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SPD-Vorstand Böhning prophezeit der Linken eine Spaltung

Der Wahlkampf ist eröffnet: Björn Böhning spricht der Linken rundweg die Regierungsfähigkeit ab - und stellt zum Ende der Klausurtagung die Positonen seiner Partei vor: Spitzensteuer auf 49 Prozent, Steuersubventionen runter und dieses Geld in die Bildung, außerdem Geringverdiener entlasten.

Björn Böhning im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Ich habe einen Traum, I have a dream, hat Martin Luther King einmal gesagt, und nicht etwa, ich habe einen Albtraum. Genau diesen Optimismus empfiehlt der österreichische Publizist Robert Misik der SPD gestern zum Auftakt der sozialdemokratischen Klausurtagung in Potsdam, also bloß nicht jammern über die miserablen Umfragewerte, ein gutes Jahr nach der katastrophalen Wahlniederlage. Wir haben noch etwas anderes in Erinnerung.

    O-Ton Franz Müntefering: Opposition gehört zur Demokratie dazu, aber Opposition ist Mist, lasst das die anderen machen. Wir wollen regieren.

    Müller: ..., hat Franz Müntefering einmal gesagt. So soll diese Tagung den Fortschritt einläuten, den Sigmar Gabriel von sich und von seiner gebeutelten Oppositionspartei fordert. Der Parteichef will dafür geringere Einkommen entlasten, den Spitzensteuersatz anheben und das Ehegattensplitting abschaffen. Und das soll Fortschritt sein? – Darüber sprechen wir nun mit dem SPD-Linken und Vorstandsmitglied Björn Böhning. Guten Morgen!

    Björn Böhning: Schönen guten Morgen.

    Müller: Herr Böhning, wenn Sie links sind, ist Sigmar Gabriel dann rechts?

    Böhning: Nein! Sigmar Gabriel ist auch ein Linker in der SPD, weil die SPD insgesamt eine Partei ist, die den sozialen Fortschritt im Blick hat, also eine linke Partei mitte-links.

    Müller: Das heißt, Sie sind vom linken Flügel der SPD und Sigmar Gabriel auch?

    Böhning: Es geht gar nicht darum, wer hier links oder rechter Flügel ist, sondern es geht darum, das Zentrum in der SPD zu stärken, und das haben wir, glaube ich, mit einem Papier gemacht, wo deutlich wurde, dass wir keinen Rückschritt wollen wie in den letzten Jahren, wo es darum ging, nur sich der Globalisierung anzupassen, sondern die Globalisierung zu gestalten durch eine moderne Fortschrittspolitik.

    Müller: Ich frage deshalb, Herr Böhning, weil die SPD ja unter Gerhard Schröder auch einmal eine Mittepartei war. Ist das vorbei?

    Böhning: Das ist schon eine Zeit, so lange vorbei, da weiß ich gar nicht mehr so richtig, mich daran zu erinnern. Ich glaube, das Zentrale ist, dass wir auf der Suche sind dahin, wie können wir soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stärke und ökologische Vernunft miteinander in Übereinkunft bringen, und das bildet den sozialen Fortschritt, nämlich zu verstehen, dass der Fortschritt nicht nur eine Richtung hat, sondern mehrere Richtungen und wir sie übereinbringen müssen.

    Müller: Also die Zeit der Mitte ist vorbei?

    Böhning: Nein, die Zeit der Mitte ist nicht vorbei, sondern die Zeit derjenigen ist vorbei, die meinen, dass wir nur uns im internationalen globalen Wettbewerb anpassen müssen, sondern wir glauben, dass wir diese Situation, die Wirtschaft und auch soziale Gerechtigkeit gestalten müssen, und das ist eine große Aufgabe.

    Müller: Jetzt haben Sie eben, Herr Böhning, gesagt, Sie sind da auf einer Linie mit dem Parteichef. Aber als Parteilinker haben Sie ja in einigen Dingen widersprochen. Zum Beispiel?

    Böhning: Nein, es geht schon darum, jetzt zu diskutieren, wie können wir die Ziele, die wir haben, realisieren. Das heißt insbesondere, wir müssen mehr Gerechtigkeit erzeugen. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent anheben. Wir wollen auch Steuersubventionen reduzieren. Und wir diskutieren darüber, wie wollen wir diese Gelder ausgeben. Und deswegen: ich plädiere dafür, dass wir insbesondere in Bildung investieren, dass wir aber auch etwas tun für die Entlastung von Geringverdienern. Und dann müssen wir auch noch überlegen, wie können wir die Folgen der Krise zeitnah und realistisch bewältigen. Das sind große Aufgaben, die sich zumindest diese Bundesregierung versteht.

    Müller: Wenn ich das richtig verstanden habe, wurden viele ja vom linken Flügel vorher zitiert, vor dieser Klausurtagung in Potsdam, dass sie eindeutig gegen Entlastungen für geringe Einkommen sind. Jetzt habe ich Sie anders verstanden.

    Böhning: Es geht um ein Gesamtmodell. Wir sind für ein Steuer- und Abgabenkonzept, was Bildungsfinanzierung vorsieht. Das hat für mich Priorität, weil wir eine ganze Menge an frühkindlicher Bildung, eine ganze Menge auch an Krippenbetreuung beispielsweise realisieren wollen in Deutschland. Das ist ja noch weit nicht das, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich realisiert. Es geht aber natürlich auch darum, Klein- und Mittelverdiener zu entlasten, und da bin ich dafür, dass wir verstärkt auch auf die Frage von Kita-Gebühren beispielsweise gucken. Rheinland-Pfalz, Berlin entlastet die Familien von Kita-Gebühren. Das sind horrende Summen, bis zehn Prozent des Einkommens, die dort entlastet werden, und das hat für mich Priorität.

    Müller: Also keine Steuerentlastungen?

    Böhning: Das muss man sehen, wie weit das finanzierbar ist. Wenn es möglich ist durch die Einnahmen, die wir von Steuersubventionen haben? Wir plädieren beispielsweise dafür, die Entlastungen bei der Mehrwertsteuer für Hotel und Gaststätten wieder aufzuheben, weil es reine Klientelpolitik ist. Wenn das finanzierbar ist dadurch, bin ich sehr dafür.

    Müller: Dann geht die SPD in den nächsten Wahlkampf, und der ist ja in wenigen Wochen schon erstens vorhanden und zweitens wird er ja realisiert in Hamburg, dann geht es weiter mit Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz. Das ist ein ganz großes Wahlkampfjahr. Da wird die SPD also mit dem Etikett Steuererhöhungspartei reingehen?

    Böhning: Das finde ich ehrlich gesagt etwas lustig, diesen Vorwurf, denn wir haben gerade eine Gesundheitsreform erlebt, wo die schwarz-gelbe Bundesregierung dafür gesorgt hat, dass die zukünftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem allein den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgebürdet wird. Das ist eine asoziale Gesundheitspolitik, die dazu führt, dass offensichtlich hier wir eine klare Belastung der kleinen und mittleren Einkommensgruppen haben, unabhängig davon, was noch alles beschlossen worden ist bei den Entlastungen für Spitzenverdiener. Das ist eine soziale Spaltung, die wir erleben in unserem Lande, und das werden wir auch darstellen. Wir lassen uns hier nicht den Schuh anziehen, dass wir jetzt etwas dafür tun, dass diejenigen, die eine ganze Menge auch verdient haben, auch in der Krise, ihren Beitrag dazu leisten, dass diese Krise auch bewältigt wird.

    Müller: Diese Analyse, Björn Böhning, hätte jetzt auch von Gesine Lötzsch stammen können.

    Böhning: Dafür kenne ich Gesine Lötzsch zu wenig, um das beurteilen zu können. Ich weiß nur, dass der Aufschwung, den wir derzeit erleben, über den wir uns alle freuen, ein gespaltener Aufschwung ist, nämlich einer, der offensichtlich nicht dazu führt, dass es den Menschen besser geht, sondern viele haben das Gefühl, sie müssen zwei, drei Jobs machen und dann auch noch zur Arbeitsagentur gehen und ihre Lohntüte abholen, ohne dass sie etwa vom Aufschwung partizipieren, während andere schon wieder mit Sekt und Champagner anstoßen. Offensichtlich ist hier eine soziale Lücke, eine soziale Spaltung in Deutschland aufgetreten, die dazu geführt hat, dass der Aufschwung nicht für alle da ist.

    Müller: Jetzt haben Sie, Herr Böhning, das umschifft. Mein Stichwort Gesine Lötzsch hat nicht bei Ihnen gezündet. Andere Frage: Sind die Linken, die sich offenbar ja wieder in Richtung Kommunismus entwickeln wollen, noch koalitionsfähig?

    Böhning: Die Linkspartei ist mit den Äußerungen in dieser Art und Weise nicht regierungsfähig. Offensichtlich, so sehe ich das, weil ich die Linkspartei in Berlin beispielsweise auch gut kenne, steht sie vor einer Spaltung. Es gibt sehr pragmatische Kollegen in der Linkspartei in Berlin und Brandenburg, die mitregieren wollen und mitgestalten wollen, und es gibt offensichtlich Führungsfiguren in der Linkspartei, die versuchen, sich anzubiedern an Sektierer und diejenigen, die der Meinung sind, man müsse den Kommunismus und damit auch all die Folgen, die diese Ideologie hatte, wieder zurückverfolgen und mitgestalten. Das kann ich nicht akzeptieren und das führt offensichtlich aus meiner Sicht dazu, dass die Linkspartei eine Zwei-Parteien-Partei wird, oder sich spaltet.

    Müller: Haben Sie das auch schon Hannelore Kraft mitgeteilt?

    Böhning: Hannelore Kraft war auf dieser Klausurtagung leider nicht da, aber sie macht mit Rot-Grün eine gute Politik in NRW.

    Müller: Mit Unterstützung der Linken?

    Böhning: Sie macht eine Politik in NRW mit Unterstützung der FDP, mit Unterstützung der CDU, natürlich auch zum Teil mit der Linken. Das ist im Rahmen einer Minderheitsregierung ganz normal.

    Müller: Das soll weiter so bleiben?

    Böhning: Es scheint mir so. Ich komme jetzt aus Berlin, ich kann die Situation in NRW nicht letztendlich beurteilen. Aber es scheint mir doch so, dass in Nordrhein-Westfalen eine gute Politik gemacht wird, Studiengebühren abgeschafft werden, auch Familien entlastet werden, mehr für Kita-Betreuung getan wird. Wenn das das Ergebnis einer solchen Politik ist, dann kann man das nur gut heißen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Björn Böhning, Vorstandsmitglied der SPD. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Böhning: Schönen Tag noch.