Meurer: In Deutschland herrscht im Moment Ferienzeit. Zwischen Weihnachten und Neujahr sind viele in Urlaub oder zu Hause im Kreis der Familie. Ein Bundesland hält sich da etwas weniger an diese Weihnachtsruhe. In Hessen hat der Wahlkampf begonnen. Am 18. Januar wird der neue Landtag gewählt. Am Wochenende gab Roland Koch, der Ministerpräsident von der CDU, schon die Angriffsrichtung vor. Wo SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel draufstehe, sagte er, sei in Wahrheit Andrea Ypsilanti drin.
O-Ton Roland Koch: "Es ist diese alte SPD, die hier zur Wahl antritt. Es ist die Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti die gleiche, es ist die Fraktionsvorsitzende Andrea Ypsilanti die gleiche, es ist die ganze alte Sozialdemokratie des Wortbruchs."
Meurer: Roland Koch. – Die CDU wittert also die große Chance, mit der FDP die Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Sie hat den Startschuss zum Wahlkampf gegeben. – Am Telefon begrüße ich den SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel. Guten Morgen!
Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen!
Meurer: Hand aufs Herz, wie sehen Sie Ihre Chancen für den 18. Januar, besser als Eins zu 100?
Schäfer-Gümbel: Ja, besser als Eins zu 100 auf jeden Fall. Ich sage Ihnen, dass das Rennen in Hessen noch nicht gelaufen ist. Wir gehen zwar nicht als Favorit da rein – das ist offensichtlich -, aber dass schwarz-gelb am Ende wirklich eine Mehrheit haben wird, das warten wir noch mal ab.
Meurer: Sie gehen als krasser Außenseiter ins Rennen. 23 Prozent in den Umfragen. Wie wollen Sie das noch umbiegen?
Schäfer-Gümbel: Wir werden sehr viele Wahlkampfkundgebungen in den nächsten Tagen haben. Wir werden heute Abend unseren Kundgebungsmarathon in Nordhessen beginnen, morgen Abend in Südhessen. Wir haben in den letzten Wochen auch schon vor Weihnachten eine ganze Reihe von Aktivitäten entwickelt. Wir warten es mal ab!
Meurer: Sind Sie tatsächlich nur das alter Ego von Andrea Ypsilanti? Hat die CDU Recht, dass sie sagt, wo Schäfer-Gümbel draufsteht ist Ypsilanti drin?
Schäfer-Gümbel: Na ja, dass Roland Koch und die Hessen-CDU das versuchen, das ist offensichtlich und auch aus ihrer beschränkten Sicht verständlich. Aber ich erlebe nicht mehr sehr viele Menschen außerhalb der hessischen Union und Teilen der FDP, die das noch so sehen.
Meurer: Ist das wirklich so falsch? Andrea Ypsilanti hat Sie vorgeschlagen, bleibt gleichzeitig Landesvorsitzende, Fraktionsvorsitzende.
Schäfer-Gümbel: Die Fraktion gibt es gar nicht mehr.
Meurer: Weil der Landtag sich aufgelöst hat.
Schäfer-Gümbel: So ist es!
Meurer: Aber Sie haben außer Spitzenkandidatur kein weiteres Amt übernommen. Warum nicht?
Schäfer-Gümbel: Das ist ganz einfach. Ich habe von Anfang an nur 71 Tage gehabt, mich auf diesen Wahlgang vorzubereiten. Ab dem 08. November waren es damals 71 Tage bis zum Wahlgang. Selbst dafür ist eigentlich viel zu wenig Zeit. Das einzige, was ich wirklich nicht habe, ist nämlich Zeit. Wenn ich mich mit anderen Funktionen noch beschäftigt hätte, lenkt das von der eigentlichen Aufgabe ab, und ich habe gesagt, wenn, dann konzentriere ich mich voll. Genau das tue ich, wie gesagt immer mit dem Hinweis darauf, dass schon für die Aufgabe eigentlich viel zu wenig Zeit ist.
Meurer: Was wollen Sie anders machen als Andrea Ypsilanti?
