Dienstag, 23. April 2024

Archiv

SPD-Ostbeauftrager Dulig
"Darüber reden, warum es im Osten anders ist"

Martin Dulig soll als Ostbeauftragter der SPD seine Partei in den neuen Bundesländern wieder stärker machen. Es gehe um Vertrauensarbeit mit den Menschen, sagte Dulig im Dlf. Er erlebe in Ostdeutschland viele enttäuschte Demokraten, deren Lebensleistungen nach dem großen Umbruch von der Politik nicht genug gewürdigt worden seien.

Martin Dulig im Gespräch mit Stephan Heinlein | 12.04.2018
    SPD-Landeschef in Sachsen und nun auch Ostbeauftragter seiner Partei: Martin Dulig.
    SPD-Landeschef in Sachsen und nun auch Ostbeauftragter seiner Partei: Martin Dulig. (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Stefan Heinlein: Einst stolze Volkspartei, fristen die Sozialdemokraten im Osten der Republik mittlerweile eher ein tristes Mauerblümchen-Dasein. Zwar stellt die SPD in Mecklenburg-Vorpommern und auch in Brandenburg aktuell noch die Ministerpräsidenten, doch spätestens seit der Bundestagswahl ist sie kaum mehr als eine Nischenpartei im Osten. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist man mit Ergebnissen zwischen 10 und 15 Prozent auf Platz vier im Parteien-Ranking abgerutscht, hinter CDU, Linkspartei und mittlerweile auch der AfD. In den Orts- und Kreisverbänden fehlen die Mitglieder. Die neuen Länder sind weitgehend sozialdemokratische Diaspora.
    Ein Problem, das man nun auch in Berlin erkannt hat. In dieser Woche wählte der SPD-Vorstand erstmals einen Ostbeauftragten der Partei. Einstimmig fiel die Wahl auf Martin Dulig, SPD-Landeschef in Sachsen. Guten Morgen, Herr Dulig.
    Martin Dulig: Schönen guten Morgen.
    "Politische Projektionsfläche für Ostdeutschland in Berlin sein"
    Heinlein: Herr Dulig, was reizt Sie am Job als SPD-Insolvenzverwalter im Osten?
    Dulig: Na ja, das ist ein bisschen heftig ausgesprochen, denn wir haben im Osten ja schon seit Längerem eine Erfahrung, mit schwierigen Strukturen umzugehen. Es ist jetzt nicht erst seit der Bundestagswahl so. Ich kann da ja aus Sachsen heraus ein Lied davon singen. Es geht eben nicht um den Abgesang einer SPD, sondern darum, dass wir etwas selbstbewusst auch einzubringen haben. Die SPD ist durchaus eine sehr westdeutsch geprägte Partei und auch die Bundespolitik insgesamt hat meiner Meinung nach, wenn es um Ost-West ging, immer nur in Strukturen gedacht. Da ging es immer um die Frage, wie viel Geld ist in den Osten geflossen, wie ist die Strukturförderung. Aber ich glaube, es geht, wenn man über Gesamtdeutschland redet, viel stärker auch um Emotionen, um Mentalitäten, und da ist meine Aufgabe, meiner Meinung nach, viel stärker eine politische Projektionsfläche für Ostdeutschland in Berlin zu sein, als jetzt ein Organisator für Ortsvereinsarbeit in Ostdeutschland.
    Heinlein: Herr Dulig, brauchen die Wähler im Osten eine andere Ansprache als im Westen und dann wird alles wieder gut?
    Dulig: Wie wäre es denn, wenn wir erst mal darüber reden, warum im Osten es anders ist, warum Menschen vielleicht auch in Ostdeutschland anders gewählt haben. Wir sollten aufpassen, dass wir nicht schon wieder nur Ost und West vergleichen bei den Wahlergebnissen, sondern vielleicht auch noch mal fragen, warum haben wir in Ostdeutschland bei der AfD zum Teil doppelt so hohe Wahlergebnisse wie bei der SPD. Da ist doch was passiert und mich würde es schon mal freuen, wenn man sich dafür interessiert, was die Gründe sind, denn ich glaube, das hat auch ganz viel damit zu tun, dass in Ostdeutschland man sehr viel vom Staat erwartet, manchmal vielleicht sogar zu viel, und dass auch die Frage, inwieweit es eine Enttäuschung gibt über bestimmte politische Entscheidungen, ganz schnell zur Abkehr führt. Ich warne nur davor, dass man jetzt, bloß weil man mit schwierigen Wahlergebnissen in Ostdeutschland zu tun hat, die gleich alle als Feinde der Demokratie darstellt. Ich erlebe in Ostdeutschland viele enttäuschte Demokratinnen und Demokraten, und um die müssen wir uns auch kümmern.
    Lebensleistungen zu wenig gewürdigt
    Heinlein: Das, was Sie sagen, Herr Dulig, führt dann ganz schnell zu der Frage, wer die Verantwortung trägt für das SPD-Tief in den neuen Ländern. Ist das allein Gerhard Schröder mit seinen Hartz-Reformen? Sie haben ja gesagt, Stichwort: Im Osten erwartet man mehr vom Staat und nicht weniger.
    Dulig: Ich weiß, das Wichtigste ist immer, die Schuldfrage zu klären. Das gilt ja in Beziehungen genauso wie anscheinend in der Politik. Aber ich glaube, man darf es sich nicht so einfach machen, weil es nicht nur um politische Entscheidungen geht, sondern auch, inwieweit wir in den letzten 28 Jahren tatsächlich mal das gemacht haben, was notwendig ist, nämlich den Menschen in Ostdeutschland einen Respekt vor ihren Lebensleistungen entgegenzubringen. Die Menschen in Ostdeutschland haben einen Umbruch erlebt, den hat man in Westdeutschland nicht erlebt. Sie haben Nachteile in Kauf genommen, zum Beispiel niedrigere Löhne, damit sie ihre Arbeitsplätze erhalten, und erleben jetzt nicht automatisch, dass eine Politik, eine Bundespolitik dieses würdigt. Das heißt, es geht nicht nur um konkrete politische Entscheidungen, sondern auch um die Frage, eine kulturelle Frage, wie wir mit Menschen und den Lebensleistungen umgehen. Dass natürlich auch Enttäuschungen vorhanden sind gegenüber politischen Entscheidungen, darum brauchen wir nicht herumreden.
    Heinlein: Damit meinen Sie unter anderem Hartz IV?
    Dulig: Es ist nicht nur allein Hartz IV, aber das hat natürlich eine große Rolle gespielt, denn man muss schon die Wahlergebnisse vergleichen. Damals hat Gerhard Schröder die Wahlen in Ostdeutschland gewonnen. Danach war die Enttäuschung sehr groß. Aber es ist ja nicht nur ein SPD-Problem, sondern man sieht ja auch am Wahlergebnis einer AfD, dass alle darunter zu leiden haben.
    Keine "Demokratie als Pizzadienst"
    Heinlein: Das müssen Sie uns jetzt genau erklären. Warum geht denn der Absturz, der brutale Absturz, muss man ja sagen, der SPD bei den Wählern im Osten einher mit dem Aufstieg der Rechten, vor allem der AfD?
    Dulig: Ich denke schon, dass viele Gerechtigkeitsfragen noch mal anders beantwortet werden und dass diese Enttäuschung von Politik auch darin mündet, dass man schon ein starkes Protestzeichen setzt. Es ist schon interessant, dass bei der letzten Bundestagswahl die Wählerinnen und Wähler der AfD selber eingeschätzt haben, dass die Partei ihre Probleme nicht löst. Die Umfragen und die Analysen zeigen ja, dass die Wählerinnen und Wähler gar nicht Vertrauen in die Lösungskompetenz der AfD haben, sondern das war ja auch ein Hilferuf, ein Alarmzeichen. Deshalb ist es auch wirklich wichtig, dass man sich nicht um eine AfD, sondern um die Wählerinnen und Wähler kümmert, denn die wollen uns etwas sagen. Die wollen ja sagen, nehmt uns bitte ernst, respektiert, was wir für Ansprüche haben, respektiert bitte, dass wir auch gehört werden wollen. Natürlich haben wir auch eine ganze Reihe von Leuten dabei, wo sicherlich auch eine Überforderung an Politik und Demokratie schnell stattfindet, weil ich auch viele Leute erlebe, die meinen, Demokratie ist dann, wenn ihre persönlichen Wünsche erfüllt werden, so unter dem Motto Pizzadienst, Demokratie als Pizzadienst, ich bestelle, ihr liefert. Das ist natürlich auch schwierig.
