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Spionageaffäre
"Das Angebot eines Sonderermittlers steht"

Aus Sicht des Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg, funktioniert die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA weiterhin gut. Das Vertrauen werde durch Fragen, die ein Parlament stelle, nicht erschüttert, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.

Patrick Sensburg im Gespräch mit Christiane Kaess | 22.06.2015
    Der Vorsitzende des Untersuchungsausschuss "NSA", Patrick Sensburg (CDU), spricht am Rande der Sitzung des Untersuchungsausschuss am 23.04.2015 im Paul-Löbe-Haus in Berlin zu Journalisten.
    Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU) (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    "Ich gehe davon aus, dass das Angebot eines Sonderermittlers steht", so Sensburg. Die Bundesregierung habe bei ihrem Vorschlag, einer Vertrauensperson Einblick in die sogenannte Selektorenliste zu geben, zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber den USA und dem Aufklärungsinteresse des Untersuchungsausschusses abgewogen.
    Trotz Zeitungsberichten, wonach die USA den Vorschlag der Bundesregierung ablehnen, einem NSA-Sonderermittler Einblick in die Daten zu geben, die zwischen dem Bundesnachrichtendienst und der NSA ausgetauscht wurden, glaubt Sensburg, dass ein entsprechender Ermittler eingesetzt wird. "Ich kenne keine Antwort aus Washington oder eine entsprechende Stellungnahme", sagte der CDU-Politiker.
    Zu möglichen Kandidaten für das Amt des Sonderermittlers wollte sich Sensburg nicht äußern. "Entscheidend ist, dass wir eine Person finden, die dieser Aufgabe gerecht wird." Er hoffe aber, dass sich Regierungs- und Oppositionsparteien im Untersuchungsausschuss gemeinsam auf einen Kandidaten einigen könnten: "Für den Ausschuss ist es sicherlich eine Stärke, wenn alle Fraktionen den Sonderermittler mittragen könnten und wenn er nicht nur von einer Seite kommt."
    Er glaube nicht, dass die Zusammenarbeit der Geheimdienste durch die Ermittlungen gestört werde, sagte Sensburg: "Die Partner brauchen sich gegenseitig. Das Vertrauen ist durch Fragen, die das Parlament stellt, nicht erschüttert."

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Seit Wochen schwelt in Berlin der Streit um die sogenannte Selektorenliste, also die Auflistung der Suchbegriffe, die der Bundesnachrichtendienst benutzt haben soll, um für den US-Geheimdienst NSA offenbar europäische Ziele auszuspähen. Die Parlamentarier des Bundestages, vor allem die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses, die Licht in das Dunkel dieser Affäre bringen sollen, die wollen für ihre Arbeit Einsicht in diese Liste bekommen, was man auf US-amerikanischer Seite ganz offensichtlich nicht will. Die Bundesregierung hat deshalb als Kompromiss einen Sonderermittler vorgeschlagen, der die Liste einsehen darf und dann die Parlamentarier unterrichten soll. Gestern meldete die "Bild am Sonntag", Washington lehne auch diesen Plan ab. - Am Telefon ist jetzt Patrick Sensburg von der CDU. Er ist Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses. Guten Morgen.
    Patrick Sensburg: Schönen guten Morgen!
    Kaess: Herr Sensburg, ist das vorstellbar, sogar auf den Sonderermittler zu verzichten?
    Sensburg: Entgegen anders lautender Pressemeldungen liegt mir keine offizielle Stellungnahme aus den Vereinigten Staaten vor. Und wir haben immer gesagt, die Bundesregierung muss im Ergebnis entscheiden, ob sie uns und wenn ja wie in welcher Weise Kenntnis von diesen Selektorenlisten verschafft, und deswegen hat sie ja einen Vorschlag gemacht.
    Kaess: Und es ist tatsächlich so, dass ein Sprecher der Regierung gestern gesagt hat, es gilt das Angebot der Bundesregierung. Sie nehmen das als feste Zusage zum Sonderermittler?
    Sensburg: Die Bundesregierung hat in ihrer Entscheidung abgewogen, einmal die Verpflichtungen völkerrechtlich aus den Verträgen, die auch mit den Vereinigten Staaten geschlossen wurden, und auf der anderen Seite das Aufklärungsinteresse, was ja grundrechtlich geschützt ist, des Untersuchungsausschusses. Und da ist sie zu der Entscheidung gekommen, uns dieses Prozedere vorzuschlagen.
    Kaess: Noch mal meine Nachfrage. Sie gehen davon aus, dass es eine feste Zusage ist, und sie wären auch nicht bereit, auf diesen Sonderermittler zu verzichten, egal was da aus Washington noch dazukommt?
    Sensburg: Ich gehe davon aus, die Bundesregierung hat sich ja einige Tage Zeit gelassen, dass sie klug überlegt hat, dass sie klug abgewogen hat und dass diese Entscheidung, dieses Angebot eines Sonderermittlers zu machen, auch steht. Sonst hätte man sie wohl gar nicht erst gemacht. Und wir richten uns darauf ein, jetzt auch diesen Sonderermittler mit einem konkreten Auftrag auszustatten, dass er über die Sommerpause seine Arbeit machen kann.
    Kaess: Berlin sollte eine mögliche Antwort oder eine, die eben schon erfolgt ist, wenn wir der "Bild am Sonntag" glauben dürfen, Berlin sollte diese Antwort aus Washington auch egal sein dazu?
    Sensburg: Nochmals: Ich kenne keine Antwort aus Washington oder eine Stellungnahme, und deswegen sollte man auch gar nicht auf Spekulationen eingehen. Wir haben einen Untersuchungsauftrag und dem sollten wir auch nachkommen.
    Kaess: Der SPD-Vize Ralf Stegner, der sagt heute in der "Welt", das Modell mit dem Sonderermittler muss möglich sein, ein Verzicht lässt unsere Verfassungsordnung wackeln. Würden Sie das ebenso stark formulieren?
    Sensburg: Ja man muss nicht alles kommentieren. Ich glaube, wir haben jetzt einen Vorschlag auf dem Tisch. Entscheidend ist, dass der Auftrag des Sonderermittlers gut formuliert wird, dass er Zugang zu allen Dokumenten erhält und dass wir eine Person finden, die auch dieser Aufgabe gerecht wird.
    Kaess: Dennoch möchte ich noch mal kurz nachfragen zu diesen Presseberichten. Die Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuss, Martina Renner, die interpretiert das so. Sie sagt, es müsse wohl umso mehr politische Brisanz in den Listen mit Spionagezielen der NSA stecken, dass "nun selbst das V-Personenverfahren ad absurdum geführt wird." Werden Sie da genauso hellhörig wie Martina Renner?
    Sensburg: Ich bin immer hellhörig. Aber nochmals: Ich kann diese Pressemeldungen nicht bestätigen. Ich kenne keine offizielle Stellungnahme von amerikanischer Seite. Und ich glaube, dass die Bundesregierung im Vorfeld gut abgewogen hat, dass sie sowohl den internationalen Verpflichtungen gerecht wird als aber auch unserem Untersuchungsinteresse. Deswegen sollten wir diesen Weg weitergehen. Entscheidend ist jetzt, dass wir eine Person finden, die auch diese schwere Aufgabe wahrnehmen kann.
    Kaess: Genau, und da ist der ehemalige Richter am Bundesverwaltungsgericht Kurt Graulich im Gespräch. Können Sie das bestätigen, dass man sich auf ihn schon geeinigt hat?
    Sensburg: Es sind verschiedene Namen genannt worden vonseiten der Koalition. Ich halte es für wichtig, dass auch die Opposition eingebunden wird. Ich denke, aufseiten der Opposition macht man sich auch Gedanken. Dort ist sicherlich das Interesse, auch Vorschläge zu machen. Von daher sollten wir jetzt noch nicht über Namen reden, sondern erst gemeinsam im Ausschuss über mögliche Kandidaten nachdenken, und dann sollte man sie im Vorfeld vielleicht auch befragen.
    Kaess: Aber Kurt Graulich wäre ein geeigneter Sonderermittler?
    Sensburg: Wie gesagt, es ist noch sehr früh, und ich würde gerne auch die Meinung der Opposition hören. Für den Ausschuss ist es sicherlich eine Stärke, wenn alle Fraktionen den Sonderermittler mittragen könnten und wenn er nicht nur von einer Seite kommt. Deswegen, glaube ich, ist zuerst das Gespräch im Ausschuss entscheidend, bevor wir einen Namen tatsächlich nennen.
    Kaess: Ja, Herr Sensburg. Im Moment ist die Situation aber so, dass die Opposition nach wie vor darauf besteht, dass die Abgeordneten selbst die Liste einsehen können, und damit droht, eine Klage vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Sie auf der anderen Seite nehmen weiterhin die Beschneidung Ihrer Rechte als Parlamentarier hin, dass Sie nur indirekt Informationen über die Liste erhalten könnten?
    Sensburg: Nein! Wir nehmen keine Beschneidung der Rechte der Parlamentarier hin, sondern es geht darum, verschiedene Rechte zum Ausgleich zu bringen. Von der einen Seite ist es eine internationale Verpflichtung, mit diesen Dingen in die Konsultation zu gehen und dann gegebenenfalls auch zu sagen, aufgrund des Staatswohls ist kein Einblick in die Listen möglich. Als bessere Variante hat die Bundesregierung vorgeschlagen, einen Sonderermittler einzusetzen. Der Ausschuss hat das genauso gesehen mehrheitlich. Ob die Opposition jetzt nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht geht, muss sie entscheiden. Aber trotzdem kann sie sich natürlich quasi als Chance bis dahin an der Diskussion beteiligen, was den Sonderermittler betrifft, und ich glaube, das macht die Opposition auch. Sie hat bisher immer sehr konstruktiv im Untersuchungsausschuss mitgearbeitet.
    Kaess: Sie sind durchaus dafür, Rücksicht auf die Interessen Washingtons zu nehmen. Jetzt hat die "Bild am Sonntag" auch berichtet, die NSA erwäge, die enge Zusammenarbeit mit Deutschland zu kappen, stärker auf andere europäische Partner zuzugehen. Die Standortsuche laufe, heißt es sogar. Favorit sei Polen. Müssen wir davon ausgehen, dass Deutschland die USA als Partner in Sicherheitsfragen verlieren wird?
    Sensburg: Nein! Ganz im Gegenteil: Die Zusammenarbeit ist gut auf den verschiedenen Ebenen der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit, und ich muss sagen, die Partner brauchen sich gegenseitig. Wenn wir Sicherheit gewährleisten wollen, sowohl in Deutschland und Europa als auch zum Beispiel in den Einsatzländern, wo die Bundeswehr im Einsatz ist, dann braucht es beide Seiten, und ich glaube, das Vertrauen ist durch Fragen, die ein Parlament stellt, nicht erschüttert. Ganz im Gegenteil! Das findet ja auch auf amerikanischer Seite statt. Dort gab es zum Beispiel schon einen NSA-Untersuchungsausschuss und wir hatten auch in Deutschland schon mal einen BND-Untersuchungsausschuss. Das hat die guten Beziehungen nicht erschüttert. Ganz im Gegenteil! Es ist richtig, bestimmte Prozeduren immer wieder zu hinterfragen, auch parlamentarisch zu hinterfragen. Das ist in der Demokratie ein richtiger Ansatz. Alles andere wäre falsch und würde Beziehungen infrage stellen.
    Kaess: ..., meint Patrick Sensburg von der CDU. Er ist Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses. Danke für das Gespräch.
    Sensburg: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.