

"Früher wusste kein Mensch, wo Tabo überhaupt liegt. Jetzt heißt es: Oh Tabo, da gibt es dieses tausend Jahre alte Kloster."
"In Delhi oder Mumbai ist es so heiß im Sommer. Bei uns ist das Wetter dann sehr mild, deshalb kommen sie, um sich zu erholen. Und Spiti ist auch ein sehr spiritueller Ort, sehr ruhig und friedlich."
Nicht immer verhalten sich die Besucher – Inder wie Ausländer – jedoch so, wie sie sollten. Der Mönch Dhrakpa Lhönden spricht einige Probleme an.
"Es ist verboten, im Inneren des Klosters zu fotografieren, denn die Wandmalereien sind 1000 Jahre alt. Sie sind mit Kräuter- und Mineralfarben gemalt. Licht und Blitzlichter von Kameras können ihn schaden. Manche Touristen sind verrückt, wissen Sie. Man erklärt ihnen das am Eingang und dann gehen sie in den hinteren Teil der Gebetshalle und fotografieren trotzdem. Im Sommer, wenn 20, 30 Besucher auf einmal kommen, ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Wenn man schimpft, dann sagen die Touristen: Oh, dieser Mönch ist so schlecht gelaunt. Ein Mönch sollte ja immer gleichmütig sein. Ich erkläre es ihnen dann noch mal ganz in Ruhe und die meisten sagen dann: Oh, ok, Entschuldigung."
Es ist nicht nur das Kloster, auf das die Einheimischen besonders achten müssen. Oberhalb von Tabo gibt es auch mehr als 30 Höhlen, die in den lehmigen Berghang gemeißelt wurden.
"Vor 1000 Jahren lebten die Menschen darin. Und danach wurden sie lange Zeit zum Meditieren verwendet. Vor ein, zwei Jahren haben wir plötzlich bemerkt, dass einige Touristen dort Feuer gemacht, Parties gefeiert und Alkohol getrunken haben. Sie campen dort und hinterlassen ihren Müll. Einige unserer Jugendlichen haben das auch gemacht. Das fanden wir sehr schlimm. Dieser Ort ist heilig. Jetzt sitzen da im Sommer immer zwei Leute, die aufpassen."
Manche in Spiti befürchten, dass der Tourismus die Region stark verändern und ihr daher mehr schaden als nutzen könnte. Die wachsenden Besucherzahlen haben zum Beispiel auch Geschäftstüchtige aus anderen Teilen Indiens angelockt. Per Gesetz dürfen Auswärtige eigentlich keine Häuser und kein Land in Spiti kaufen. Das soll der Kommerzialisierung des Tals entgegenwirken und die Einheimischen und ihre Kultur schützen. Doch sind in den letzten Jahren zahlreiche Geschäftsleute aus anderen Teilen Indiens nach Spiti gekommen, sagt Sunil Sharma. Der 27-Jährige stammt aus Shimla, der Hauptstadt des Bundesstaats Himachal Pradesh, zu dem auch Spiti gehört:
"Einige kommen aus Delhi oder Mumbai und betreiben hier Hotels und Gästehäuser. Das wird immer mehr. In den kommenden zehn Jahren werden wir noch mehr Leute sehen, die hierher kommen um ein Geschäft zu machen."
"Diese Leute kommen nur einmal als Touristen hierher. Und beim nächsten Mal treten sie als Reiseführer auf und leiten eine große Reisegruppe. Sie kennen sich hier nicht aus, sie kennen die Kultur nicht und sie wissen auch nicht, wie sie hier in den Bergen fahren müssen, so wie wir einheimischen Fahrer."
Unter indischen Touristen sei es inzwischen schick, ein bisschen Abenteuer zu suchen, sagt Sharma.
"Sie kommen hierher, um Fotos zu knipsen: Schaut her, wir waren in Spiti. Es ist eine Mode jetzt, mit dem Motorrad hierherzufahren und Selfies zu machen. Sie nehmen unnötige Risiken in Kauf, aber wissen nicht, wie sie sich hier in den Bergen verhalten müssen."
