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'SPD war nach der Bundestagswahl schlecht aufgestellt'

Durak: Nun soll er plötzlich nur noch Symbolwert haben, der gelockerte Kündigungsschutz als durchschlagendes Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Bundeswirtschaftsminister Clement will von einer versteckten Rücktrittsdrohung nun nichts mehr wissen. Auch das Thema schraubt er herunter und nicht nur er. An den Grundfesten des Kündigungsschutzes solle nicht gerüttelt werden, auch nicht durch ihn. Wer hat sich also durchgesetzt innerhalb der SPD, bei Rot-Grün: Diejenigen, denen die Reformen zu sehr an die sozialdemokratische Substanz gehen? Auch noch dies: Henning Scherf, Bremens Bürgermeister, hat kürzlich verlauten lassen, für seinen Wahlkampf im Mai brauche er keine Bundesprominenz bis auf den Kanzler. Die sollten mal besser in Berlin ihre Arbeit tun; da hätten sie genug zu tun. Am Telefon ist also Peer Steinbrück, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen Herr Steinbrück.

    Steinbrück: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Herr Steinbrück, wer hat sich denn Ihrer Meinung nach nun durchgesetzt, was den Kündigungsschutz angeht?

    Steinbrück: Das ist Ihr Thema. Das ist das Thema eines Sportereignisses, immer zwischen Reformflügel und angeblich zwischen Traditionalisten in der SPD. Es geht um ein Ringen in der Sache und es ist auch gut, dass das innerhalb der SPD ausgetragen wird, denn sie muss das politische Forum sein, wo solche grundsätzlichen Fragen auch abgewogen werden. Ich glaube es geht darum, dass man sagt, wenn die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die oberste Priorität, das wichtigste Thema in der Republik ist, dann muss es auch erlaubt sein und dann ist es wichtig, alle Instrumente durchzugehen und zu diskutieren, alle Hürden, die einer größeren Beschäftigungsförderung im Wege stehen könnten. Dann gehört der Kündigungsschutz gerade für kleine und mittlere Betriebe auch auf die Tagesordnung.

    Durak: Herr Steinbrück, wenn Sie den Sport ins Spiel bringen: An dem Spiel Kündigungsschutz wie, lockern ja oder nein, da sind ja viele beteiligt, nicht nur die Medien, denn wer Antworten gibt auf Fragen, beteiligt sich ja daran. Sollte diese Debatte nun beendet werden, oder ist sie beendet, oder gibt es Regelungsbedarf und wir werden am Ende das Ergebnis erfahren?

    Steinbrück: Nein. Ich halte es für richtig, dass die Politik sich eine gewisse Zeit mal nimmt, um bestimmte Themen wirklich auch intern so solide abzuprüfen und so gründlich vorzubereiten, dass sie dann auf den Markt auch der öffentlichen Wahrnehmung gehen kann und nicht durch Schnellschüsse fast alle zwei bis drei Tage eher zum Verwirrspiel beiträgt. Deshalb halte ich es auch für falsch, jetzt mit neuen Vorschlägen zu kommen. Sie wissen was dort auf dem Tisch liegt: das Wahlrecht zwischen Kündigungsschutz und Abfindungen, auf der anderen Seite eine gesetzliche Regelung für Abfindungen, aber gleichzeitig die Anhebung der Schwelle für Kleinbetriebe. Ich finde, dass man das jetzt mal intern insbesondere mit den Gewerkschaften durchgeht und dann mit einem Entwurf nach draußen kommt.

    Durak: Man hat ja den Eindruck oder man könnte den Eindruck haben, Herr Steinbrück, dass Politiker, Parlamentarier, auch Gewerkschafter den Weg direkt in die Medien suchen, weil sie möglicherweise in den anderen Kreisen nicht zurecht kommen mit der inneren Diskussion. Deshalb ja so viele Stimmen dazu, die ja die Leute auch verwirren.

    Steinbrück: Ja, das gebe ich zu. Ich habe an anderer Stelle davon gesprochen, dass Politik zunehmend inkontinent ist und manchmal Windeln braucht. Auf der anderen Seite ist es ihre Profession, die uns auch dazu verleitet, und es sind ihre Nachrichtenmagazine, die davon leben, dass wir inkontinent sind.

    Durak: SPD-Fraktionschef Müntefering meint, in Deutschland sei eine Reformitis ausgebrochen nach dem Motto: Wer am meisten zerdeppert, hat am meisten Recht. Ist das eine aus Ihrer Sicht zutreffende Beschreibung für das, was wir als Reformdruck und Diskussionen darum beschreiben?

    Steinbrück: Es gibt zwei Ansätze, die beide ihre Berechtigung haben: einerseits darauf hinzuweisen, dass Deutschland in der Tat eine Reihe von Reformen braucht, dass wir vielleicht alte Strukturen seit 10, 15 Jahren zu lange mit uns herumschleppen und plötzlich feststellen, dass die nicht mehr zeitgemäß sind, auf der anderen Seite aber darauf hinzuweisen, dass die reinen Beschleuniger, die Promotoren, wo es nur darum geht "ich muss etwas verändern", auch an den Verhältnissen vorbei gehen, indem man viele mitnehmen muss. Diejenigen, die sich von Reformen eher bedroht fühlen, die eher glauben sie seien die Verlierer - und die haben Verlustängste -, die können natürlich auch mobilisiert werden im Sinne von Behinderungen und von Blockaden. Das würden wir beide auch tun, wenn wir den Eindruck haben, dass wir die Deppen sind nach einer entsprechenden Reform.

    Durak: Wie viel Reform verträgt denn das sozialdemokratische Gewissen?

    Steinbrück: Ich glaube, dass wir in der Vergangenheit bewiesen haben, an vielen Stellen die notwendigen Reformen anzupacken, dass dabei über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch viel Gutes herausgekommen ist. Die jetzigen Reformthemen liegen alle vor unseren Füßen. Das ist die Gesundheitsreform. Das ist die Notwendigkeit, die sozialen Transfersysteme zu modernisieren, alleine wegen der demographischen Entwicklung. Ich glaube drittens, dass das Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen auch neu organisiert werden muss, einschließlich der sehr schwierigen Frage der Kommunalfinanzen. Es bieten sich vielleicht zwei oder drei andere Themen bis hin zur Bundeswehr auch noch an.

    Durak: Wie weit soll die Reform auf dem Arbeitsmarkt gehen, denn das ist ja das, was den Leuten am meisten auf den Magen schlägt?

    Steinbrück: Ich glaube, dass man erst mal abwarten muss, was sich jetzt über die ersten beiden Gesetze im Zuge der Umsetzung der Hartz-Vorschläge auf dem Arbeitsmarkt tut. Mir ist die Nervosität und die Ungeduld etwas zu groß. Ich glaube acht Wochen nach Verabschiedung oder Inkraftsetzung dieser beiden Gesetze muss man dem Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister und all den anderen, die beteiligt sind, die Gelegenheit geben, mal sieben, acht, neun Monate damit zu arbeiten und dann im Herbst festzustellen: springt darüber der Arbeitsmarkt an, wird er wirklich flexibler, kommt mehr Zug in den Kamin ja oder nein, um dann die Frage wieder neu aufzuwerfen. Mir ist die Zeit, in der mit neuen Vorschlägen auf den Markt gekommen wird, zu groß.

    Durak: Die meisten Leute rechnen ja nicht in acht Wochen, Herr Steinbrück der Wähler, die Bürger, die Betroffenen. Sie sagen, die Bundesregierung hat ihren zweiten Versuch und stümpert vor sich hin. So wird es ja formuliert. Kam das Hartz-Konzept zu spät? Ist die Bundesregierung nicht energisch genug bei den Reformen?

    Steinbrück: Selbstkritisch ist zuzugeben, dass die SPD in den ersten drei oder vier Monaten nach der Bundestagswahl schlecht aufgestellt gewesen ist. Wir haben keinen roten Faden ausgelegt und erkennbar gemacht für die Menschen, wo wir hinwollen und wie wir dahin wollen. Wir haben erkennbar nicht vermitteln können, was der Inhalt unserer Reformbemühungen ist. Dies muss angepackt werden. Ich rechne damit, dass sowohl auf der Bundesebene wie mit Mitwirkung von Sozialdemokraten auf der Länderebene wir in den nächsten Wochen in der Lage sind, das zu tun. Offenbar gibt es Mitte März ja auch ein Datum, wo der Bundeskanzler sich für die Bundesregierung erklären wird. Aber noch einmal was den Arbeitsmarkt betrifft: Es ist gerade erst acht Wochen her, dass wir versucht haben, über die Umsetzung der Hartz-Konzepte etwas vorzustellen, was ja erst die Gelegenheit haben muss, sich zu bewähren, anzuspringen. Da ist es mir doch etwas sehr, sehr ungeduldig, sehr nervös, jetzt zu sagen: was müssen wir dort zulegen.

    Durak: Was erwarten Sie denn eigentlich von dieser Regierungserklärung am 14. März?

    Steinbrück: Nicht die Meßlatte zu hoch zu legen. Das wird mir fast wieder so stilisiert, dass die auf 2,40 Meter, 2,45 Meter gelegt wird und dann sind alle enttäuscht, wenn es nur 2,35 sind. Ich erwarte mir wegweisende Hinweise des Bundeskanzlers, die konkrete Ansprache dessen, was für uns die oberste Wichtigkeit hat.

    Durak: Das wissen wir doch oder?

