Donnerstag, 25. April 2024

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SPD-Politikerin Akgün bemängelt Ungleichbehandlung bei Zuwanderung

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün hat Verständnis für die Kritik türkischer Verbände am neuen Zuwanderungsrecht. Einige Bestimmungen fielen hinter die zuvor bestehenden Regeln zurück und förderten die Integration nicht, sagte Akgün. Den Boykott dreier Verbände gegen den Integrationsgipfel indes kritisierte die SPD-Politikerin.

Moderation: Friedbert Meurer | 12.07.2007
    Friedbert Meurer: Mitgehört hat Lale Agkün, sie ist Bundestagsabgeordnete für die SPD aus Köln. Guten Tag, Frau Akgün!

    Lale Akgün: Guten Tag!

    Meurer: Vor zwei Wochen haben Sie im Bundestag gegen das Zuwanderungsgesetz gestimmt. Ich vermute, vor allen Dingen wegen dieses Passus über den gerade geredet wurde, den Nachzug von Ehegatten. Ist es deswegen denn auch richtig, den Integrationsgipfel gleich zu boykottieren, wie das einige Verbände tun?

    Akgün: Nun, es wäre zu kurz gegriffen, wenn es so stehen bliebe, dass ich nur deswegen nein gesagt habe. Es gab noch einige andere Gründe, weswegen ich dem Gesetz nicht zugestimmt habe. Das ist wichtig. Auf der anderen Seite glaube ich, dass Boykott immer ein schlechter Ratgeber ist. Außerdem werden die Gesetze im Innenministerium gemacht, und dieser Gipfel wird ja vom Kanzleramt mit Frau Böhmer an der Spitze angeboten. Also da hätte man sich überlegen müssen, ob man hinterher jetzt noch etwas nachkartet.
    Meurer: Wieso, glauben Sie, haben die Verbände sich so entschieden?
    Akgün: Nun, ich denke, dass die Verbände ihrem Klientel zeigen wollten, dass sie loyal zu ihnen stehen und dass sie das mit sich nicht machen lassen. Das ist, denke ich, mit ein Grund gewesen. Ich bin auch der Überzeugung, dass einiges an dem neuen Zuwanderungsgesetz hinter das zurückfällt, was wir eigentlich vorher hatten und dass wir da einiges reinbekommen haben ins Gesetz, was meiner Meinung nach die Integration nicht fördert. Aber es ist jetzt, wie es ist. Das Parlament hat entschieden. Wir müssen jetzt weitermachen.

    Meurer: Nehmen wir diese umstrittene Klausel, Frau Akgün. Was stört Sie an ihr?
    Akgün: Das kann ich Ihnen sagen. Also, ich sage, was mich stört, ist die Ungleichbehandlung. Es ist nämlich folgendermaßen, dass, bei dem Ehegattennachzug ist es so, dass diejenigen Staatsangehörigen, für die ein Aufenthalt ohne Visum in Deutschland möglich ist, diese Sprachkenntnisse nicht nachweisen müssen, wogegen diejenigen, die mit Visum einreisen, mit Sprachkenntnissen kommen müssen. Das heißt, dahinter steckt eigentlich die eindeutige Absicht, Zuwanderung aus bildungsfernen Schichten möglichst zu verlangsamen.

    Meurer: Also es sind alle Herkunftsländer betroffen mit Visumspflicht?

    Akgün: Richtig. Ja, ja.
    Meurer: Das sind außerdem noch welche Länder außer der Türkei?

    Akgün: Das sind natürlich viele Länder. Die arabischen Länder, es geht um, nehmen Sie Mexiko, also ich könnte ganz viele Länder aufzählen, aus denen eben Heiratsmigrantinnen oder -migranten Sprachkenntnisse nachweisen müssen.
    Meurer: Aber da könnte man ja jetzt eben sagen, Frau Akgün, so ist das nun mal, wenn es Visumsvereinbarungen gibt. Die einen haben einen Vorteil davon, die anderen eben, die aus den falschen Staaten kommen, einen Nachteil.
    Akgün: Das könnte man natürlich sagen, wenn nicht die Ehe unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen würde. Und die Ehe auf jeden Fall eine für uns wichtige Institution ist, die vom Staat geschützt werden muss. Und deswegen ist es sehr fraglich, ob man die Ehen von Menschen mit und aus verschiedenen Ländern oft unterschiedlich beurteilt. Das heißt, die Frage lautet dann: Ist die Ehe von Menschen, die aus Ländern mit Visumszwang kommen, weniger wert als die aus den Ländern ohne Visumszwang?