Sharmas Beschreibung passt ziemlich gut auf Besucher wie Jayant Sidana und seinen Freund Subrath Jaina. Die beiden kommen aus Delhi und sind an einem Sonntagabend in einem großen Einkaufszentrum der indischen Hauptstadt unterwegs. Jayant Sidana ist Fotograf von Beruf, Jaina ein passionierter Hobbyfotograf. Jedes Jahr unternehmen sie eine Reise in eine der besonders fotogenen Regionen Indiens, in 2016 und 2017 waren sie in Spiti. Aber so richtig genossen haben sie es nicht. Beide Male gingen viele Dinge schief und Jaina wurde sogar höhenkrank.
"Unser Wagen hatte eine Panne, wir haben unterwegs nichts zu essen gefunden, so vieles ging schief. Wir hatten einen Fahrer aus Delhi angeheuert. Er hat jedes Mal, wenn Wasser aus dem Hang über die Straße lief, darauf bestanden, dass wir alle aussteigen, bevor er da durchfährt. Das ist auf der Strecke sieben, acht Mal passiert und hat uns ziemlich genervt. Dann funktioniert in Spiti vieles nicht: Die Bankautomaten, man kann nicht mit Karte zahlen, sondern muss immer Bargeld dabeihaben. Auch das Mobilfunknetz ist schlecht. Man kann niemanden erreichen. Und einige unserer Gruppe sind höhenkrank geworden. Da haben sie so viel Geld ausgegeben, um dorthinzufahren, aber hatten nichts davon."
Angesichts solcher Ansprüche prallen in Spiti Welten aufeinander. Wie viel kann die kleine Region mit nur 11.000 Einwohnern insgesamt da verkraften? Der Tourismus ist eine zweischneidige Sache, finden auch viele Einheimische. So auch Dechen Lhöndrub, der in seinem Haus ebenfalls eine kleine Herberge unterhält und zudem als Touristenführer arbeitet.
"Es war für mich schwierig, eine Arbeit zu finden. Aber ich war früher Mönch und hatte einen ganz guten Kontakt zu Reiseagenturen von außerhalb. So kann ich ihnen Einiges über den Buddhismus und unser Kloster erklären. Aber die vielen Fahrzeuge belasten unsere Umwelt und schrecken die Wildtiere auf. Es gibt heute Firmen, die hier Auto - und Motorradrallys veranstalten. Diesen Winter habe ich eine Bergtour geführt, um Schneeleoparden zu beobachten. Doch plötzlich kamen da ungefähr 20 Motorräder und Geländewagen. Da war so ein Krach. Das ist nicht gut für unsere Wildtiere."
Aber nicht nur der Tourismus wandelte das vormals abgeschiedene Leben in Spiti; auch der Einzug moderner Technik, neuer Maschinen und Anbaumethoden in der Landwirtschaft sorgten für große Veränderungen. Und auch diese Entwicklung birgt Vor- und Nachteile, meint Dechen Lhöndrup.
"Früher hatten wir hier große wirtschaftliche Probleme. Die Bauern hatten nur Kartoffeln zum Verkaufen. In 1995 begannen die Leute, Äpfel zu pflanzen. Die bringen viel Geld, denn gerade in dieser Höhe sind sie sehr fest und saftig. Und durch den Klimawandel können wir jetzt schon im März mit dem Pflanzen beginnen. Jetzt ist hier alles Mögliche von außerhalb erhältlich: Reis, Linsen, Gemüse."

"Schafe und Ziegen schaden den Apfelbäumen. Deshalb haben wir alle zusammen entschieden, die Tiere zu verkaufen. Die Nomaden-Tradition ist damit verloren gegangen. Man sieht heute kaum noch Ziegen und Schafe hier."
Angesichts der großen Veränderungen in nur wenigen Jahren machen sich viele im Ort inzwischen Sorgen um den Erhalt der Kultur, sagt Dechen Lhöndrub.
"Sie wird sich sehr verändern. Die Leute heutzutage haben nur noch Geld im Kopf. Wenn sie erst mal Geld in die Hand bekommen, kümmern sie sich nicht mehr so sehr um die Religion und die Kultur."