Schäfer-Gümbel: Es geht nicht um die Frage, was ich anders machen will, weil Sie versuchen wie viele – das kann ich auch verstehen -, das zu reduzieren auf die Frage Ypsilanti/Schäfer-Gümbel. Das ist nicht das Thema. Die Frage, die Hessen bewegt, ist: Was passiert in unseren Schulen? Was ist daran falsch, dass wir gesagt haben, wir wollen kleinere Klassen, wir wollen mehr Lehrer, wir wollen richtige Ganztagsschulen, wir wollen, da sich endlich die Schule so verändert, dass man Kinder nicht mehr in das Schulsystem presst, sondern umgekehrt die Schule vom Kind her baut. – Daran ist nichts falsch geworden.
Dasselbe gilt für die Frage, wie wir Arbeitsbedingungen schaffen. Ist es richtig, dass Menschen zu Armutslöhnen arbeiten? – Da sagen wir klar Nein. Daran hat sich nichts geändert und das gilt letztlich auch für die Frage der Energiewende, wo ich sage, Energiewende bedeutet Energieeffizienz, erneuerbare Energie und moderne Kraftwerkstechnologien.
Meurer: Also Ihre Themen sind die gleichen wie von Frau Ypsilanti?
Schäfer-Gümbel: Nein, nein! Es gibt andere Akzentuierungen.
Meurer: Wo zum Beispiel?
Schäfer-Gümbel: Die Welt hat sich weitergedreht. Wir haben uns sehr intensiv in den letzten Wochen mit der Frage der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage beschäftigt. Wir haben eigene konjunkturpolitische Vorstellungen entwickelt. Ich beschäftige mich stärker mit der Frage von Industriepolitik und Technologiepolitik, weil das einfach auch meine Themen sind, und ich glaube, dass sie jetzt eine besondere Bedeutung haben in der Krise. Und letztlich – das wird Sie jetzt vielleicht ein bisschen verwundern – ist ein wichtiges Thema für mich auch die Frage des ländlichen Raums. Die Mehrheit der Hessinnen und Hessen lebt im ländlichen Raum. Sie hat erlebt, dass wir 10 Jahre Zentralisierungsstrategie hinter uns haben und die Perspektive für die kleineren Städte und Gemeinden und die Dörfer schwieriger geworden ist. Das sind alles neue Akzentuierungen, das wird auch wahrgenommen, und damit bin ich auch ganz zufrieden.
Meurer: Auch im ländlichen Raum hat man Angst, wie es mit der Konjunktur weitergeht. Sie haben eine Zwangsanleihe gefordert für Vermögende. Haben Sie die Idee jetzt wieder einkassiert übers Wochenende?
Schäfer-Gümbel: Nein, ich habe sie nicht einkassiert. Ich habe formuliert, dass ich zur Kenntnis nehmen muss, dass derzeit dafür keine Mehrheit zu erreichen ist. Aber die Frage, die hinter dem Instrument steht, bleibt auf dem Tableau und ich bin sehr gespannt, wie diejenigen, die alle gesagt haben, dass das falsch ist, sich jetzt positionieren, weil Sie sehen das ja auch gerade in der Union, der Streit ist ja offen ausgebrochen. Die 25 oder 20 oder auch 40 Milliarden, die da im Moment als zweites Konjunkturpaket diskutiert werden, müssen ja finanziert werden. Und ich habe gesagt, es kann nicht sein, dass wieder Mittelschicht und die Facharbeiterinnen und Facharbeiter oder die nächsten Generationen die Zeche dafür alleine zahlen, weil diese Milliarden fallen nicht wie Manna vom Himmel.
Meurer: Wieso können Sie dann den Rest der SPD von Ihrer Idee nicht überzeugen?
Schäfer-Gümbel: Es geht jetzt erst mal nicht um die SPD, weil wir haben eine Debatte begonnen und die Union und die FDP und insbesondere die Union, die ja Koalitionspartner in Berlin sind, haben klipp und klar gesagt, das geht nicht. Deswegen habe ich gesagt okay, ich verliere mich nicht in der Instrumentendebatte, man kann darüber streiten, sondern ich werde das Thema auf die Tagesordnung nehmen, wie wir Gerechtigkeit in der Krise organisieren und eben starke Schultern mehr tragen als schwache. Jetzt bin ich gespannt, wie all diejenigen, die gesagt haben, dass mein Vorschlag falsch ist, einen Vorschlag auf den Tisch legen, wie es denn gehen soll. Da habe ich bisher gar nichts gehört.