    Meurer: Der Staat muss aber auch die Frau schützen. Wenn jede sechste Frau zur Heirat gezwungen wird in türkischen Migrantenkreisen, ist dann nicht geboten, dass man etwas tut?

    Akgün: Das ist auch richtig. Also die Zahlen sind alle mit Vorsicht zu genießen. Ich wünschte, wir hätten Zahlen über Zwangsheirat, ich wünschte wir hätten Zahlen über Frauenunterdrückung, Frauengewalt. Es sind alles Zahlen aus der Grauzone. Wir arbeiten mit Annahmen, mit verschiedenen Vorstellungen.

    Meurer: In welchem Bereich liegt das Ihrer Meinung nach?
    Akgün: Ich kann es nicht sagen. Ich kann es wirklich nicht sagen, weil ich glaube, die einen übertreiben, die anderen untertreiben. Und es ist einfach, sind die fließenden Übergänge von einer arrangierten Ehe zu einer Zwangsheirat, von einer Muss-Ehe zu einer Liebesheirat. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Dafür müsste man eine sehr saubere und langfristige Untersuchung anordnen und durchführen.
    Meurer: Was wird denn die Folge sein jetzt von den neuen Bestimmungen? Die Ehepartnerin muss mindestens 18 sein und 200 Wörter Deutsch können.
    Akgün: Ja, diese 200 Wörter, ich weiß nicht, das hängt ja auch dann sehr eben davon ab, wie die Visumsvergabe dann in den Konsulaten stattfindet. Aber noch mal zu Ihrer Frage von eben. Wie kann man eigentlich Zwangsheirat verhindern? Was hätte man da machen müssen? Ich bin sehr für effektive Maßnahmen zum Schutz vor Zwangsheirat und auch Menschenhandel. Wichtig wäre es gewesen, zum Schutz der betroffenen Frauen, Aufenthaltsrechterleichterungen und Ausbau von niederschwelligen Beratungsangeboten. Zum Beispiel, dass die Frauen ganz schnell, wenn sie von Gewalt betroffen sind, eigenständige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen. Oder wenn junge Frauen ins Ausland verschleppt werden für Zwangsheirat, dass sie ein Rückkehrrecht nach Deutschland haben, eine Verlängerung des Rückkehrrechtes. Das wären meiner Meinung nach effektive Maßnahmen gewesen zur Bekämpfung von Zwangsheirat.
    Meurer: Man könnte ja vielleicht beides machen, Aufenthaltsrechtstatus verbessern und diese Nachzugsregel.
    Akgün: Diese Nachzugsregelung, schauen Sie, diese 200 Worte oder 300 oder je nach dem wird zu einem, also Ermessensspielraum bei der Visumsvergabe. Und das wird sehr, sehr schwierig werden. Und wie gesagt, was ich eben schon sagte, die Ungleichbehandlung. Man könnte auch darüber nachdenken, ob man nicht sagt, alle Heiratsmigranten, egal aus welchem Land sie nach Deutschland kommen, müssen 300 Worte Deutsch können. Das wäre auch eine Möglichkeit. Aber die Ungleichbehandlung ist immer schlecht, vor allem wenn es um Güter geht, die von der Verfassung geschützt sind. Und da wird es ganz schwierig werden. Was ich sehr begrüße, ist, dass man die Sprachkurse in Deutschland ausbauen will von 600 auf 900 Stunden. Ist ja nicht so, dass man jetzt kein Deutsch lernen muss. Es geht ja richtig los, wenn man herkommt. Wie eben der Herr in Ihrem Interview auch sehr schön sagte, der einen Deutschkurs besucht, und man konnte an seiner ausgewählten Sprachform ja erkennen, dass er einen Deutschkurs besucht.

    Meurer: Aber dann sind Sie auch für eine Pflicht, dass das eine Pflicht ist?

    Akgün: Wir haben eine Pflicht in Deutschland. Wir haben in Deutschland eine Pflicht. Wer nach Deutschland einreist, muss heute 600 Sprachstunden absolvieren. Und die sollen ausgeweitet werden in nächster Zeit auf 900 Stunden. Und das ist richtig und gut so. Wir haben das bereits mit dem Gesetz von 2005 verankert. Als, da ist gar kein Vertun. Das wird sowieso, das bleibt sowieso.
    Meurer: Zum Integrationsgipfel heute sprach ich gerade mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Lale Akgün. Schönen Dank und auf Wiederhören, Frau Akgün.

    Akgün: Auf Wiederhören.