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Sarah Pines: "Damenbart"
Spezialistinnen der Einsamkeit

Sie flüchten sich in Gelegenheitssex oder religiösen Wahn, identifizieren sich mit Popstars oder mythischen Figuren – und dennoch schaffen die Frauenfiguren in Sarah Pines‘ Geschichten „Damenbart“ es nicht, ihrer existenziellen Einsamkeit zu entkommen.

Von Oliver Pfohlmann |
Sarah Pines: "Damenbart"
Sarah Pines ist mit "Damenbart" ein eindrucksvolles Debüt als Erzählerin geglückt. (Autorenportrait: Elena Mudd / Cover: Schöffling & Co)
Eine Hollywood-Schauspielerin, die ihr schönstes Kleid anzieht. Die sich in hochhackigen Schuhen den Weg zum berühmten weißen Schriftzug in den Hollywood Hills hocharbeitet. Und die sich dann von der Spitze des „H“ hinunterstürzt.
Sarah Pines erzählt in einer eindrucksvollen Kurzgeschichte von diesem ebenso tragischen wie sozusagen filmreifen Freitod. Der Titel – „Peg E.“ – deutet bereits an, dass es sich dabei nicht um eine Erfindung handelt. 1932 endete auf solch spektakuläre Weise das Leben von Peg Entwistle, einem Stummfilmstar, dem leider das Talent für das aufkommende Technicolor fehlte. Peg ist nicht die einzige Schauspielerin mit verblassendem Ruhm in Sarah Pines Geschichtenband „Damenbart“. In „Sie schon wieder“ kämpft zum Beispiel die oscargekrönte Blanca in ihrer Beverly-Hills-Villa mit den Hürden der neuen Netflixära, einem untreuen Ehemann, vor allem aber mit ihrem Körper.
„Oben im Ankleidezimmer zog sie vor dem Spiegel den Bauch ein. Grundgütiger, wie sie aussah. Wie Shrek. Die Creme, die Haare, die Leberschmiere. Nun, sie war ja auch ein Star, seit Jahrzehnten. Das sollten die jungen Dinger ihr mal nachmachen, all die Masken, Kostüme, Lockenstäbe und Glätteisen, den ganzen Tag mit verkleisterter Haut vor der Kamera, das permanente Hungergefühl im Magen.“

Aussichtslose Affären

Doch ob berühmte Schauspielerin oder nur Kellnerin, ob Vorstadthausfrau oder Verwaltungsangestellte: Sarah Pines Hauptfiguren sind allesamt Spezialistinnen der Einsamkeit. Verzweifelt klammern sie sich an den Glanz der Vergangenheit oder träumen von einem besseren Leben anderswo. Und flüchten sich immer wieder in aussichtslose Affären und Gelegenheitssex. Wie Frédérique, die sich in „Eisvogel“ vor lauter Bindungsunfähigkeit wieder im elterlichen Pfarrhaus einquartiert hat und in der heimischen Fußgängerzone einen Straßenmusiker abschleppt.
„In Frédériques Städtchen waren die Straßen immer schon leer gewesen. Leer und blass wie das Gesicht ihrer Mutter, das ihr ungehalten durch das Küchenfenster nachschaute, wenn sie zu ihren stundenlangen Spaziergängen aufbrach. Sie hatte das immer auf glamouröse Weise machen wollen, das Spazierengehen, wie die Frauen in alten französischen Filmen, doch diese Gegend war nicht glamourös.“
Manche von Pines treulosen Heldinnen identifizieren sich bei ihren Irrwegen mit Popstars oder mythischen Figuren. Wie Hindi, die Gattin des jordanischen Botschafters in der Story „Persephone“. Dass sie ihren Mann verächtlich als „das Schaschlik“ bezeichnet, ist symptomatisch. Viele der von Pines geschilderten Beziehungen sind von der Neigung geprägt, den Partner herabzusetzen, er heißt dann nur „der Liebhaber-Finanzier“, „der Playboy“ oder einfach nur „Jock the Cock“. In einer Gefängniszelle lässt die Autorin Hindi sich an den Rausch einer verbotenen Liebe mit einem Geschäftsmann erinnern, der sie bis zur Bigamie getrieben hat.
„Trotzdem empfand sie eine leise Traurigkeit über diese vergebliche Heirat, darüber, dass man sich so aussichtslos lieben kann und die andere Wahrheit so sehr zur Realität machen will, zumindest für einen Moment, aber es bleibt doch immer nur die Lüge.“
Die hier versammelten 17 Geschichten reichen von der klassischen Shortstory bis zur ausgewachsenen Erzählung. Sie spielen in Deutschland, Griechenland oder Frankreich, in Kalifornien, Louisiana oder New York. Darin spiegelt sich das Leben der Autorin, die im Sauerland aufwuchs, über Baudelaire promovierte und heute als freie Journalistin aus den USA berichtet. Stilistische Brüche wie in der Story „Buffalo“, in der Pines Reportage-Passagen über die amerikanische Vorstadttristesse recycelt, bleiben zum Glück die Ausnahme. Wie auch die unnötig abfälligen Urteile über einige ihrer Figuren aus dem Mund einer sich plötzlich zu Wort meldenden allwissenden Erzählerin.

Religiöser Wahnsinn und Verfall

Am ästhetisch interessantesten sind jene Texte, die mit Motiven von religiösem Wahnsinn und Verfall spielen. In „Schweiß“ hat eine Ex-Schauspielerin einen französischen Schlossherrn geheiratet; jahrelang brütet sie schweigend auf ihrem mit winzigen Schwammpilzen überzogenen Lehnstuhl, beobachtet nur von ihrer Putzfrau, der Ich-Erzählerin. Erst in ihrem Abschiedsbrief gesteht die Schlossherrin, vor Jahren zwei Mädchen ermordet zu haben, die vorgaben, der Muttergottes begegnet zu sein. Nicht nur die Lust am grotesken Detail ist für diese Texte charakteristisch, sie schwelgen auch in der Sinnlichkeit von Geräuschen, Farben und haptischen Eindrücken. Und schaffen es, durch immer neue originelle Vergleiche eine ganz eigene Poetizität zu erzeugen. Mit ihrem Geschichtenband „Damenbart“ ist Sarah Pines ein eindrucksvolles Debüt als Erzählerin geglückt.
Sarah Pines: „Damenbart“, Geschichten.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main
222 Seiten, 20 Euro.