Lange hat sich niemand Gedanken darüber gemacht, dass die alte buddhistische Kultur von Spiti etwas ist, das schützenswert ist und verloren gehen könnte. So wurde auch die eigene Sprache des Tals, ein Dialekt des Tibetischen, vernachlässigt. In der einzigen Schule, einer staatlichen, wurde sie kaum unterrichtet, denn dort kamen die meisten Lehrer aus anderen Teilen Indiens und sprachen nur Hindi und Englisch.
"Manche Kinder wurden, als sie noch sehr klein waren, außerhalb zur Schule geschickt, in eine Schule, wo sie nur Hindi gelernt haben. Für sie ist es heute schwierig, ihre eigene Sprache überhaupt zu sprechen. Da haben wir sehr viele, denen es so geht."
Der Abt des Klosters von Tabo hat vor einigen Jahren eine Schule gegründet, in der neben moderner Bildung viel Wert auf die eigene Kultur und Sprache gelegt wird. Die Gebäude sind im gleichen Stil gehalten, wie die traditionellen Häuser: weiß getüncht, mit schwarz umrandeten Fenstern. Die Schule bietet ein Wohnheim, sodass auch Kinder aus entfernteren Orten des Tals dorthingehen können. Einer der Lehrer ist Lobsang Dorje, der früher ebenfalls ein Mönch war.
"Unsere Sprache Bhoti gerät seit Jahren mehr und mehr in Vergessenheit. Sprache ist ein starkes Element einer Kultur. Ohne sie geht die Kultur verloren. Wir mischen sehr viel Hindi in unsere gesprochene Sprache. Das fällt mir sogar bei mir selbst auf. Ich befürchte, dass sich das in den nächsten zehn Jahren oder so noch weiter verstärkt. Deshalb legen wir hier besonderen Wert auf unsere Sprache. Neben den normalen Fächern wie Hindi, Englisch und Mathematik bringen wir den Kindern auch unsere Lieder und Tänze bei."
Lobsang Dorje macht sich Sorgen um seine Kinder und Jugendlichen, denn sie hätten kein Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, die eigene Kultur zu bewahren. Sie lassen sich zu sehr von technischen Spielereien ablenken findet er. Und das sogar in dieser abgelegenen Gegend, wo es bisher kein Internet gibt.
"Die Kinder heutzutage spielen immer mit ihren Telefonen und schauen Trickfilme im Fernsehen. Erst wenn sie mit 13, 14 Jahren diese Schule abschließen und dann außerhalb des Tals auf eine weiterführende Schule gehen, erkennen sie, dass sie kaum etwas über ihre eigene Kultur wissen und sagen sich: Oh, unser Lehrer hatte Recht. Warum haben wir nicht besser aufgepasst."

"Wir können uns mit den Besuchern austauschen und ihnen unsere Kultur näherbringen. Neue Menschen kennenzulernen, gibt uns die Chance, etwas über die Welt da draußen zu erfahren. Und das Internet könnte uns mehr mit der Welt verbinden, wir könnten so viel davon lernen. Jetzt sind wir da ziemlich beschränkt."
Um die uralte Kultur und ihre Eigenheiten zu schützen, haben die Bewohner von Spiti Kulturvereine gegründet, erzählt Dechen Lhöndrup, der Herbergsbesitzer. Im Winter, wenn die Leute viel Zeit haben, setzen sie sich zusammen und singen ihre alten Lieder und diskutieren über den Buddhismus.
"Wir versuchen, die alten Melodien und Texte auswendig zu lernen, um sie zu erhalten. Es gibt auch diese Tradition der wandernden Sänger aus dem Pin-Tal. Puchen heißen sie. Sie wandern von Dorf zu Dorf und führen eine Art Theater auf und bringen den Zuschauern dadurch die buddhistischen Lehren näher. Vor ein paar Jahren gab es nur noch drei dieser Puchen, jetzt gibt es wieder elf Puchen. Manchmal organisieren wir hier in einem der Hotels auch eine Aufführung für die Besucher."
Dechen Lhöndrubs Beispiel zeigt, dass Moderne und Kulturerhalt kein Widerspruch sein muss, sondern, dass sich Tourismus und Tradition sogar gegenseitig befruchten können.