    Steinbrück: Ja, aber dann geht es darum durchzudeklinieren und im einzelnen zu belegen, wie wollen wir diese Reformprojekte wirklich durchziehen und wo wollen wir hin.

    Durak: Was sollte denn auf den Schildern an diesem Wegweiser beispielsweise stehen?

    Steinbrück: Ich habe die Themen alle genannt. Es macht keinen Sinn, dass ich jetzt mit eigenen Vorschläge zur Gesundheitsreform komme, wo wir wissen, dass Rürup arbeitet oder dass der Sachverständigenbeirat bei der Kollegin Schmidt arbeitet. Dies muss alles in den nächsten Wochen auf den Tisch gelegt werden. Es macht keinen Sinn, dass man aus den Ländern immer neue Vorschläge hört.

    Durak: Aber die Regierung sollte sich doch auch auf den Sachverstand ihrer eigenen Ministerpräsidenten verlassen können. Wie viel Gehör haben denn die SPD-Ministerpräsidenten in Berlin?

    Steinbrück: Ich kann mich nicht beschweren, aber das was ich zu sagen habe gehört in die Gremien der SPD und auch nicht jede Woche dahin, wo nun öffentliche Irritation ausgeübt werden kann. Denn der Vorwurf von Ihnen und vielen anderen Menschen ist ja geradezu derjenige, dass wir ein vielstimmiger Chor sind. Dann sollte man sich nicht zusätzlich daran beteiligen.

    Durak: Wenn aber alle das gleiche Lied singen und auch noch passend zueinander, dann hört das der Bürger gern?

    Steinbrück: Ja, richtig, aber das setzt vorher eine entsprechende Koordination voraus und dann eine sehr geschlossene Strategie der Kommunikation.

    Durak: Und das sollte dann am 14. März endgültig eingetaktet werden?

    Steinbrück: Das sollte jedenfalls zwingend in den nächsten Wochen und Monaten stattfinden, bis zur Sommerpause zwingend, weil die SPD nicht so in die Sommerpause gehen kann, wie sie aus der Winterpause herausgegangen ist.

    Durak: Was wäre dann?

    Steinbrück: Ich glaube schon, dass dann Macht oder auch die Verantwortung, die wir bekommen haben, auf Zeit zerbröseln kann und dass man dann in der Tat in eine Art Paralyse hinein kommt und das wird erkennbar politisch bestraft.

    Durak: Also die letzte Chance?

    Steinbrück: Letzte Chance will ich nicht sagen. Wir haben auch in den 80er und 90er Jahren unter der Führung von Helmut Kohl Täler und Höhen gehabt für die Union. Dasselbe erlebt die SPD gerade auch. Man kommt aber in der Tat auf eine schiefe Bahn und kommt dann um so schwerer wieder zurück in die Position, wo man überzeugend Politik machen kann.

    Durak: Herr Steinbrück, wie abhängig darf denn eigentlich eine, diese rot-grüne Regierung von den Gewerkschaften sein?

    Steinbrück: Das ist der alte Zuschnitt allein und auf die Frage der Gewerkschaften. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass die deutsche Gesellschaft sehr stark von Korporatismen geprägt ist, sowohl auf der Verbändeseite wie von Lobbyisten wie auch von Gewerkschaften, und dass alle diese Beteiligten sich zu fragen haben, ob ihre teilweise legitimen Einzelinteressen wirklich immer das Gemeinwohlinteresse sind. Das ist eine Frage, die richtet sich nicht nur an die Gewerkschaften. Ich habe genügend Erfahrung auch mit Kammervertretern, mit Verbandsvertretern, wo ich dieselben Status-Quo-Interessen, dieselben Bestandsinteressen wahrnehme wie auch auf Gewerkschaftsseite.

    Durak: Einen Aufbruch in Deutschland, sehen Sie ihn möglich in der beschriebenen Art?

    Steinbrück: Ja, alleine wegen des Problemdrucks und der nimmt zu. Es gibt keine andere Chance, weil wir sonst das Wohlstandsniveau nicht mehr halten werden.

    Durak: Oder Rot-Grün scheitert, die Union kommt an die Regierung und es geht weiter so?

    Steinbrück: Ja, das sind die Zuspitzungen, die Sie interessieren, und dann sind wir in der Nähe der Sportereignisse und spektakulärer Filme. Diese Regierung hat zunächst einmal ein Mandat. Sie hat es gerade vor vier Monaten bekommen. Sie muss dieses Mandat wahrnehmen. Wenn sie es inhaltlich und überzeugend nicht wahrnehmen kann, dann wird sie in der Tat darüber politisch bestraft und dann werden sich Wahlergebnisse fortsetzen, wie wir sie Anfang Februar gehabt haben.

    Durak: Der Mann, der den sportlichen Bogen in diesem Interview schlägt. Per Steinbrück, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. - Herr Steinbrück, ich danke für das faire Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio