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SPD unter Erklärungsdruck

Für SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles waren Tarifverträge immer eine Herzensangelegenheit. Die 30 Mitarbeiter des Verlags der Parteizeitung "Vorwärts", deren Herausgeberin sie ist, haben allerdings keinen Tarifvertrag. Gefundenes Fressen für die CDU im Wahlkampf.

Von Philipp Banse |
    "Statt Lohndruck und Flucht aus Tarifverträgen, faire Löhne für gute Arbeit und Stärkung der Tarifbindungen."

    Fordert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. "Tarifbindung" wird von der SPD meist fett geschrieben:

    "Wir brauchen [...] wieder eine Stärkung des bewährten Tarifvertragssystems und der Tarifbindung."

    So steht es im Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl. Im Programm kommt das Wort "Tarif" 35 Mal vor. Tarifverträge, verbindliche Vereinbarungen über Bezahlung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigen - das war immer auch Herzensangelegenheit von Generalsekretärin Andrea Nahles:

    "Es hat in den letzten 10, 15 Jahren dramatisch eine Tarifflucht ergeben. Wir haben ganze Bereiche, die überhaupt keine Tarife mehr vereinbaren. Das bedeutet, wir müssen jetzt gesetzlich handeln."

    Oder einfach mal bei der eigenen Parteizeitung anfangen. Tarifvertrags-Vorkämpferin Andrea Nahles ist Herausgeberin des "Vorwärts", der SPD-Parteizeitung. Doch die knapp 30 Mitarbeiter des SPD-eigenen Vorwärts-Verlags haben keinen Tarifvertrag.

    Das Büro des Vorwärts-Verlags liegt im Paul-Singer-Haus, gleich neben der SPD-Parteizentrale in Berlin-Kreuzberg.

    "Mein Name ist Guido Schmitz, ich bin Geschäftsführer der Berliner Vorwärts-Verlagsgesellschaft."

    Seit acht Jahren. So lange denke er als SPD-Mitglied auch schon darüber nach, ob sein SPD-Betrieb, der unter anderem die SPD-Parteizeitung produziert, nicht einen Tarifvertrag unterschreiben sollte, sagt Schmitz. Doch zum einen habe die Gewerkschaft am Donnerstag vor einer Woche erstmals einen Tarifvertrag verlangt - Verdi bestätigt das.

    "Und zum anderen bezahlen wir bei weitem mehr als Tarifverträge. Und in der Summe bezahlen wir schon sehr anständig und auch die Leute bekommen mindestens ihren Inflationsausgleich."

    "Das ist sachlich nicht zutreffend. Es gibt nur für einzelne Beschäftigte eine Gehaltserhöhung. Und das ist genau das
    Problem."

    Klagt Jörg Reichel von Verdi. Auch der Vorwärts-Verlag gesteht, dass in den letzten vier, fünf Jahren nicht alle Beschäftigten Gehaltserhöhungen bekommen hätten. Das Verlagshaus macht Minus, steckt in der Krise, sagt Gewerkschafter Reichel:

    "Wir fordern, dass der Arbeitgeber den Tarifvertrag für Zeitschriftenverlage anerkennt, weil wir befürchten, dass der Verlag sich zeitnah im nächsten halben, Dreivierteljahr verändern wird, mit deutlichen Risiken für die Beschäftigten."

    Vor einer Woche hat Verdi-Mann Reichel vom Vorwärts-Verlag erstmals einen Tarifvertrag gefordert und um Gespräche gebeten. Einen Tag später hat Geschäftsführer Schmitz zugesagt. Erstes Treffen: Zwei Tage nach der Bundestagswahl. Gewerkschafter Reichel ist zufrieden:

    "Das ist gut. Wir begrüßen es, dass die Geschäftsführung willens ist, sich mit uns an einen Tisch zu setzen."

    Doch ob die SPD-Parteizeitung am Ende auch ein Tarifvertrag haben wird, ist völlig offen. Verlagsmanager Schmitz sagt, Tarifvertrag ist ja gut und schön - nur welcher? Verdi fordert, den Tarifvertrag für Zeitschriften zu übernehmen, schließlich sei das Vorzeigeprodukt des Verlags die SPD-Parteizeitung. Vorwärts-Manager Schmitz hält dagegen, sein Verlag produziere nicht nur Zeitschriften, sondern auch Bücher, aquiriere Anzeigen, organisiere Konferenzen und betreibe Vorwaerts.de.

    "Wenn ich den Redakteurs-Zeitschriften-Tarifvertrag übernehmen würde, dann gilt der hier bei uns nur bei vier, fünf Leuten - von knapp 30 Beschäftigten. Und dann ist einfach die Frage, die man auch diskutieren muss, ist ein CvD bei einer Zeitschrift, die zehn Mal pro Jahr erscheint, dasselbe wie ein CvD bei einer Zeitschrift, die 52 Mal pro Jahr erscheint und eine andere Auflage hat. Und all diese Sachen werden wir besprechen müssen, auf jeden Fall. Aber de facto würde auch dann der Redakteurs-Zeitschriftenvertrag nicht für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gelten."

    Diese Probleme hat der Vorwärts-Verlag nicht alleine. Nur eine Minderheit der Verlage sei noch an Tarifverträge gebunden, sagt Verdi-Vertreter Reichel. Doch muss sich die SPD-Parteizeitung nicht an anderen Maßstäben messen? Ist ein Tarifvertrag für Genossen nicht Pflicht, die keine Gelegenheit auslassen, um von anderen Unternehmen Tarifbindung einzufordern?

    Längst hat die politische Konkurrenz das Thema im Wahlkampf entdeckt. Der Generalsekretär der CDU, Herman Gröhe, ätzt auf Twitter: "Vorwärts-Verlag ist ohne Tarif-Bindung. Typisch SPD - im eigenen Laden zählen Arbeitnehmer wenig."

    Verdi verlangt, dass SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles ein Machtwort sprechen müsse und Vorwärts auf Tarif trimmt. Doch Nahles argumentiert, als Herausgeberin sei sie allein für den Inhalt zuständig. Ein Interview zum Streit über einen Tarifvertrag lehnt die Generalsekretärin ab, fürs Geschäft sei sie nicht zuständig.

    Formal stimmt das. Doch Nahles könnte etwas bewegen, wenn sie denn wollte - schließlich gehört auch der Vorwärts-Verlag der SPD. Vor allem im Wahlkampf werden Politiker daran gemessen, ob ihren Worten auch Taten folgen. Und da hat sich Nahles selbst unter Zugzwang gesetzt:
    "Wenn wir eine Tarifbindung im Osten mittlerweile von 35 Prozent und eine im Westen mit 61 Prozent haben, mit der Tendenz, dass es jedes Jahr nach unten geht, dann müssen wir uns irgendwann entscheiden hinzugucken und nicht wegzugucken!"