    Heinlein: Herr Dulig, die SPD hat ja jetzt wieder platzgenommen in Berlin, in der ungeliebten Großen Koalition. Sie hat Verantwortung in der Regierung übernommen. Ist das eine Chance, oder ist das für Sie aus Ihrer Sicht auch ein Risiko für den, von Ihnen angestrebten Neustart im Osten?
    Dulig: Ich bin Verantwortungspolitiker und deshalb renne ich auch nicht vor Verantwortung weg. Ich weiß, wie schwierig die Entscheidung zur Großen Koalition war, aber glaubhaft wird man doch nur, wenn Reden und Handeln in Übereinklang kommen. Da ist es doch gerade hilfreich und sinnvoll, wenn man auch in einer Regierung tatsächlich einen Gestaltungsanspruch umsetzen kann. Ich sehe es als große Chance.
    Heinlein: Wie populär, Herr Dulig, ist denn nach Ihrem Eindruck ein Olaf Scholz oder eine Andrea Nahles in den neuen Ländern?
    Dulig: Na ja. Ich glaube, dass das gar nicht nur eine Frage zwischen Ost und West ist, sondern da gibt es sicherlich genügend Leute, die es gut finden, und genügend Leute, die es schwierig finden. Es geht ja nicht nur um die Frage, wie man jetzt Spitzenpersonal der SPD in Berlin bewertet, sondern es geht vielleicht auch stärker darum, dass auch Ostdeutsche ihre Vertretung in Berlin wahrnehmen. Wir brauchen durchaus mehr Leute, die für ostdeutsche Interessen als SPD wahrnehmbar sind. Deshalb freue ich mich ja so, dass Franziska Giffey in der Bundesregierung ist, die das sehr gut macht.
    Blühende Landschaften?
    Heinlein: Aber es braucht mehr Ostpräsenz, auch personell in der SPD bundesweit?
    Dulig: Ja! Auf der einen Seite ja. Aber es geht ja eher darum, wie wir tatsächlich auch die ganzen Themen, die uns in Ostdeutschland bewegen, präsentieren, dass man auch gehört wird. Deshalb freue ich mich natürlich auch über die große Unterstützung, die ich erfahren habe bei meiner Wahl. Natürlich steckt auch eine große Gefahr darin, denn die Erwartung, dass jetzt ein Ostbeauftragter auf einmal alles regelt und die SPD in Ostdeutschland durch die Decke geht, die ist natürlich nicht zu erfüllen. Von daher muss man, glaube ich, auch wirklich mal ein realistisches Maß anlegen, was tatsächlich auch mit meiner Funktion zu verbinden ist.
    Heinlein: Dann nennen Sie uns eine realistische Zahl für die nächste Bundestagswahl. 10,5 Prozent haben Sie 2017 bekommen. Was wollen Sie in vier Jahren?
    Dulig: Ich will natürlich blühende Landschaften in Ostdeutschland. – Nein, Scherz beiseite. – Es macht wenig Sinn, jetzt tatsächlich ein quantitatives Ziel auszugeben, denn die Aufgabe, die vor uns steht, ist eine ziemlich gewaltige. Denn es geht ja um nichts anderes als um Vertrauensarbeit, was wir zu leisten haben. Ein Vertrauen wiederzuerlangen, kann man schlecht mit einem Masterplan, der so abrechenbar ist, dass nach einem Zeitpunkt X tatsächlich Wahlergebnisse durch die Decke gehen oder Mitgliedszahlen sich verdoppeln.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Landesvorsitzende in Sachsen, Martin Dulig, frisch gewählter Ostbeauftragter seiner Partei. Herr Dulig, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Dulig: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.