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SPD-Mitgliederbefragung
Winter: Koalitionsvertrag erfüllt nicht SPD-Kernthemen

Lars Winter (SPD), Landtagsabgeordneter in Kiel, wird bei der SPD-Mitgliederabstimmung gegen den ausgehandelten Koalitionsvertrag stimmen. Wichtige SPD-Themen, wie zum Beispiel in der Gesundheitspolitik, seien nicht erfüllt worden, ergänzt er.

Lars Winter im Gespräch mit Silvia Engels | 28.11.2013
    Die Anzeige einer Fußgängerampel wechselt in der Nacht zum 27.11.2013 vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin von Rot auf Grün. In der SPD-Parteizentrale finden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, CDU und CSU statt. Der fertige Koalitionsvertrag soll nach Abschluss der Verhandlungen den Mitgliedern der SPD zur Abstimmung vorgelegt werden.
    Lars Winter von der SPD in Schleswig-Holstein wird gegen die Koalitionsvereinbarung stimmen. (dpa / Soeren Stache)
    Silvia Engels: Lars Winter, Kreisvorsitzender der SPD in Ostholstein, vor knapp zwei Wochen auf dem SPD-Parteitag. – Und er ist nun am Telefon. Guten Tag, Herr Winter!
    Lars Winter: Schönen guten Tag.
    Engels: Bleiben Sie bei Ihrer Fundamentalkritik?
    Winter: Ja, grundsätzlich schon. Auch wenn wir jetzt den Entwurf des Koalitionsvertrages vorliegen haben und sicherlich einige gute Punkte auch da drin sind, sind aber die Kernthemen, die wir vor der Wahl gefordert haben, und auch das, was der Parteikonvent gefordert hat, nicht erfüllt, und somit bleibt es bei der Kritik, ja.
    Engels: Also bleiben Sie auf jeden Fall auch b ei Ihrem nein, wenn nun die Mitgliederbefragung kommt?
    Winter: Ich persönlich bleibe bei dem Nein. In meinem Kreisverband haben wir am 4. eine Diskussion zu dem Koalitionsvertrag und wir werden im Anschluss daran auch abstimmen, damit wir wissen, wie die Kreispartei sich öffentlich dann weiterhin äußern soll. Ich gehe davon aus, so wie meine Wahrnehmung ist, dass es dort auch bei einem Nein bleibt, aber wohl nicht bei einem einstimmigen Beschluss. Das hat mir die Rückkopplung einiger Mitglieder schon gegeben.
    Engels: Ihre Fundamentalkritik steht im Mittelpunkt. Aber was passt Ihnen denn inhaltlich nicht an dem jetzt ausgehandelten Kompromiss?
    Winter: Inhaltlich passt es mir nicht, dass der Mindestlohn so kommt, wie er kommt. Dass er kommt, finde ich gut, aber dass er erst ab 1. 1. 2015 greift und dann auch nicht für die Tarifverträge, die jetzt noch laufen und einen Lohn unter dem Mindestlohn haben, dass die bis zum 1. 1. 2017 laufen dürfen. Ich finde es nicht gut, dass die Anpassung frühestens 2018 erfolgt. Es gibt ja auch schon Berechnungen darüber, wie hoch der Mindestlohn dann sein wird, wenn wir die Inflation dort gegenrechnen.
    Was mir weiterhin nicht gefällt, das sind die Regelungen zur Gesundheitspolitik. Die solidarische Bezahlung der Kosten ist nicht gekommen, wie wir das immer gefordert haben, sondern der Arbeitgeberanteil ist weiterhin eingefroren. Und die Kosten, die auf uns zukommen werden, auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Krankheitswesen werden dramatisch steigen und sie müssen das alleine bezahlen.
    Engels: Gefällt Ihnen denn auf der anderen Seite irgendetwas an dem Koalitionsvertrag?
    Winter: Ja natürlich! Da sind andere Punkte. Das mit der Rente finde ich sehr gut, wie das geregelt ist, auch wenn da die Nuance ist, dass das Renteneintrittsalter nach 45 Jahren langsam von 63 auf 65 steigt. Da könnte man vielleicht nachverhandeln. Ich finde es gut, dass man sich der Infrastruktur nähert. Wir haben ja gerade hier in Schleswig-Holstein mit dem Nordostsee-Kanal eine Wirtschaftsader, die sehr stark vernachlässigt worden ist. Dort soll mehr Geld hineinfließen. Also es gibt durchaus Punkte, die gut sind, aber das waren für die SPD nicht die Essentials, die wir für die Annahme einer Großen Koalition gesetzt haben, und die wesentlichen Punkte sind da nicht erfüllt: zum Beispiel auch die doppelte Staatsbürgerschaft, dass die, die hier geboren sind, zwar die doppelte Staatsbürgerschaft haben dürfen, die, die zugezogen sind, aber nicht.
    Engels: Nun trotz dieser Fortschritte nein zu sagen, ist das nicht etwas, wo Sie dann Millionen von Menschen, die davon profitieren könnten, schlechterstellen?
    Alternative: Minderheitsregierung der Kanzlerin
    Winter: Ja, damit muss ich leben. Aber ich muss auch meine Glaubwürdigkeit bewahren, die wir im Wahlkampf ja auch immer von den Wählern eingefordert bekommen haben. Immer wieder hören wir, dass Politik nicht glaubwürdig ist, und wenn wir uns für eine Position einsetzen und die dann dort sehr schwach nachverhandeln, dann ist diese Glaubwürdigkeit nicht gegeben und dann muss man die Konsequenz ziehen und nicht in die Regierung eintreten.
    Es ist ja dann die Folge: Was passiert dann? Es ist ja nicht so, dass unsere Forderungen dann unerhört für vier Jahre irgendwo in einer Schublade verschwinden, sondern ich gehe davon aus, wenn wir die Große Koalition nicht machen sollten, dass es eventuell eine Minderheitsregierung der Kanzlerin gibt, auch wenn sie das jetzt noch verneint. Aber wenn die Grünen sich auch sperren, dann wird ihr wahrscheinlich nichts anderes übrig bleiben, und dann kommen wir mit unseren Anträgen und werden mit wechselnden Mehrheiten versuchen, mehr herauszuholen als das, was jetzt im Koalitionsvertrag steht.
    Engels: Nehmen Sie Ihre Meinung als Mehrheitsmeinung vielleicht auch im Landesverband oder gar bundesweit bei den SPD-Mitgliedern wahr?
    Winter: Nein. Bundesweit kann ich das schon gar nicht, weil ich gar nicht die Übersicht habe. Im Landesverband selber auch schon nicht. Man hat natürlich seine Leute, seine Bekannten, mit denen man spricht, und das ist durchaus ausgewogen. Es gibt auch viele Befürworter des Koalitionsvertrages und der Zustimmung dazu. Insbesondere die Mitglieder, die sich politisch aktiv nicht beteiligen, da weiß man ja gar nicht, wie die abstimmen, und von daher würde ich mich da nicht aus dem Fenster lehnen wollen, dass meine Meinung Mehrheitsmeinung wird.
    Engels: Was sagen Sie zu dem Argument, dass die SPD, sollte sie mehrheitlich Nein sagen, auf Jahre hinaus ihre Regierungsfähigkeit verliert?
    Winter: Das glaube ich nicht. Wir haben alle Bemühungen unternommen, um eine Große Koalition zu machen. Mit 25 Prozent konnte man nicht mehr vielleicht erwarten, dort herauszubekommen, und ich glaube schon, dass das von den Wählerinnen und Wählern akzeptiert wird.
    Die FDP hat auch mit katastrophaler Politik, die sie gemacht hat, ja gezeigt, wo man landen kann, wenn man so eine Regierung eingeht, wo man mit seinen eigenen Positionen nicht durchkommt, und das würde dem Land auch nicht helfen, wenn die SPD so einen Niedergang aufgrund einer Großen Koalition erfahren würde.
    Engels: Lars Winter, er ist Mitglied des Landtages von Schleswig-Holstein und einer der lautesten Kritiker der Großen Koalition, auch nach dem nun vorliegenden Koalitionsvertrags-Entwurf. Vielen Dank für das Gespräch.
    Winter: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.