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Sperrung Schiersteiner Brücke
Dauerstau im Rhein-Main-Gebiet

Seit Wochen herrscht in Mainz und Wiesbaden Ausnahmezustand beim Verkehr. Der Grund: die Sperrung der Schiersteiner Brücke, einer wichtigen Autoverbindung über den Rhein. Die Pendler haben längst Alternativen zum stundenlangen Stau entdeckt: Rheinfähren, Nahverkehrszüge - und sogar das Fahrrad.

Von Ludger Fittkau | 03.03.2015
    Ein Fahrradfahrer fährt zwischen Autos vorbei, die sich an einer Einfallstraße von Frankfurt am Main im Berufsverkehr stauen.
    Stau: Eine Ausweichmöglichkeit ist im Rhein-Main-Gebiet derzeit das Fahrrad. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Die Autobahn 643 auf der Wiesbadener Seite der Schiersteiner Brücke über den Rhein. Zwei digitale Anzeigetafeln über den Fahrbahnen verkünden, was seit Wochen für einen Verkehrsausnahmezustand in der Region sorgt: Sperrung hinter Wiesbaden-Äppelallee – nach Mainz Richtung Frankfurt und Darmstadt. Die Sperrung der maroden Schiersteiner Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden bedeutet für zehntausende Pendler seit Wochen: viele Kilometer Umweg, Staus, stundenlange Anfahrten zur Arbeit.
    - "Sind um halb sechs losgefahren und brauche jetzt wahrscheinlich bis halb neun. Also drei oder dreieinhalb Stunden bis Frankfurt."
    - "Letzte Woche habe ich zwei Stunden zur Arbeit gebraucht mit dem Auto, vier Stunden mit dem Zug, weil Züge ausgefallen sind, es ist nicht wirklich schön."
    - "Es war ja schon lange bekannt, dass die Brücke marode ist und ich denke, man hat viel zu spät angefangen, was zu tun."
    Auf der Wiesbadener Seite an der Auffahrt zur Schiersteiner Brücke liegt der Gasthof "Alte Schule". Am Tisch neben dem Tresen sitzt bei einem Glas Apfelwein der Blumenhändler Ludwig Köhler. Auch er ist ganz direkt von der Sperrung der Schiersteiner Brücke betroffen.
    "Geschäftlich ist es für mich ein bisschen schlecht, weil wir drüben in Mainz einen Blumenstand haben auf dem Großmarkt und dann müssen wir durch die Stadt fahren."
    Dauerstau an den beiden verbliebenen Brücken
    Und das bedeutet: Dauerstau an den beiden verbliebenen Brücken zwischen Mainz und Wiesbaden. Dass die Schiersteiner Brücke jetzt kaputt ist, wundert den Blumenhändler allerdings nicht. Die Pendlerströme im Rhein-Main-Gebiet seien in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen. Für so große Blechlawinen, wie sie sich heute Tag für Tag über die Schiersteiner Brücke schieben, sei das vor gut 50 Jahren errichtete Bauwerk eben nicht geplant gewesen, so Ludwig Köhler:
    "Man hat gebaut, aber kein Mensch hat gewusst, dass da mal so viele Autos drüber fahren und so schwere LKW. Dafür war das einfach nicht gebaut. Denn wenn man sagt, dass da so 70.000 bis 90.000 Autos da täglich drüber donnern. Das ist ein Wort."
    Das hessische Verkehrsministerium liegt Luftlinie vielleicht fünf Kilometer von der Schiersteiner Brücke entfernt am Rande der Wiesbadener Innenstadt. Auch hier ist die Schiersteiner Brücke seit Wochen ein Top-Thema. Für den grünen Staatssekretär Matthias Samson ist sie auch ein Mahnzeichen. Autostraßen und teure Brückenbauwerke allein schaffen es längst nicht mehr, die immer weiter wachsenden Pendlerströme der Boomregion Rhein-Main zu bewältigen. Es braucht Verkehrskonzepte, die Alternativen zur Straße aufzeigen. Die Fähre, die zurzeit nicht weit von der Schiersteiner Brücke zusätzlich über den Rhein pendelt, hält Matthias Samson nicht für die Lösung:
    "Auch hier wird deutlich, dass wir die schwierige Situation an der Schiersteiner Brücke nur bewältigen können, wenn wir Ersatzkapazitäten auf der Schiene haben. Dass wir natürlich Mobilität in einem umfassenden Sinne denken müssen. Es geht nicht nur ums Auto, sondern um die Schaffung und den Ausbau eines attraktiven, sicheren und bezahlbaren öffentlichen Nahverkehrs."
    Der Vorortbahnhof Wiesbaden-Biebrich unweit der Schiersteiner Brücke. Auf dem Bahnsteig ist deutlich belebter als sonst:
    - "Ja, doch. Man merkt, dass die Züge voller geworden sind. Am Anfang haben die Leute wohl gedacht: Ich komme doch mit dem Auto durch. Und nach dem dritten Tag hat man dann doch gemerkt, es fahren mehr mit dem Zug."
    - "Seit der Sperrung der Schiersteiner Brücke fahre ich auch mehr mit der Bahn, da die Zugverbindung einfach angenehmer ist als die Fahrt mit dem Auto. Ich kann das auch bestätigen, dass mehr los ist."
    Ein alter Eisenbahnwaggon auf einem Bahnsteig am Wiesbadener Hauptbahnhof. Hier hat ein Sozialprojekt eine Fahrradwerkstatt eingerichtet. Projektleiter Sven Geyer wohnt in Mainz und fährt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit nach Wiesbaden. Normalerweise nimmt er die Schiersteiner Brücke:
    "Anstatt, dass ich jetzt über die Schiersteiner Brücke fahre, nehme ich jetzt die Brücke am Zollhafen. Das ist die Eisenbahnbrücke. Mit dem Rad oder zu Fuß ist die einwandfrei zu nehmen."
    Seitdem die Schiersteiner Brücke für den Autoverkehr gesperrt ist, trifft Sven Geyer täglich immer mehr Menschen, die den Rhein mit dem Fahrrad überqueren, weil sie nicht in den unvermeidlichen Staus auf den verbliebenen Rheinbrücken stecken bleiben wollen.
    "Ich würde sagen, das Verkehrsproblem ist momentan nicht so hoch, weil die Pendler doch sehr flexibel geworden sind. Bahn, Rad oder entsprechend Fahrgemeinschaft."
    Schieneninfrastruktur bleibt zu schwach
    Hessens grüner Verkehrsstaatsekretär Matthias Samson weiß aber: Gerade die Schieneninfrastruktur des Rhein-Main-Gebietes hält der wachsenden Bevölkerung längst nicht mehr stand. Die Region braucht dringend mehr neue Schienenstrecken. Und auf alten Verbindungen muss der Takt erhört werden, um die Pendler dauerhaft auf die Schiene zu locken. Doch im Augenblick geht es erst einmal darum, zu verhindern, dass aus Geldmangel noch weitere Bahnverbindungen gestrichen werden müssen. Matthias Samson will dafür die Bundesregierung in die Pflicht nehmen.
    "Wir werden jetzt kurzfristig Gesetzesinitiativen im Bundesrat haben und brauchen im Laufe des Jahres eine Entscheidung. Sonst drohen auch in Hessen Abbestellungen von Verkehrsleistungen, die wir dringend brauchen um das Wachstum des Verkehrs in Hessen bewältigen zu können."
    Im Gasthof "Alte Schule" an der Auffahrt zur Schiersteiner Brücke bleibt Blumenhändler Ludwig Köhler gelassen. Wie viele Pendler der Region hat er sich inzwischen auf die Sperrung der Schiersteiner Brücke eingestellt. Köhler steht früher auf und fährt mit den Blumen für den Marktstand in Mainz los, bevor die Rush-Hour einsetzt.
    "Das pendelt sich alles ein."
    Beim Feierabend-Apfelwein genießt der Blumenhändler dann einen Vorteil der Brückensperrung: Vor dem Gasthof an der Auffahrt zur Brücke kriegt man jetzt immer einen Parkplatz. Das wird so bleiben – bis Ende März.

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