Meurer: Sie dürften an der Bürde zu tragen haben, dass die CDU Ihnen ständig vorhalten wird, die SPD sei die Partei des Wortbruchs. Sie haben den Wortbruch als Fehler bezeichnet. Was genau haben Sie eigentlich damit gemeint?
Schäfer-Gümbel: Nein. Ich habe genau das gemeint, was es besagt. Wir haben Vertrauen verloren, weil wir nach der Wahl etwas anderes gemacht haben als das, was wir vor der Wahl gesagt haben. Dafür gab es Gründe, die habe ich auch mitgetragen und mitdiskutiert, und es gab einen weiteren Vertrauensverlust für uns, nämlich bei all denen, die dann auf den Politikwechsel gesetzt haben, den wir nicht erreicht haben.
Meurer: War der Fehler vor der Wahl, weil sie die Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen haben, oder war der Fehler dann nach der Wahl, eben den Wortbruch zu begehen?
Schäfer-Gümbel: Nein, nein. Wir haben vor der Wahl kein taktisches Verhältnis zur Linkspartei gehabt. Deswegen war der Fehler, dass wir nach der Wahl etwas anderes gemacht haben als das, was wir vorher gesagt haben. Wie gesagt, dafür gab es Gründe – zum Beispiel bei den Studiengebühren. Wenn wir weiter gesagt hätten, nichts mit der Linkspartei, hätten wir niemals ein Gesetz zur Aufhebung der Studiengebühren einbringen dürfen, weil es war völlig klar, dass wir das nur mit der Linkspartei können. Das ändert aber nichts daran, dass uns Menschen übel nehmen, dass wir nach der Wahl etwas anderes gesagt haben, als was wir vor der Wahl hatten, und unser Ziel war ganz klar, die Linkspartei aus dem hessischen Landtag herauszuhalten.
Meurer: Dass Sie das als Fehler einräumen, ist das dann Ihre kleine Distanzierung eben doch von Andrea Ypsilanti?
Schäfer-Gümbel: Das dürfen Sie interpretieren wie Sie wollen. Ich erlebe in den Gesprächen mit Andrea Ypsilanti und das, was wir in der SPD diskutieren, nicht, dass das eine Differenz ist.
Meurer: Sie werden jetzt übers Wochenende zitiert, "keine Große Koalition mit Roland Koch". Das sagt auch Tarek Al-Wazir von den Grünen. Grassiert allen Beteuerungen zum Trotz doch schon wieder die Ausschließeritis in Hessen?
Schäfer-Gümbel: Nein! Wir haben ganz bewusst diesmal nicht gesagt, mit wem wir alles nicht koalieren, sondern wir haben gesagt, wir werden Koalitionen danach entscheiden, erstens wenn uns die Wählerinnen und Wähler dafür überhaupt in die Lage versetzen, das setzt ein entsprechendes Ergebnis voraus, zweitens, wenn wir unsere Inhalte zum Beispiel in der Bildungsfrage durchsetzen können, und drittens, dass es sich um stabile Verhältnisse handeln muss. Es gibt einen einzigen Punkt, wo das nicht geht: das ist bei Roland Koch, und zwar bei Roland Koch als Person.
Meurer: Also Große Koalition denkbar, aber wenn, dann ohne Roland Koch?
Schäfer-Gümbel: So ist es, weil Roland Koch steht in diesem Land - - Wenn er sich jetzt zum moralischen Gewissen von Hessen aufspielt, ist das an Zynismus kaum zu überbieten. Er hat jedes Mal, wenn es für ihn politisch eng wurde, gegen Minderheiten polemisiert. Er hat in der Schwarzgeld-Krise oder in dem Schwarzgeld-Skandal die jüdischen Vermächtnisse entdeckt. Dieser Mann ist zwar fachlich sicherlich in der Lage, Verwaltungsvorgänge zu bearbeiten, aber er hat dieses Land sozial und kulturell gespalten. Das ist der Punkt, warum wir sagen, hier ist ein "no-go". Er steht ganz sicherlich für alte Politik und deswegen geht es mit ihm nicht.
Meurer: Das war SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel für die Landtagswahl am 18. Januar in Hessen. Schönen Dank und auf Wiederhören.
Schäfer-Gümbel: Danke! Auf Wiederhören.
O-Ton Roland Koch: "Es ist diese alte SPD, die hier zur Wahl antritt. Es ist die Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti die gleiche, es ist die Fraktionsvorsitzende Andrea Ypsilanti die gleiche, es ist die ganze alte Sozialdemokratie des Wortbruchs."
Meurer: Roland Koch. – Die CDU wittert also die große Chance, mit der FDP die Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Sie hat den Startschuss zum Wahlkampf gegeben. – Am Telefon begrüße ich den SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel. Guten Morgen!
Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen!
Meurer: Hand aufs Herz, wie sehen Sie Ihre Chancen für den 18. Januar, besser als Eins zu 100?
Schäfer-Gümbel: Ja, besser als Eins zu 100 auf jeden Fall. Ich sage Ihnen, dass das Rennen in Hessen noch nicht gelaufen ist. Wir gehen zwar nicht als Favorit da rein – das ist offensichtlich -, aber dass schwarz-gelb am Ende wirklich eine Mehrheit haben wird, das warten wir noch mal ab.
Meurer: Sie gehen als krasser Außenseiter ins Rennen. 23 Prozent in den Umfragen. Wie wollen Sie das noch umbiegen?
Schäfer-Gümbel: Wir werden sehr viele Wahlkampfkundgebungen in den nächsten Tagen haben. Wir werden heute Abend unseren Kundgebungsmarathon in Nordhessen beginnen, morgen Abend in Südhessen. Wir haben in den letzten Wochen auch schon vor Weihnachten eine ganze Reihe von Aktivitäten entwickelt. Wir warten es mal ab!
Meurer: Sind Sie tatsächlich nur das alter Ego von Andrea Ypsilanti? Hat die CDU Recht, dass sie sagt, wo Schäfer-Gümbel draufsteht ist Ypsilanti drin?
Schäfer-Gümbel: Na ja, dass Roland Koch und die Hessen-CDU das versuchen, das ist offensichtlich und auch aus ihrer beschränkten Sicht verständlich. Aber ich erlebe nicht mehr sehr viele Menschen außerhalb der hessischen Union und Teilen der FDP, die das noch so sehen.
Meurer: Ist das wirklich so falsch? Andrea Ypsilanti hat Sie vorgeschlagen, bleibt gleichzeitig Landesvorsitzende, Fraktionsvorsitzende.
Schäfer-Gümbel: Die Fraktion gibt es gar nicht mehr.
Meurer: Weil der Landtag sich aufgelöst hat.
Schäfer-Gümbel: So ist es!
Meurer: Aber Sie haben außer Spitzenkandidatur kein weiteres Amt übernommen. Warum nicht?
Schäfer-Gümbel: Das ist ganz einfach. Ich habe von Anfang an nur 71 Tage gehabt, mich auf diesen Wahlgang vorzubereiten. Ab dem 08. November waren es damals 71 Tage bis zum Wahlgang. Selbst dafür ist eigentlich viel zu wenig Zeit. Das einzige, was ich wirklich nicht habe, ist nämlich Zeit. Wenn ich mich mit anderen Funktionen noch beschäftigt hätte, lenkt das von der eigentlichen Aufgabe ab, und ich habe gesagt, wenn, dann konzentriere ich mich voll. Genau das tue ich, wie gesagt immer mit dem Hinweis darauf, dass schon für die Aufgabe eigentlich viel zu wenig Zeit ist.
Meurer: Was wollen Sie anders machen als Andrea Ypsilanti?
Schäfer-Gümbel: Es geht nicht um die Frage, was ich anders machen will, weil Sie versuchen wie viele – das kann ich auch verstehen -, das zu reduzieren auf die Frage Ypsilanti/Schäfer-Gümbel. Das ist nicht das Thema. Die Frage, die Hessen bewegt, ist: Was passiert in unseren Schulen? Was ist daran falsch, dass wir gesagt haben, wir wollen kleinere Klassen, wir wollen mehr Lehrer, wir wollen richtige Ganztagsschulen, wir wollen, da sich endlich die Schule so verändert, dass man Kinder nicht mehr in das Schulsystem presst, sondern umgekehrt die Schule vom Kind her baut. – Daran ist nichts falsch geworden.
Dasselbe gilt für die Frage, wie wir Arbeitsbedingungen schaffen. Ist es richtig, dass Menschen zu Armutslöhnen arbeiten? – Da sagen wir klar Nein. Daran hat sich nichts geändert und das gilt letztlich auch für die Frage der Energiewende, wo ich sage, Energiewende bedeutet Energieeffizienz, erneuerbare Energie und moderne Kraftwerkstechnologien.
Meurer: Also Ihre Themen sind die gleichen wie von Frau Ypsilanti?
Schäfer-Gümbel: Nein, nein! Es gibt andere Akzentuierungen.
Meurer: Wo zum Beispiel?
Schäfer-Gümbel: Die Welt hat sich weitergedreht. Wir haben uns sehr intensiv in den letzten Wochen mit der Frage der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage beschäftigt. Wir haben eigene konjunkturpolitische Vorstellungen entwickelt. Ich beschäftige mich stärker mit der Frage von Industriepolitik und Technologiepolitik, weil das einfach auch meine Themen sind, und ich glaube, dass sie jetzt eine besondere Bedeutung haben in der Krise. Und letztlich – das wird Sie jetzt vielleicht ein bisschen verwundern – ist ein wichtiges Thema für mich auch die Frage des ländlichen Raums. Die Mehrheit der Hessinnen und Hessen lebt im ländlichen Raum. Sie hat erlebt, dass wir 10 Jahre Zentralisierungsstrategie hinter uns haben und die Perspektive für die kleineren Städte und Gemeinden und die Dörfer schwieriger geworden ist. Das sind alles neue Akzentuierungen, das wird auch wahrgenommen, und damit bin ich auch ganz zufrieden.
Meurer: Auch im ländlichen Raum hat man Angst, wie es mit der Konjunktur weitergeht. Sie haben eine Zwangsanleihe gefordert für Vermögende. Haben Sie die Idee jetzt wieder einkassiert übers Wochenende?
Schäfer-Gümbel: Nein, ich habe sie nicht einkassiert. Ich habe formuliert, dass ich zur Kenntnis nehmen muss, dass derzeit dafür keine Mehrheit zu erreichen ist. Aber die Frage, die hinter dem Instrument steht, bleibt auf dem Tableau und ich bin sehr gespannt, wie diejenigen, die alle gesagt haben, dass das falsch ist, sich jetzt positionieren, weil Sie sehen das ja auch gerade in der Union, der Streit ist ja offen ausgebrochen. Die 25 oder 20 oder auch 40 Milliarden, die da im Moment als zweites Konjunkturpaket diskutiert werden, müssen ja finanziert werden. Und ich habe gesagt, es kann nicht sein, dass wieder Mittelschicht und die Facharbeiterinnen und Facharbeiter oder die nächsten Generationen die Zeche dafür alleine zahlen, weil diese Milliarden fallen nicht wie Manna vom Himmel.
Meurer: Wieso können Sie dann den Rest der SPD von Ihrer Idee nicht überzeugen?
Schäfer-Gümbel: Es geht jetzt erst mal nicht um die SPD, weil wir haben eine Debatte begonnen und die Union und die FDP und insbesondere die Union, die ja Koalitionspartner in Berlin sind, haben klipp und klar gesagt, das geht nicht. Deswegen habe ich gesagt okay, ich verliere mich nicht in der Instrumentendebatte, man kann darüber streiten, sondern ich werde das Thema auf die Tagesordnung nehmen, wie wir Gerechtigkeit in der Krise organisieren und eben starke Schultern mehr tragen als schwache. Jetzt bin ich gespannt, wie all diejenigen, die gesagt haben, dass mein Vorschlag falsch ist, einen Vorschlag auf den Tisch legen, wie es denn gehen soll. Da habe ich bisher gar nichts gehört.
Meurer: Sie dürften an der Bürde zu tragen haben, dass die CDU Ihnen ständig vorhalten wird, die SPD sei die Partei des Wortbruchs. Sie haben den Wortbruch als Fehler bezeichnet. Was genau haben Sie eigentlich damit gemeint?
Schäfer-Gümbel: Nein. Ich habe genau das gemeint, was es besagt. Wir haben Vertrauen verloren, weil wir nach der Wahl etwas anderes gemacht haben als das, was wir vor der Wahl gesagt haben. Dafür gab es Gründe, die habe ich auch mitgetragen und mitdiskutiert, und es gab einen weiteren Vertrauensverlust für uns, nämlich bei all denen, die dann auf den Politikwechsel gesetzt haben, den wir nicht erreicht haben.
Meurer: War der Fehler vor der Wahl, weil sie die Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen haben, oder war der Fehler dann nach der Wahl, eben den Wortbruch zu begehen?
Schäfer-Gümbel: Nein, nein. Wir haben vor der Wahl kein taktisches Verhältnis zur Linkspartei gehabt. Deswegen war der Fehler, dass wir nach der Wahl etwas anderes gemacht haben als das, was wir vorher gesagt haben. Wie gesagt, dafür gab es Gründe – zum Beispiel bei den Studiengebühren. Wenn wir weiter gesagt hätten, nichts mit der Linkspartei, hätten wir niemals ein Gesetz zur Aufhebung der Studiengebühren einbringen dürfen, weil es war völlig klar, dass wir das nur mit der Linkspartei können. Das ändert aber nichts daran, dass uns Menschen übel nehmen, dass wir nach der Wahl etwas anderes gesagt haben, als was wir vor der Wahl hatten, und unser Ziel war ganz klar, die Linkspartei aus dem hessischen Landtag herauszuhalten.
Meurer: Dass Sie das als Fehler einräumen, ist das dann Ihre kleine Distanzierung eben doch von Andrea Ypsilanti?
Schäfer-Gümbel: Das dürfen Sie interpretieren wie Sie wollen. Ich erlebe in den Gesprächen mit Andrea Ypsilanti und das, was wir in der SPD diskutieren, nicht, dass das eine Differenz ist.
Meurer: Sie werden jetzt übers Wochenende zitiert, "keine Große Koalition mit Roland Koch". Das sagt auch Tarek Al-Wazir von den Grünen. Grassiert allen Beteuerungen zum Trotz doch schon wieder die Ausschließeritis in Hessen?
Schäfer-Gümbel: Nein! Wir haben ganz bewusst diesmal nicht gesagt, mit wem wir alles nicht koalieren, sondern wir haben gesagt, wir werden Koalitionen danach entscheiden, erstens wenn uns die Wählerinnen und Wähler dafür überhaupt in die Lage versetzen, das setzt ein entsprechendes Ergebnis voraus, zweitens, wenn wir unsere Inhalte zum Beispiel in der Bildungsfrage durchsetzen können, und drittens, dass es sich um stabile Verhältnisse handeln muss. Es gibt einen einzigen Punkt, wo das nicht geht: das ist bei Roland Koch, und zwar bei Roland Koch als Person.
Meurer: Also Große Koalition denkbar, aber wenn, dann ohne Roland Koch?
Schäfer-Gümbel: So ist es, weil Roland Koch steht in diesem Land - - Wenn er sich jetzt zum moralischen Gewissen von Hessen aufspielt, ist das an Zynismus kaum zu überbieten. Er hat jedes Mal, wenn es für ihn politisch eng wurde, gegen Minderheiten polemisiert. Er hat in der Schwarzgeld-Krise oder in dem Schwarzgeld-Skandal die jüdischen Vermächtnisse entdeckt. Dieser Mann ist zwar fachlich sicherlich in der Lage, Verwaltungsvorgänge zu bearbeiten, aber er hat dieses Land sozial und kulturell gespalten. Das ist der Punkt, warum wir sagen, hier ist ein "no-go". Er steht ganz sicherlich für alte Politik und deswegen geht es mit ihm nicht.
Meurer: Das war SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel für die Landtagswahl am 18. Januar in Hessen. Schönen Dank und auf Wiederhören.
Schäfer-Gümbel: Danke! Auf Wiederhören.