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SPD-Mitgliederbegehren vor dem Aus?

Engels: Erinnern Sie sich noch? Im April meldete sich die SPD-Linke reichlich lautstark zu Wort. Mit Hilfe eines Mitgliederbegehrens wollte sie die aus ihrer Sicht sozial ungerechte Reformagenda 2010 von Bundeskanzler Schröder zu Fall bringen oder zumindest abschwächen. Der Krach in der SPD war gewaltig. Bundeskanzler Schröder drohte mit Rücktritt, falls seine Agenda nicht mitgetragen wird, und warb auf zahlreichen Regionalkonferenzen für Zustimmung. Dann unterstützte der SPD-Sonderparteitag die Reformpläne des Bundeskanzlers und seitdem ist es deutlich stiller geworden um die Initiatoren des Mitgliederbegehrens. Seit einigen Tagen ist in diversen Zeitungsberichten zu hören, die Initiative stehe vor dem Aus. Am Telefon ist nun der SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit. Er ist einer der Mitinitiatoren des Mitgliederbegehrens. Guten Tag, Herr Veit.

    Veit: Guten Tag.

    Engels: Wie sieht es denn aus? Geben Sie auf?

    Veit: Also man soll nie aufgeben. Solange man Politik für die Menschen gestalten will, muss man auch den notwendigen Schwung aufbringen und auch Frustration hinnehmen. Aber wir haben ja auch einiges erreicht, auch mit dem Mitgliederbegehren, nicht nur dass der Sonderparteitag überhaupt stattgefunden hat, sondern inhaltlich gibt es ja deutliche Veränderungen beim "Arbeitslosengeld II", bei der Anrechnung des freien Vermögens zum Beispiel, das ist wesentlich günstiger als etwa bisher auf Sozialhilfeniveau, und wir haben darüber hinaus auch die Ausbildungsplatzumlage nunmehr in greifbarer Nähe. Schließlich und letztendlich darf man auch noch erwähnen, dass im Augenblick jedenfalls auch die Zinsabgeltungssteuer vom Tisch ist. Das alles, diese Bewegung, denke ich, hätte es ohne das Mitgliederbegehren nicht gegeben.

    Engels: Na, aber es ist doch nicht zum Ende geführt. Eigentlich sollten bis zum 11. Juli 67.000 Parteimitglieder dem zustimmen, um dann dieses Verfahren in Bewegung zu bringen. Reicht es doch nicht?

    Veit: Also 10 Prozent aller Mitglieder müssen unterschreiben, damit ein Mitgliederentscheid zu Stande kommt. Das sieht im Augenblick nicht danach aus, als ob wir diese Zahl auch nur annährend erreichen, aber auch das ist dann ein Ergebnis. Wenn die Partei und alle 670.000 Mitglieder sagen, wir sehen das mit dem Parteitag als abgeschlossen an und wollen uns an einem Mitgliederbegehren nicht beteiligen, dann ist auch das jedenfalls eine Entscheidung der Mitgliedschaft.

    Engels: Aber die Delegierten des Sonderparteitages, die dem zugestimmt haben, sind doch noch etwas anderes als eine Befragung der Basis der SPD. Lagen Sie da vielleicht von vorne herein falsch, dass die Basis das von vorne herein nicht wollte?

    Veit: Nein, das glaube ich nicht. Aber noch einmal: Den Sonderparteitag hätte es ohne das Mitgliederbegehren gar nicht gegeben. Ich gehe davon aus, dass aus inhaltlichen Gründen die Mehrheiten in manchen Einzelabstimmungen, beispielsweise beim Krankengeld oder beim Arbeitslosengeld, wo immerhin 35 bis 40 Prozent unserer Auffassung zugestimmt haben, dann noch anders ausgefallen wären, wenn die Rücktrittsdrohung des Kanzlers und Parteivorsitzenden nicht im Raum gestanden hätte.

    Engels: Aber es ist ja nun so, dass diese Rücktrittsdrohungen von Gerhard Schröder einiges bewirkt haben, nämlich es bleibt ja dabei, dass das Krankengeld wie in seiner ursprünglichen Reformagenda vorgesehen, vom Arbeitgeber getragen werden soll, und auch die Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe ist nicht vom Tisch.

    Veit: Nein, ich habe ja gerade gesagt, beim "Arbeitslosengeld II" Zusammenlegung, da hat ja keiner etwas dagegen, aber gibt es dann bessere Anrechnungsregelungen für die Menschen? Es ist nach wie vor sehr bedauerlich, dass der Arbeitnehmer derjenige ist, auf den das umverteilt werden soll, und da werden wir sehen, wie wir im Gesetzgebungsverfahren damit zu Rande kommen.

    Engels: Welche Bilanz ziehen Sie? Sie ziehen ja eigentlich eine positive. Man hätte im Vorfeld etwas bewegt. Aber letztendlich wirkt es doch für den Außenstehenden so, als seien Sie auf halber Strecke gescheitert.

    Veit: Nein, von Scheitern kann ja im Moment deswegen noch nicht die Rede sein, weil wir erst am Sonntag denjenigen, die unterschrieben haben, möglichst allen Gelegenheit geben wollen, sich an der Diskussion zu beteiligen. Ob sich das Mitgliederbegehren jetzt auch politisch erledigt hat, Ja oder Nein, oder ob es jetzt noch das richtige Instrument ist, das will ich heute nicht vorwegnehmen. Die Erstunterzeichner, die am Ende des Parteitages am letzten Sonntag vor einer Woche zusammengekommen sind, haben gesagt, das ist so der richtige Weg, das wollen wir nicht alleine entscheiden, sondern da soll jeder mitwirken können, der auch unterschrieben hat und der das so sieht wie wir.

    Engels: Haben Sie sich schon Ihre persönliche Meinung gebildet?

    Veit: Ich habe eine persönliche Meinung, die im Wesentlichen davon abhängig sein wird, wie viel Unterschriften bis zum Sonntag dann nach dem Parteitag noch eingegangen sind und wie viele Internetanschlüsse beziehungsweise Verbindungen versucht wurden. Das wird ein wichtiges Indiz sein für uns alle, ob das überhaupt noch mit Erfolg zu Ende geführt werden kann.

    Engels: Machen Sie das an einer Zahl fest? Sie hatten das angesprochen, 10 Prozent das heißt ungefähr 67.000 Parteimitgliederstimmen wären nötig gewesen. Wo stehen Sie im Moment und wie viel brauchen Sie noch?

    Veit: Ich kann Ihnen den genauen Stand nicht sagen, zumal ja auch die Mitgliederlisten mit den Unterschriften noch gar nicht alle zurückgelaufen sind. Da bleibt es bis zum Samstag zunächst einmal abzuwarten, wie viele zusammenkommen. Ich persönlich bin allerdings eher skeptisch, ob sich das noch wesentlich nach oben bewegt, daraus mache ich keinen Hehl, aber gemeinsam wollen wir das am nächsten Sonntag bewerten. Deswegen findet diese Zusammenkunft in Frankfurt statt.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.