniert. Aber es gab im SPD-Wahlprogramm zum Beispiel den Vorschlag und auch einiger Organisationen, die das unterstützen, eher mit Anreizen zu arbeiten, wenn zum Beispiel ein Land Geflüchtete aufnimmt, dass man da dann auch Investitionen fördert, die auch allen Menschen vor Ort zukommen, so dass das auch gesamtgesellschaftlich für den Zusammenhalt eine Stärkung ist. Damit kann es funktionieren. Mit den Verfahren, die da versucht wurden, mit Zwang, ist anscheinend irgendwo eine Grenze erreicht.
    Fluchtursachen bekämpfen, Handelshemmnisse abbauen
    Kaess: Jetzt behauptet Horst Seehofer ja, das Wichtigste sei für ihn, die wirtschaftliche Lage in den Herkunftsländern zu verbessern. Ist das eigentlich gerechtfertigt, dass jetzt alle über die ganzen anderen Punkte in dem Plan reden, aber nicht das, was offenbar dem Bundesinnenminister am wichtigsten ist?
    Bozkurt: Ich bezweifele sehr stark, dass es ihm darum geht. Aber das, was er verbal äußert, ist eigentlich das, was tatsächlich der Fokus sein sollte. Man kann nämlich auch Migrationsbewegungen, ohne Angst und abstoßend wirken zu wollen, gestalten und da ist dieser Punkt sehr wichtig. Da nehme ich zum Beispiel dem Entwicklungsminister es sehr stark ab, dass er daran ein großes Interesse hat. So würden wir eigentlich Migrationsbewegungen eher richtig gestalten. Leider ist auch das in dem Papier sehr, sehr, sehr schwammig und auf dem Niveau, wie wir es immer haben: Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen. Um es konkret zu machen: Wie ist es zum Beispiel mit den Agrarsubventionen in Europa? Dass ein Huhn aus Frankreich günstiger ist als in Afrika, was vor Ort gezüchtet wurde, das kann man doch gar nicht verstehen. Wie soll dann auch eine Wirtschaft dort aufleben? – Oder was wir an Handelshemmnissen und sonstigem haben, das wären tatsächlich einmal Punkte, wo man mal konkret zeigen kann, man meint es ernst. Und dieses Schwammige, die Wirtschaft soll sich da entwickeln – allein dadurch, dass Herr Seehofer das in so ein Papier reinschreibt, tut sich da gar nichts in Afrika.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.