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Spionage-Experte: Es wird nur in eine Richtung geschaut

Industrie- und Wirtschaftsspionage, Computer-Hacking und Produktpiraterie sind nach Auffassung des Spionage-Experten Udo Ulfkotte Realität, nicht nur in Ländern wie China und Indien, sondern auch in den USA und westeuropäischen Staaten. Das Problem sei schwer in den Griff zu bekommen, da das nationale Interesse der Sicherung von Arbeitsplätzen so viel gelte, dass sogar einzelne Geheimdienste in die illegalen Machenschaften verstrickt seien.

    Müller: Produktpiraterie, also das illegale Kopieren, Nachbauen, Nachmachen beispielsweise von CDs, DVDs oder auch T-Shirts, ist seit Jahren ein heftiger Streitpunkt zwischen den westlichen Industriestaaten und China. Ein Streit, der offen ausgesprochen und ausgetragen wird. Öffentlich hat Peking jedenfalls Besserung gelobt. Weniger offen ausgetragen wird dagegen das leidige Kapitel Industriespionage. Es geht auch um Milliardenbeiträge im Bereich der komplexen Hochtechnologie. Der Verfassungsschutz hat nun davor gewarnt, dass vor allem der deutsche Mittelstand Opfer chinesischer Spionage werden könnte besonders im elektronischen Bereich.
    Bei uns am Telefon ist jetzt der Spionage-Experte Udo Ulfkotte. Guten Tag!

    Ulfkotte: Guten Tag!

    Müller: Herr Ulfkotte, ist unter fast jeder Festplatte inzwischen ein Chinese?

    Ulfkotte: Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin ohnehin erstaunt, was hier alles durcheinander geworfen wird. Wir haben hier Betrug, wir haben Computer-Hacking, wir haben Industriespionage, Wirtschaftsspionage. Hier sind eine ganze Reihe Themen zusammengemischt worden und was mich am allermeisten erstaunt ist, dass wieder einmal wie in den letzten Jahren auch ganz nüchtern und neutral gesagt nur in eine Richtung geschaut wird, nämlich nur in Richtung der klassischen Bösewichte bei den Sicherheitsbehörden, Russland und China, und die westlichen Staaten, die so etwas natürlich auch machen oder deren Bürger dies auch machen und sehr gut können, aus Opportunitätsgründen nicht erwähnt werden.

    Müller: Demnach sind die Chinesen gar nicht das Problem?

    Ulfkotte: Die Chinesen sind ganz bestimmt ein Problem in den Einzelbereichen Wirtschaftsspionage oder Computerkriminalität oder Betrug. Dazu ein konkretes Beispiel: Es hat erst vor wenigen Wochen ein großes renommiertes Hamburger Unternehmen Abends um 22 Uhr Praktikanten aus China am Kopierer dabei erwischt, wie sie Hunderte Seiten betriebsinternes Know-How kopiert haben und auf Firmenkosten gleich verpackt haben an ihre Heimatadresse, an ein chinesisches Unternehmen. Aber das Interessante wie in allen ähnlichen Fällen: die haben kein Unrechtsbewusstsein. Sie wissen oder glauben, dass das nicht verboten ist, denn wenn sie in Deutschland studieren dürfen, sehen sie es als Selbstverständlichkeit an, dass sie im Gegenzug ihrem Land auch etwas Know-How zu Teil werden lassen sollen.

    Müller: Ist der Staat der Spion?

    Ulfkotte: Das ist in vielen Fällen in Ländern wie China so, dass es Auftragsarbeiten sind. Aber noch einmal: es gibt kein Unrechtsbewusstsein, übrigens auch bei indischen Hackern nicht, sondern man sagt das ist im nationalen Interesse der Sicherung von Arbeitsplätzen. Es gibt dieses Unrechtsbewusstsein nicht.

    Müller: Demnach dürfte es sehr schwer sein, das alles in den Griff zu kriegen?

    Ulfkotte: Komplett richtig was Sie da sagen. Es ist sehr, sehr schwer in den Griff zu bekommen, denn alle sind sich einig darüber bei internationalen Konferenzen, wir wollen keine Produktpiraterie, wir wollen keinen Betrug, wir wollen keine Computerspionage und so weiter. Aber wenn es um das nationale Interesse der Sicherung von Arbeitsplätzen geht, dann wird man auch mal blind auf diesem Auge und schaut weg.

    Müller: Reden wir auch über die anderen. Sie haben das ja angesprochen. Sie sind ja nicht damit zufrieden, nur auf China als Schwarzer Peter zu zeigen. Die USA: wie schlimm sind die?

    Ulfkotte: Ich würde sagen ungefähr annähernd gleich schlimm. Auch die Vereinigten Staaten haben - und zwar nicht erst unter dem gegenwärtigen Präsidenten, sondern schon seit etwa einem Jahrzehnt - unter anderem ihre Geheimdienste angewiesen, im nationalen Interesse zur Sicherung von Arbeitsplätzen auch Computer- und Wirtschaftsspionage zu betreiben. Das wird getarnt als Terrorabwehr. Das wird gatarnt auf allen möglichen Ebenen. Übrigens es gibt Beweise dafür. Die Amerikaner veröffentlichen regelmäßig eine Liste derjenigen Unternehmen, die bei Ausschreibungen mit Hilfe von Korruption arbeiten. Solche Erkenntnisse können sie nur haben, wenn sie zielgerichtet ausländische Unternehmen per Computer ausspionieren.

    Müller: Welche Rolle spielen denn ausländische interessierte Unternehmen?

    Ulfkotte: Die spielen auch eine große Rolle und diese beiden Punkte, die Sie jetzt genannt haben, laufen zusammen. Das kann man sehr gut im Beispiel Russland erklären. Ausländische Unternehmen können etwa in Moskau bei den russischen Diensten Unterlagen über Konkurrenten bestellen. Das heißt es gibt Auftragsspionage, dass staatliche Dienste im Interesse von anderen westlichen Unternehmen beispielsweise solche Auftragsspionage erledigen. In Russland können sie abhängig davon, wie viel sie über welches Unternehmen brauchen, ob sie etwas über Siemens, Philipps oder wen auch immer brauchen, solches Know-How bestellen. Die Preise fangen etwa an bei 10, 20.000 Euro.

    Müller: Herr Ulfkotte, wenn das alle wissen und man redet ja seit Jahren schon darüber, dass diese Industriespionage und auch diese anderen Varianten vorherrschen, dass die sich durchgesetzt haben, die Betroffenen wissen es, warum ist es so schwierig, sich davor zu schützen?

    C: Man sagt ja Spionage ist das zweitälteste Gewerbe der Welt und auch das älteste Gewerbe der Welt scheint es offenkundig auch in der Zukunft weiterhin noch zu geben, obwohl es alle unschön finden. Das ist relativ ähnlich. Da gibt es Interessen auf der einen und auf der anderen Seite. Es verspricht jemandem einen Vorteil und ich bin mir sehr sicher, dass bei egal wie vielen Konferenzen, die es in Zukunft geben wird, wo man sagt wir einigen uns jetzt darauf, Spionage, Wirtschaftsspionage wird weltweit verboten und abgeschafft, es dieses leider weiterhin geben wird. So werden Unternehmen daran verdienen, solche Schäden abzuwenden.

    Müller: Also wer an internationaler Zusammenarbeit in diesem Feld glaubt, der ist politisch naiv?

    Ulfkotte: Ja, weil er vergisst eben einfach das nationale Interesse der Sicherung von Arbeitsplätzen. Das rangiert erheblich höher über dem Interesse, sich an rechtstaatliche Grundsätze und an bestimmte ethische Normen zu halten. Ein Präsident, ein Staatsführer, der die Chance vergibt, Arbeitsplätze auch mit unlauteren Mitteln, wenn es halt niemand mitbekommt, zu sichern - und bei Computerkriminalität, Wirtschaftsspionage ist der Nachweis sehr schwer -, ein solcher Präsident, der eine solche Chance aufgibt, hat es halt schwerer. Er muss zusehen, dass so viele Arbeitsplätze wie möglich eben auch mit fremdem Know-How, was geklaut wird, erhalten oder sogar noch zusätzlich neu geschaffen werden.

    Müller: Jetzt hätten wir fast vergessen zu fragen wie schlimm ist Deutschland?

    Ulfkotte: In Deutschland ist es ehrlich gesagt so, dass die deutschen Geheimdienste, Inlands- oder Auslandsgeheimdienste aktiv - das können Sie mir jetzt glauben oder nicht, aber es ist Realität - Wirtschaftsspionage nicht betreiben, aber natürlich wäre es naiv zu glauben, dass deutsche Unternehmen nicht solche Aufträge erteilen und um sich einen Vorteil am Weltmarkt zu verschaffen auch solche Auftragsarbeiten an darauf spezialisierte Firmen vergeben. Da gibt es eine ganze Reihe von Consulting-Agenturen, die sehr gut daran verdienen, solche Aufträge zu erledigen.

    Müller: Der Spionage-Experte Udo Ulfkotte war das. Vielen Dank für das Gespräch!

    Ulfkotte: Gerne!