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SPD-Politiker: Globaler Wettbewerb drückt die Löhne

Angesichts des Armutsberichts der Bundesregierung hat der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi eine Steuerentlastung in den unteren Einkommensschichten gefordert. Im globalen Wettbewerb sei der Druck auf die unteren Löhne besonders groß. Als eine mögliche Maßnahme brachte von Dohnanyi die Negativsteuer ins Spiel, bei der niedrige Einkommen vom Finanzamt bis zum Steuersatz aufgestockt werden.

Moderation: Dirk Müller | 19.05.2008
    Dirk Müller: "Entweder er ist schon arm oder er wird es" sagt Bundesarbeitsminister Olaf Scholz. Jeder vierte hierzulande ist bereits von Armut betroffen oder er wird mit staatlichen Maßnahmen davor bewahrt. So das Ergebnis des neuen Armutsberichtes der Bundesregierung, der heute in allen Details vorgestellt wird. Als arm gilt nach europäischer Definition, wenn ein Alleinstehender weniger als 781 Euro netto im Monat verdient. Am Telefon ist nun SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Guten Morgen!

    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr von Dohnanyi, wird Deutschland amerikanisch?

    von Dohnanyi: Nein! Das würde ich sagen ist überhaupt nicht der Fall. Man kann über diese Einzelheiten reden, aber man darf natürlich auch nicht vergessen, dass wir einen Prozess haben, der in ganz Europa vergleichbar ist - vielleicht etwas anders in den skandinavischen Ländern, dafür etwas stärker wiederum zum Teil im weiteren Westen, in Frankreich zum Beispiel oder auch in Spanien, auch in Großbritannien. Es handelt sich um eine Entwicklung, die sehr stark zusammenhängt mit dem, was wir so allgemein als Globalisierung bezeichnen, also einen Druck auf die unteren Einkommen durch neue Arbeitskräfte in der Welt, die sich an diesem Arbeitsmarkt beteiligen.

    Müller: Das ist eine Folge, die logisch ist, sagen Sie?

    von Dohnanyi: Es ist auf jeden Fall eine Folge, die man generell beobachtet. Was mir an der Berichterstattung gelegentlich nicht so ganz gefällt, das ist die Tatsache, dass wir es nicht mit einem deutschen Phänomen in erster Linie zu tun haben, sondern mit einem Phänomen der westlichen Industriegesellschaften, die eben neue Wettbewerber auf dem Markt bekommen haben - ich will mal sagen, dass wir zum Beispiel durch den Fall der Mauer natürlich Konkurrenz aus Polen, aus Tschechien, aus der Slowakei haben - und dass während im Jahr 2006 bei uns der Durchschnittslohn im Westen über 19 Euro betrug, er zur gleichen Zeit in Polen unter 3,50 Euro war und in der Slowakei in der Nähe von 3 Euro. Solche Unterschiede drücken dann hier natürlich auf die niedrigen Löhne und man muss damit fertig werden. Ich will das damit nicht klein reden, aber man muss die Zusammenhänge kennen.

    Müller: Nun haben wir häufig gehört, immer wieder, Herr von Dohnanyi, Konkurrenz belebt das Geschäft. Wenn ich Ihnen folge, könnte man jetzt sagen Konkurrenz macht arm.

    von Dohnanyi: Na ja, das ist eine generelle Erfahrung. Wenn Sie sage ich mal zum Spargelstechen gehen wollen und da kommen Leute, die machen das für den halben Preis, dann ist das zwar Konkurrenz. Es belebt das Geschäft des Spargelziehers, aber es belebt nicht das Einkommen derjenigen, die Spargel stechen gehen. Das heißt sie haben natürlich in der Konkurrenz immer einen Druck auf höhere Leistung und das belebt das Geschäft, aber sie müssen darauf achten, dass diese höhere Leistung nicht dazu führt, dass die einen so benachteiligt werden, dass sie dann hinterher von ihrem Einkommen nicht mehr leben können. Insofern ist die Debatte um Mindestlöhne oder Kombilöhne oder das, was man auch Negativsteuer nennt, dass wenn man unter dem niedrigsten Steuersatz verdient man dann bis zum Steuersatz sein Einkommen aufgestockt bekommt - und zwar vom Finanzamt -, diese Methoden sind notwendig.

    Müller: Um das vielleicht noch konkreter und operativer zu formulieren, wiederum im Konjunktiv, könnte man dann auch sagen, die EU-Erweiterung macht viele in Deutschland ärmer.

    von Dohnanyi: Ja, das ist sicher ein gewisses Problem, wobei mir übrigens auch an folgendem liegt. Deutschland ist natürlich das Land in der Welt unter allen Industrieländern, das in der Frage Gerechtigkeit in den letzten 20 Jahren am meisten geleistet hat. Denn durch die Erweiterung der EU um Ostdeutschland innerhalb unseres Landes selbst haben wir dafür gesorgt, dass wo ein Einkommen etwa bei einem Drittel des westlichen Einkommens bestand - im Jahr 1990 - wir heute bei einem Einkommen von etwa 80 Prozent des westdeutschen Einkommens sind. Das heißt wir sind, wenn man so will, der große Meister in der Herstellung von mehr Gerechtigkeit, denn wir haben einen ganzen großen Teil, 17 Millionen Menschen aus dem Osten, die keine Westrenten hatten, kein westliches Gesundheitssystem, die keine westlichen Einkommen hatten, in die Nähe dieser Einkommen gebracht - zu einem erheblichen Teil mit heute doch nur noch - nur sage ich, aber immerhin - 12 Prozent Arbeitslosigkeit.

