Zagatta: Aber der Verkehrsminister wollte Ihnen ja jetzt helfen. Da ist er wohl an Brüssel gescheitert.
Rogge: Für uns ist die Vorbereitung einfach dilettantisch gewesen im Verhältnis zu Brüssel, weil das Harmonisierungsdefizit, was wir gegenüber unseren hauptwesteuropäischen Nachbarn haben wie Holland, Belgien und Frankreich, schon seit Jahrzehnten besteht. Es ist objektiv mit einer Milliarde Euro im Jahr zu quantifizieren, was auch die Bundesregierung weiß. Das hätte man schon lange, auch vor Einführung der Maut beseitigen müssen, und das hat man einfach versäumt und jetzt steht man wieder vor dem Scherbenhaufen, den man immer schon hatte.
Zagatta: Was bedeutet das jetzt für Sie? Was bedeutet diese Entscheidung für die Spediteure, dass es eben diese Ausgleichszahlungen vorerst nicht geben wird?
Rogge: Den Spediteuren bleibt zunächst mal gar nichts anderes übrig als die Maut von 12,4 Cent komplett an den Markt, an die Kundschaft weiterzureichen. Letztendlich zahlt die Zeche der Verbraucher, und daran können wir auch keine Abstriche machen, denn die Spediteure sind nicht in der Lage, diese drei Milliarden Euro pro Jahr aus ihrer Substanz zu finanzieren.
Zagatta: Das ist ja wohl aber auch so gedacht, nicht wahr?
Rogge: Das ist so gedacht, aber es ist natürlich in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage nicht besonders einfach. Wir haben viele Betriebe mit einer Rendite, die zwischen 0 und 1 Prozent liegt, und wenn da ein Kostenschub in dieser Größenordnung auf die Unternehmen weiter zukommt, der nicht komplett am Markt in die Preise eingerechnet werden kann, dann wird es automatisch zu einer Existenzvernichtung führen, es werden Pleiten entstehen und es wird auch mehr Arbeitslosigkeit entstehen.
Zagatta: Da geistert ja die Zahl von 100.000 Arbeitsplätzen durch die Gegend, die gefährdet seien. Ist das ein Horrorszenario oder kann das sein?
Rogge: Es kann durchaus in diese Richtung hineingehen. Wenn die Kosten bei den Unternehmen hängen bleiben und wenn die Wirtschaftslage sich weiter als sehr schleppend, vor allem im Inland erweisen würde, dann werden vor allem viele kleinere Betriebe es sehr schwer haben, am Markt weiter zu überleben.
Zagatta: Jetzt hat aber Verkehrsminister Stolpe angekündigt, wenn es diese Ausgleichszahlung vorerst nicht geben darf, dann denkt er über andere Hilfen für Sie nach. Er will beispielsweise darüber nachdenken, jetzt die Kfz-Steuer zu senken. Wenn es dazu kommt, stehen Sie doch auch gut da.
Rogge: Die Kfz-Steuer kann nur einen Teil der Wettbewerbsnachteile beseitigen, denn wenn Sie heute moderne Euro-2- oder Euro-3-Fahrzeuge, haben, dann ist die Steuerdifferenz zum europäischen Mindestwert schon sehr gering, so dass die Zusatzkosten, die Ihnen durch die Maut entstehen, dadurch in keiner Weise kompensiert werden können. Es wird vielleicht einen Bereich von 5 bis 10 Prozent der zusätzlichen Kosten betreffen, aber keinen Kostenausgleich bewirken. Im Übrigen muss man auch hierzu sagen, das hätte die Bundesregierung schon vor Jahren erledigen können. Jetzt darüber nachzudenken, ist ja eigentlich schon fast eine Verhöhnung der Unternehmer.
Zagatta: Der Minister hat aber auch angekündigt, jetzt über Zuschüsse zum Kauf eben dieser umweltfreundlicheren LKW nachzudenken. Wäre das eine Lösung?
Rogge: Das ist auch keine Lösung, denn wir reden hier über Euro-4- und später Euro-5-Fahrzeuge. Diese Euro-4-Fahrzeuge, die hier in der Anschaffung begünstigt werden sollen, sind am Markt überhaupt nicht erhältlich, also läuft eine derartige Vorstellung komplett ins Leere. Im Übrigen setzt dies ja voraus, dass die Unternehmer weiter investieren. Wenn sie aber hierfür die notwendige Kapitalausstattung nicht haben, dann nützt ihnen das nichts, und Steuererleichterungen oder Abschreibungserleichterung für diese Fahrzeuge einzuführen nützt ihnen auch nichts. Wenn sie keine Rendite haben, können sie auch nichts von der Steuer abziehen.
Zagatta: Jetzt fragt man sich aber schon, warum ist denn ausgerechnet in Deutschland der Widerstand gegen eine Maut so groß? In Frankreich oder anderen Ländern zahlen sie die ja auch.
Rogge: Wir zahlen ja in Deutschland schon eine hohe Kraftfahrzeugsteuer und eine hohe Mineralölsteuer. Man muss ja wissen, dass wir in Deutschland schon die Wegekosten auch mit dem schweren LKW durch deutsche Fahrzeuge komplett überdecken. Der Anteil liegt derzeit bei 170 Prozent, das heißt, für die Leistung, die die Unternehmen in Anspruch nehmen, wird ja schon lange bezahlt. Deswegen ist es auch nicht ohne weiteres einzusehen, dass einfach weiter oben drauf bezahlt wird, denn es ist eine Unternehmenssteuer, die die Unternehmen allein betrifft. Hier wird einfach versucht, die Steuerreform, die vor einigen Jahren eingeführt worden ist, wieder durch die Unternehmen refinanzieren zu lassen. Wir wenden uns nicht grundsätzlich gegen eine entfernungsabhängige Autobahngebühr, aber wir wenden uns dagegen, dass einfach immer weiter oben drauf bezahlt wird und einfach die Steuerschraube bei den Unternehmen immer weiter angezogen wird.
Zagatta: Was erwarten Sie da konkret von der Bundesregierung? Also diese Zuschüsse und Ausgleichszahlungen darf sie ja vorerst nicht leisten. Was erwarten Sie jetzt?
Rogge: Also wir erwarten, dass die Bundesregierung jetzt kurzfristig mit der EU eine Vereinbarung herbeiführt, vor allem dahingehend, dass eine Mineralölsteuerverrechnung für diejenigen Fahrzeuge durchgeführt werden kann, die die Autobahnen benutzen, so dass die Zusatzkosten, die bei der Autobahnnutzung entstehen, eben nicht in dieser Weise ansteigen, wie das im Augenblick von der Bundesregierung vorgesehen ist, wenn es keine Kompensation gibt, denn die Unternehmen müssen entlastet werden, die die Zusatzkosten auch zu tragen haben.
Zagatta: Aber ist das nicht genau das, was die Kommission eigentlich verbieten wollte?
Rogge: Die Kommission hat das nicht verboten, sondern die Kommission hat beide Dinge, die Einführung der Maut und Kompensationszahlungen, jetzt im Augenblick entkoppelt, um zu prüfen, was hier möglich ist. Aber die Bundesregierung hat natürlich schlechte Karten in dieser Angelegenheit, weil diese Art von Kompensation ja schon seit Jahren von unseren französischen, italienischen und niederländischen Konkurrenten praktiziert wird. Hiergegen hat sich die Bundesregierung immer verwandt, allerdings nur mit mäßigem Erfolg, denn diese Steuerrückerstattungen gibt es ja immer noch, und die Bundesregierung hat dem immer zugestimmt im Rat der Finanzminister, weil man damit auch die Zustimmung der anderen europäischen Partner bekam, die Kohlesubventionen in Deutschland weiterbezahlen zu dürfen.
Zagatta: Die Bundesregierung ist jetzt zumindest mit dem Ergebnis zufrieden, dass sie also von der EU grünes Licht erhalten hat, die Maut doch wie geplant jetzt zum November einzuführen. Gehen Sie davon aus, dass das jetzt so durchgezogen wird?
Rogge: Die Zustimmung der Kommission ist ja das eine, die technische und organisatorische Vorbereitung ist hier das andere. Wir rechnen eigentlich noch nicht damit, dass die Maut zum 2. November tatsächlich erhoben werden kann und das System sozusagen auf Bezahlung geschaltet werden kann, weil die Organisation komplett dilettantisch ist, die Technik funktioniert nicht, die Geräte funktionieren nicht, die Software funktioniert nicht. Hier ist ein Scherbenhaufen angerichtet worden. Das Konsortium Toll-Collect und auch die Bundesregierung haben eine gemeinsame große Chance, sich am 2. November komplett lächerlich machen zu können vor einer staunenden Weltöffentlichkeit.
Zagatta: Aber es heißt ja jetzt zuletzt, es sollen bis dahin fast 450.000 dieser Bordcomputer ausgeliefert werden, also diese Mautcomputer, die im LKW eingebaut werden könnten.
Rogge: Ausliefern heißt ja noch nicht eingebaut sein, und eingebaut sein heißt ja immer noch nicht, dass es funktioniert. Wir haben Betriebe, bei denen auch schon 100, 150 Einheiten in die Fahrzeuge eingebaut werden und nur 20 Prozent dieser Einheiten funktionieren im Augenblick. Damit kann kein Unternehmer umgehen, und andere Möglichkeiten zu bezahlen, an stationären Buchungsautomaten oder über Callcenter, sind für die Unternehmen völlig unpraktisch und führen zu erheblichen Zusatzkosten. Es ist ja überhaupt nicht einzusehen, warum die Unternehmen aufgrund dieses technischen Versagens auch noch erhebliche Zusatzkosten zu tragen haben, die ja auf die Maut noch oben drauf kommen.
Zagatta: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio