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Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch
"Mit diesem Buch stimmt etwas nicht"

Die aktuelle Spiegel-Bestseller-Liste Sachbuch. Diesmal mit Büchern von Altkanzlern und Ex-Förstern, buddhistischen Äbten und Hausheiligen der deutschen Fernsehunterhaltung sowie bis zur Torheit mutigen Ex-CDU-Abgeordneten. Ausschließlich mehr oder minder alte Männer, wie unser Kritiker Denis Scheck feststellt. Darunter auch Hape Kerkeling, mit dessen Buch irgendetwas nicht stimmt.

Von Denis Scheck | 03.07.2015
    In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Sachbücher der Deutschen luftige 3188 Gramm auf die Waage: zusammen 2842 Seiten.
    10) "Die Kuh, die weinte" (Deutsch von Martina Kempff, Lotos, 239 Seiten, 15,99 Euro)
    Auf dem religiösen Ohr bin ich Gott sei Dank taub und gedenke das auch zu bleiben. So lese ich diese verblüffend populistischen und krachledern derben buddhistischen Predigten als Anekdotenreigen. Die meisten künden von nie fertig werdenden Flughäfen, Waldklöstern oder sonstigen Himmlischen Hallen und haben als Trost für den zu ihrer Errichtung erforderlichen Schweiß bloß anzubieten, dass der Weg das Ziel sei. Für altmodische Atheisten wie mich aber bleibt das Ziel das Ziel und die Wurst die Wurst, und dieses Buch somit Blödsinn.
    9) Bernard Cornwell: "Waterloo" (Deutsch von Karoline Fell und Leonard Thamm, Wunderlich, 479 Seiten, 24,95 Euro)
    Napoleon sagte einmal: "Den Verlust von Boden kann ich wettmachen, doch niemals den Verlust von Zeit." So anschaulich und detailreich der historische Romancier Bernard Cornwell die Schlacht von Waterloo schildert, und so prächtig die zahlreichen Illustrationen in diesem Band sind, so sehr bleibt Bernard Cornwells Buch in meinen Augen unterm Strich doch ein Verlust von Zeit. Weniger, weil die permanente Titulierung von Wellington in der Übersetzung als "der Duke" schwer nervt, sondern weil die absurd pro-britisch eingefärbte Darstellung der Schlacht ein Rücksturz in die nationalistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts darstellt. Johannes Willms und Adam Zamoyski haben weit bessere Bücher über Waterloo und die Folgen zeitgleich vorgelegt. Was aus der Beschäftigung mit allen drei Büchern bleibt, ist die Frage, ob Nine Eleven das Waterloo unseres Jahrhunderts war. Wer schlecht einschlafen kann, wird darüber keine Ruhe finden.
    8) Udo Ulfkotte: "Gekaufte Journalisten" (Kopp, 336 Seiten 22,95 Euro)
    Der Ex-FAZler Udo Ulfkotte fragt sich: "Haben Sie sich auch schon einmal darüber gewundert, warum so viele Alpha-Journalisten unserer Leitmedien Häuser in der Toskana, in anderen begehrten Regionen Italiens, in Südfrankreich oder Spanien haben?" Ulkottes Antwort besteht aus einer reichlich konfusen Verschwörungstheorie aus Elementen wie "Seele an den Teufel verkauft" und "Schlemmermenüs bis zum Abwinken". Das ist natürlich stupender Unsinn. Ich hingegen weiß ganz ohne Hilfe des Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung tatsächlich, warum so viele Alpha-Journalisten unserer Leitmedien Häuser in der Toskana und in anderen begehrten Regionen Italiens, in Südfrankreich oder Spanien haben: Weil's da schön ist!
    8) Peter Wohlleben: "Das geheime Leben der Bäume" (Ludwig, 224 Seiten, 19,99 Euro)
    Ein Ex-Förster erzählt über Bäume: Im Grunde vermag ich keine kürzere Formel dafür anzugeben, warum ich zu lesen begonnen habe. Zumal es sich bei diesem Ex-Förster Peter Wohlleben um jemanden handelt, der ein Saulus-Paulus-Erlebnis hinter sich hat und auf Abstand zu der industriellen Massenbaumhaltung geht. "Es ist tatsächlich Charaktersache, wann ein Baum das Laub abwirft", weiß Peter Wohlleben. Und zieht daraus notwendige Parallelen zu "Schnitzeln und Schweinen", denn Wohlleben weiß auch: "das Papier dieses Buches (…) besteht aus geraspelten, eigenes hierfür gefällten (und damit getöteten) Fichten und Birken." Eine augenöffnende Lektüre.
    6) Helmut Schmidt: "Was ich noch sagen wollte" (C.H. Beck, 239 Seiten 18,95 Euro)
    In diesem für seine Verhältnisse fast schon intimen Buch denkt Helmut Schmidt darüber nach, welche Vorbilder ihn geprägt haben. Neben Marc Aurel, Immanuel Kant und Max Weber kommt Helmut Schmidt dabei auch auf den vom Volksgerichtshofpräsidenten Roland Freisler geleiteten Schauprozess gegen die Attentäter des 20. Juli 1944 zu sprechen, den er als abkommandierter Offizier 1944 miterlebt hat: "Ich habe nachher im Gespräch mit Kameraden gesagt, dass ich mit Genugtuung und bedenkenlos Freisler töten könnte", schreibt Helmut Schmidt im Juni 1946 an die Frau des ehemaligen Botschafters Ulrich von Hassell. Man könnte das als Gratismut abtun, wenn Schmidt nicht die Sätze folgen ließe: "Ich gestehe, dass ich mich mit dem Attentat vom 20. Juli schwergetan habe. Stauffenberg habe ich nicht als vorbildlich empfunden (…) Ich habe Hitler und die deutsche Katastrophe einmal die "Tragödie unseres Pflichtbewusstseins" genannt. Die übergroße Mehrheit der Deutschen hat den Gesetzen des Staates bis in den Untergang hinein Folge geleistet. Viele von denen, die daraus im Nachhinein einen moralischen Vorwurf ableiten wollen, haben ihrerseits niemals in anderen als freiheitlichen Verhältnissen gelebt."
    Dieses Buch lehrt unter anderem, wohlfeile Lippenbekenntnisse zu vermeiden.
    5) Hape Kerkeling: "Der Junge muss an die frische Luft" (Piper, 313 Seiten, 19.99 Euro)
    Vom ersten Satz an stimmt etwas nicht mit diesem Buch. Es stimmt nicht, wenn Hape Kerkeling von sich schreibt, er sei jemand, "dessen Namen man im deutschen Sprachraum nicht einmal wirklich kennt", und es stimmt nicht, die "besonders Gescheiten" in einen Topf mit "Frömmelnden" zu werfen, und es stimmt nicht, wenn ein Mann vom intellektuellen Format Kerkelings sich mit esoterischen Sentenzen zufriedengibt wie: "Ich bleibe bei mir und kann deshalb von mir weg. Man kommt halt nie zu Hause an, wenn man sich nicht auch mal davon entfernt."
    4) Ajahn Brahm: "Der Elefant, der das Glück vergaß" (Deutsch von Karin Weingart, Lotos, 240 Seiten, 16,99 Euro)
    Eine weitere Sammlung buddhistischer Gschichteln über Geisterhunde, die aus dem Jenseits bellen, Geisterstimmen, die Glückszahlen soufflieren und Geistererscheinungen, die Amerikaner durch thailändische Klöster führen. Wer’s glaubt, wird selig.
    3) Wilhelm Schmid: "Gelassenheit" (Insel, 119 Seiten, 8 Euro)
    Wilhelm Schmid empfiehlt "Art of Aging" statt "Anti-Aging", sein Plädoyer für eine überfällige innere Abrüstung im Umgang mit dem Älterwerden überzeugt.
    2) Thomas Gottschalk: "Herbstblond" (Heyne, 368 Seiten 19,99 Euro)
    Diese amüsante und streckenweise durchaus selbstkritische und erkenntnisreiche Autobiographie des Golden Boys der deutschen Fernsehunterhaltung ist die beste Einführung in die Gesetzmäßigkeiten bundesrepublikanischen Massenmedien, die ich kenne. Gottschalks Selbstbeschreibung: "Ich bin ein Hochstapler, ich bin ein Tiefstapler. Ich werde überschätzt, ich werde unterschätzt. Ich bin zu jugendlich, ich bin zu alt. Quotenhoch, Quotenloch, Kassenschlager, Kassengift – alles wurscht."
    Recht hat er.
    Platz eins der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch:
    1) Jürgen Todenhöfer: "Inside IS – 10 Tage im 'Islamischen Staat'" (C. Bertelsmann, 285 Seiten, 17,99 Euro)
    Mut darf man dem ehemaligen CDU-Abgeordneten und Burda-Manager Jürgen Todenhöfer niemand absprechen. Sein Bericht über eine zehntägige Reise durch den Islamischen Staat, die er gemeinsam mit seinem Sohn Frederic unternahm, fasziniert. "Sie gehen hier einigen Leuten mächtig auf den Sack, wenn ich Ihnen das so sagen darf", erklärt ihm sein deutschstämmiger Pressereferent Abu Qaradah. Mit anderen Worten, aber inhaltlich deckungsgleich schreibt Todenhöfer das auch die Taz-Chefredakteurin Ines Pohl. Ein sicheres Indiz dafür, dass Jürgen Todenhöfer zumindest mit diesem Buch alles richtig gemacht hat.