    Müller: Sie müssen diese Argumentation natürlich mit einbringen, aber wenn wir die neuen Länder einmal außen vor lassen und konzentrieren uns auf die westdeutschen ...

    von Dohnanyi: Wenn ich da unterbrechen darf! Sie dürfen die nicht auslassen. Die haben sich natürlich auch auf Westdeutschland als Arbeitskräfte erstreckt und sind auch nach Westdeutschland gegangen.

    Müller: Diese Gerechtigkeit gilt auch für die alten Bundesländer?

    von Dohnanyi: Natürlich!

    Müller: Ist Deutschland nicht sozial ungerechter geworden?

    von Dohnanyi: Nein! Wir müssen auf jeden Fall dieses Problem mit sehen. Wir haben generell das Problem der Finanzmärkte. Wir haben generell das Problem, das Leute, die Kapital haben und es nicht brauchen, durch Zinsen natürlich hinterher noch mehr haben. Das sind alles Probleme, mit denen wir uns intensiv auseinandersetzen müssen, auch mit dem Thema "wie ist das eigentlich mit den Einkommen der Spitzenverdiener und wie sind dort die Steuern". Aber wir dürfen auch uns nicht kleiner machen als wir sind. Ich sage mal wir haben eine ganz große Leistung vollbracht in dem Heraufbringen des ostdeutschen Lebensstandards auf nahezu den westdeutschen Lebensstandard. Das hat natürlich auch auf den Westen Einfluss gehabt.

    Müller: Blicken wir noch einmal auf diesen Armutsbericht, Herr von Dohnanyi. Das was bis jetzt bekannt ist, noch einmal kurz etwas frisiert zugegeben auf den Punkt gebracht. 25 Prozent sind von Armut direkt oder indirekt betroffen. Was kann man machen?

    von Dohnanyi: Was man machen kann ist das, was zu einem Teil ja schon geschieht, indem man einen Ausgleich schafft, indem man also Zusatzzahlungen ermöglicht, indem man Wohngeld ermöglicht und so weiter. Das heißt also es geschieht ja etwas. Aber das Problem als solches, mit dem wir es zu tun haben, ist wie gesagt kein nur deutsches Phänomen und es ist eine sehr schwierige Frage, die alle Industrienationen an sich stellen müssen: Wie können wir bei diesem neuen Wettbewerb aus der Welt, bei dem Wettbewerb aus China, aus Indien und so weiter trotzdem hier unseren Lebensstandard einigermaßen vernünftig verteilen.

    Müller: Wenn ich Sie aber richtig verstanden habe, subventionieren wir weiterhin Armut?

    von Dohnanyi: Nein. Wir subventionieren Einkommen, und das müssen wir auch machen. Die Frage der Mindestlöhne ist ja sehr problematisch. Sie wissen, dass alle westdeutschen und ostdeutschen Wirtschaftsforschungsinstitute sich geschlossen gegen den Mindestlohn erklärt haben.

    Müller: Und die wissen es besser als die SPD?

    von Dohnanyi: Na ja, die wissen es auf jeden Fall anders. Man kann darüber unterschiedliche Auffassungen haben. Nur man muss so etwas beachten finde ich. Das heißt die Mindestlöhne sind möglicherweise nach Auffassung der Wirtschaftsforscher auf jeden Fall auch ein Hinderungsgrund für mehr Arbeit. Am Ende lösen wir natürlich die Probleme nur durch mehr und mehr gute Arbeit. Wir müssen darauf achten, dass wir unsere Bildungssysteme verbessern. Wir müssen darauf achten, dass auch diejenigen gute Arbeit leisten können, die bisher durch Bildung benachteiligt sind. Aber wir werden uns nicht um das Problem herumdrücken können, dass in einer Welt, die in einem globalen Wettbewerb steht - und da können wir ja die Grenzen nicht einfach zuschließen als Exportland -, natürlich der Druck auf die niedrigen Löhne erheblich ist.

    Müller: Mehr Arbeit, Herr von Dohnanyi - ich muss Sie das auch fragen -, auch durch weniger Steuern?

    von Dohnanyi: Ja. Ich bin schon der Meinung, dass in den unteren Einkommensschichten Steuerentlastung stattfinden muss, und ich bin auch der Meinung, dass in dem mittleren Bereich mindestens ein Ende gefunden werden muss für diese so genannte "kalte Progression". Das heißt wenn man mehr einnimmt, dann rutscht man gleich in eine höhere Steuerprogression. Da muss etwas geschehen und ich denke da wird auch was geschehen. Das hängt natürlich aber davon ab, ob man gleichzeitig auch den Staatshaushalt einigermaßen konsolidieren kann - und das muss man ja tun. Sonst erben wir in Zukunft nur noch Zinsen.

    Müller: Bei uns im Interview im Deutschlandfunk der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!