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SPD-Mitgliedervotum
Eine Strategie des Muskelspiels

Durch die Mitgliederbefragung bekommt die SPD Auftrieb, meint der Politikberater und Publizist Michael Spreng. Das könne der Partei die Chance geben, in der Großen Koalition als stärkerer Partner zu erscheinen.

Michael Spreng im Gespräch mit Christine Heuer | 14.12.2013
    SPD-Chef Sigmar Gabriel (links) unterhält sich mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.
    SPD-Chef Sigmar Gabriel (li.) mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (Soeren Stache / dpa)
    Christine Heuer: Und am Telefon begrüße ich den Publizisten und Politikberater Michael Spreng. Guten Tag!
    Michael Spreng: Guten Tag!
    Heuer: Ein paar Überraschungen, Herr Spreng, stecken ja in diesem Tableau – welches ist für Sie die größte?
    Spreng: Die größte Überraschung ist, dass Heiko Maas aus dem Saarland kommt und Justizminister wird. Das war ja bisher überhaupt nicht auf der Liste. Das ist die größte Überraschung, würde ich sagen.
    Heuer: Und wie, glauben Sie, kommt diese Entscheidung zustande?
    Spreng: Es ist ja immer schwierig, solche Kabinettsbildungen. Eine Partei tariert das ja aus zwischen den Geschlechtern, also mit Frauenquote, zwischen den Regionen. Und es bestand die Gefahr, dass es eine Übermacht von Niedersachsen gibt. Also Steinmeier wird Niedersachsen zugerechnet, Gabriel ist Niedersachse, der neue Fraktionschef Oppermann – also, es musste noch was aus dem Süden her, und deshalb auch ein Saarländer. Ich glaube, das spielt schon eine große Rolle. Und man wird das auch sehen bei der weiteren Besetzung des Kabinetts, also wenn es um die parlamentarischen Staatssekretäre geht, werden dann die Namen aus Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen und Sachsen auftauchen, die jetzt nicht berücksichtigt worden sind.
    Heuer: Roland Pofalla bei der Union, der verlässt angeblich die Politik. Was kann denn da hinter stecken?
    Spreng: Ich glaube, dass das schon persönliche Gründe hat. Er ist ja relativ jung verheiratet. Vielleicht will er auch Geld verdienen, was ja legitim ist. Er hat ja einen mörderischen Job gemacht, ohne große öffentliche Anerkennung, weil er sich ja auch viele Fehler geleistet hat. Also, der Rückzug in die Wirtschaft ist nachvollziehbar. Ich glaube, das deutet nicht auf ein Zerwürfnis mit der Kanzlerin hin, im Gegenteil.
    Heuer: Wenn es ein politisches Scheitern wäre, woran wäre Pofalla dann wohl gescheitert? An der Art, wie er in den Koalitionsverhandlungen agiert hat?
    Spreng: Es kommt ja vieles zusammen. Also manchmal seine ungeschickte Art, mit Verhandlungspartnern umzugehen – unvergessen ist, dass er die, wie er sagte, "Fresse von Wolfgang Bosbach" nicht mehr sehen kann; seine Verniedlichung und Verharmlosung der NSA-Affäre. Also, da kommt einiges zusammen, aber dennoch hat ihn Frau Merkel ja sehr geschätzt.
    Heuer: Gerade, Herr Spreng, haben wir eine Eilmeldung: Ursula von der Leyen, heißt es da, "Bild" meldet das, Ihre alte Zeitung, solle Innenministerin werden – noch 'ne Überraschung!
    Spreng: Ja, das wäre eine ganz große Überraschung, muss ich sagen, weil die CSU ja bisher darauf beharrte, ihre Ministerien zu behalten. Also, da ist noch Bewegung drin, muss ich sagen. Ich kann die Meldung ja selbst jetzt nicht bestätigen, ich hab da keine Informationen.
    Heuer: Es leitet uns aber über zur CSU. Da ist immer zu hören, Seehofer wolle weiter mit Hans-Peter Friedrich und Peter Ramsauer im Berliner Kabinett Politik machen. Wenn Ursula von der Leyen Innenministerin würde, dann wäre das schon einmal nicht mehr der Fall.
    Spreng: So ist es. Hinzu kommt ja auch, dass Alexander Dobrindt gesetzt ist für ein Ministeramt. Der soll ja gewissermaßen aus seiner Generalsekretärszeit im Ministeramt resozialisiert werden, und ich könnte mir vorstellen, dass Seehofer für ihn vielleicht das Verkehrsministerium vorgesehen hat, in dem er sich dann mit der ungeliebten Pkw-Maut rumschlagen müsste.
    Heuer: Und einer müsste gehen.
    Spreng: Einer müsste gehen, genau.
    Heuer: Und das wäre dann Hans-Peter Friedrich?
    Spreng: Ja, Hans-Peter Friedrich oder Peter Ramsauer. Also einer von beiden – mehr bleiben ja nicht übrig.
    Heuer: Die SPD-Führung wollte das Personal ja geheim halten, bis klar ist, ob die Parteibasis für oder gegen die große Koalition ist. Das hat jetzt nachweislich nicht geklappt. Was steckt dahinter? Ist das eine undichte Stelle oder haben wir es mit bewusstem Durchstechen zu tun?
    Spreng: Ich glaube, die SPD-Führung ist sich ganz sicher, dass der Mitgliederentscheid klappt, und nur so ist diese Indiskretion zu erklären. Um auch als Erste vorne zu sein, die Fantasie der Medien zu beschäftigen und neue Namen zu präsentieren, die überraschend sind. Also viel mehr steckt da nicht dahinter, aber so viel.
    Heuer: Und ist das denn ein politischer Vorteil, die Fantasie der Medien zu beschäftigen für, gesetzt, 14, 24 Stunden?
    Spreng: Ja gut, das zeigt wieder, die SPD wird ja durch den Mitgliederentscheid auch Auftrieb bekommen, wenn er sehr positiv ausgeht, plus diese Kabinettsliste, also dass die SPD wiederum, wie ja auch schon in Teilen der Koalitionsverhandlungen, als der treibende und möglicherweise sogar stärkere Partner erscheint. Das ist schon eine Strategie des Muskelspiels.
    Heuer: Unterm Strich, was die Namen möglicher neuer Minister angeht, Herr Spreng: Wer ist für Sie der größte Gewinner, wer der größte Verlierer?
    Spreng: Wenn Frau von der Leyen Innenminister würde, wäre sie große Gewinnerin, denn das Gesundheitsministerium wäre ja eher ein Abschiebeposten gewesen. Natürlich Heiko Maas, auch Barbara Hendricks –
    Heuer: - die neue Umweltministerin.
    Spreng: – die ja ihren Job der Frauenquote verdankt und ihrer Nordrhein-Westfalen-Quote. Also das sind schon die größeren Überraschungen. Und dann muss man sehen, was die CSU noch bereithält, denn da ist ja das Spiel jetzt offenbar wieder offen, wenn diese Meldung stimmt.
    Heuer: Und all unsere Überlegungen heute Mittag, Herr Spreng, die setzen voraus, dass der Mitgliederentscheid der SPD positiv ausgeht für die Parteiführung, dass es also zur großen Koalition kommt. Gehen Sie auch fest davon aus, oder wie fest gehen Sie davon aus?
    Spreng: Ja, ich gehe davon aus. Es war ja ursprünglich ein machtpolitisches Kalkül von Gabriel, um seine Kritiker und die Partei einzubinden. Und jetzt ist da ein Stück mehr Demokratie draus geworden, was auch Maßstäbe für die Zukunft setzt. Ich gehe fest davon aus, dass das klappt. Und dann hat die SPD ein neues Thema, nämlich, wie soll man sagen, anknüpfend an Willy Brandt: Mehr Demokratie wagen!
    Heuer: Und so verwandelt man eine politische Schwäche am Ende in politische Stärke?
    Spreng: Ja, muss man konzedieren. Sigmar Gabriel hat das blendend gemacht bisher. Und die SPD wirkt öffentlich stärker, als sie aus der Bundestagswahl herausgekommen ist.
    Heuer: Der Publizist und Politikberater Michael Spreng. Haben Sie Dank für das Gespräch!
    Spreng: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.