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Spiritualität
Vor uns die Sinn-Flut

Tanz, Meditation, Schamanismus: Retreats, also Auszeiten für die Seele, sind bei jungen Erwachsenen gefragt. Vor allem, wenn sie an entlegene, paradiesisch schöne Orte führen. Religion ist nicht wichtig, Glaube schon. Ein Besuch auf Hawaii.

Von Daniel Knopp | 17.08.2018
    Der Surfer Jay Thompson (Australien) zeigt im November 2012 sein Können
    Surfer auf Hawaii (picture alliance / dpa / Kelly Cestari / Asp)
    Das hawaiianische Kalani Honua Retreat ist ein Naturparadies direkt an der Pazifikküste unweit des Vulkans Mauna Kea. Das spirituelle Zentrum für Tanz, Kunst und Meditation liegt auf Big Island. Vor allem jüngere Menschen kommen hierher, so auch Angela aus der Schweiz.
    "Ich wollte schon immer mal nach Hawaii. Über Internet habe ich dann recherchiert und was ich machen wollte war ebenso ein worktrade, also arbeiten im Garten oder in der Küche und dann hat mich hier interessiert die Körperarbeit, also Lomi, und dann Yoga und so habe ich mich beworben."
    Der schonende Umgang mit der Natur, die kulturelle Weiterbildung und die Nachhaltigkeit sind wichtige Grundsätze im Kalani Resort. Die Non-Profit Organisation bietet ein Volunteer-Programm. Bedeutet vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Etwa 100 Dollar pro Tag kostet dann der Aufenthalt, bei voller Kost und Logis. Volunteer ist auch Angelo. Der Bankjurist aus Österreich macht im Kalani Resort eine Auszeit. Für ihn gibt es auf der Vulkaninsel Big Island mit drei Vulkanen, davon ein aktiver Vulkan, eine besondere Energie.
    Fern von der normalen Welt
    Angelo: "Und außerdem der Wald, der Urwald auf dem Gelände, wo wir sind, hat eine ganz langjährige Geschichte, wie man mir erzählt hat, geht Jahrhunderte zurück und das merkt man. Viele von denen, die hier herkommen sind auf einer spirituellen Reise. Auf der Suche nach sich selbst, nach einem anderen Leben, nach Veränderung und das kommt ganz stark im Umgang miteinander rüber. Der Ort verursacht Aktionen, Gedanken und Emotionen, die man in der normalen Welt so nicht erleben würde."
    Begriffe wie Kirche oder Religion hört man im Kalani Retreat nur selten oder gar nicht. Bei den täglichen Treffen geht es um die gemeinsame Arbeit, um das Leben in der Gemeinschaft und um gemeinsame Aktivitäten.
    Angela sagt: "Es ist eine Wertegemeinschaft. Weil, bevor man hierher kommt, muss man gewisse Werte respektieren. Aber es ist eine sehr offene Wertegemeinschaft. Jeder ist willkommen - unabhängig von Alter, Herkunft, Rasse, Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung - und man versucht auch zu zeigen, dass man das im alltäglichen Leben wahrnimmt und respektiert."
    1974 wurde die Non-Profit Organisation von Richard Koob und seinem damaligen Freund Ernest Morgan gegründet. Bis vor 10 Jahren war Richard Koob Direktor im Kalani Honua Resort. Zuvor war er Tänzer und Model in New York und Paris, dann Maler und Kunstlehrer. Er erzählt: "Kalani bedeutet Himmel und Honua bedeutet Erde. Beide zusammen ist eine Harmonie."
    Weniger Arbeit, mehr Genuss
    Morgens in der früh um 6 Uhr beginnt die Arbeit in der Küche des Kalani Resorts. Durchaus sehr anstrengend, sagt Angela. Mit einem kirchlichen Jugendlager würde sie aber nicht tauschen wollen.
    Angela: "Ja es ist hier viel freigeistlicher und nicht so regide und ich war auch bei den Maltesern in Frankreich, wo man sich dann ewig lang anstehen musste beim Essen und das ist hier schon ein anderer spirit hier, dass hier alle, die hier ankommen, sehr freundlich begrüßt werden, mit einem Ankunftsritual oder mit einer Sitzung."
    Neben zahlreichen Tanz-, Yoga- und Lomilomi-Massage-Angeboten, gibt es in Kalani auch eine Schreibwerkstatt. Und natürlich spirituelle Angebote, so auch Kurse zum Thema Schamanismus. Der hawaiianische Schamanismus steht ganz unter dem Aloha Spirit, was soviel bedeutet wie "Liebe", "Zuneigung", "Mitgefühl" oder "Sympathie.
    Die spirituellen Coachings im Kalani Resort leitet Stewart Blackburn, der lange bei dem bekannten hawaiianischen Schamanen Serge Kahili King gelernt hat. Stewart Blackburn lebt wenige Kilometer neben dem Kalani Retreat in einer Holzhütte inmitten eines riesigen Gartens mit zahlreichen Palmen. Ein Seminar von Stewart Blackburn trägt den Titel: "The Healing Power of Pleasure." Die heilende Kraft der Freude oder anders übersetzt: Die heilende Kraft des Genusses.
    Stewart Blackburn: "Freude oder Genuss ist ein allgemeiner Begriff für alle Dinge die uns gut fühlen lassen. Wir haben kein besseres Wort, um all das zu beschreiben, was uns Gutes fühlen lässt. Deswegen benutze ich diesen Begriff 'pleasure'. Also es geht darum, die Dinge zu tun, die uns ein gutes Gefühl geben. Dabei gibt es so viele Philosophien, die uns sagen wollen, wie wir leben sollten. Nichts davon macht Sinn, wenn es nicht um Spaß, Liebe und Freude geht. Warum überhaupt damit beschäftigen? Denn wenn es in deinem Leben also nicht um Spaß, Liebe und Freude geht, dann stellt sich die Frage, warum machst du das überhaupt? Wir arbeiten hart, um Geld zu verdienen. Das geben wir dann aus, um uns so Freude und Genuss zu verschaffen. Aber wenn wir nicht so hart arbeiten würden und nur unsere Leben genießen würden, könnten wir viel schneller genießen."

    Suche als Abenteuerreise

    Karin aus Würzburg ist zum zweiten Mal bei einem Seminar von Stewart Blackburn. Für die Heiltherapeutin stellen sich bei den Workshops immer wieder neue Fragen, "die er beantwortet auf eine sehr überzeugende und freilassende Art und Weise", sagt sie. "Diese Übungen, die er macht - imaginative Reisen, Entspannungsreisen - es geht immer um Bilder und Gefühle, die dabei auftauchen. Überhaupt, das überzeugendste bei dieser ganzen Arbeit ist, diese Haltung, ich kann ändern, wenn ich ändern möchte."
    Bei der Schamanischen Spiritualität geht es nicht um eine Gottheit oder um eine allgemeingültige Wahrheit. Vielmehr sollen eigene Fähigkeiten neu entdeckt werden. Eine Art Coaching, aber auch eine Sinnsuche. Das Kalani Retreat ist keine Seltenheit: Institutionen, Dogmen oder absolute Wahrheiten werden von vielen Menschen abgelehnt. Retreats auf Hawaii, Selbsterfahrungstrips durch Australien, eine Reise zum Schamanen im Amazonasgebiet - die spirituelle Suche wird zur großen Abenteuerreise. Die Gretchenfrage nach der Religion wird nicht mehr so eng gesehen. Vielmehr geht es um eigene Fragen und eigene Antworten. Die Grenzen verschwimmen zwischen Wellness und Spiritualität.