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Spitzensport-Studie
Schmerz gehört zum Geschäft

Über fünf Jahre haben Forscher der Uni Tübingen unter anderem den Umgang mit Krankheit und Schmerzen im Spitzensport untersucht. Projektleiter Ansgar Thiel kommt zu dem Schluss: Schon junge Spitzensportler werden in eine "Kultur des Schmerzes" hinein sozialisiert.

Andrea Schültke im Gespräch mit Ansgar Thiel |
    "Gesundheit, wie wir sie kennen aus unserem normalen Alltag, ist für Spitzensportler vielleicht in ihrer Privatheit relevant, aber insgesamt gesehen, wenn man das gesamte System anschaut, ist Gesundheit tatsächlich etwas anderes", stellt der Sportwissenschaftler fest. Auch der Umgang mit Schmerz sei anders, als im normalen Leben.
    Junge Spitzensportler entwickelten bereits in der Ausbildung die Fähigkeit, zwischen "guten" und "schlechten" Schmerzen zu unterscheiden. Dabei sei der für die Sportler "gute Schmerz" Normalität: Die meisten im Rahmen der Studie befragten Athleten hätten gesagt, sie hätten jeden Tag Schmerzen. "Wenn irgendjemand dasitzt und er spürt überhaupt keinen Schmerz, ist er meistens der Meinung, er hat nicht richtig trainiert, also irgendwas stimmt nicht", so Thiel im Deutschlandfunk.
    Junge Sportler würden bereits recht früh in eine "Kultur des Schmerzes" hineinsozialisiert. Die Athleten lernten sehr früh, wie man im Spitzensport mit Schmerzen umgehen müsse, nämlich sie zunächst zu ertragen. Das könne aber auch zu einem Risikofaktor für die Sportler werden, beispielsweise, wenn sie massive Beschwerden verheimlichen.
    In dieser "Kultur des Risikos" sei es gerade für Eltern nicht einfach, gravierende Probleme von außen zu erkennen. Mit Blick auf die Betreuer sagt Thiel: "Schmerz als Zustand wird erst dann negativ relevant für Trainer, wenn er leistungsmindernd ist."
    Die Studienautoren arbeiten mit Sportverbänden zusammen und lassen ihre Erkenntnisse beispielsweise mit in Workshops einfließen. Aus Sicht des Projektleiters ist für ein gutes Gesundheitsmanagement im Leistungssport besonders die Kommunikation wichtig: "Wenn Trainer kein offenes Klima haben, in dem es dem Athleten erlaubt ist, über Schmerzen und psychische Beschwerden zu sprechen, dann ist das ein riesiges Risiko", so der Sportwissenschaftler.
    Das vollständige Gespräch können Sie bis mindestens 28. Dezember 2014 als Audio-on-demand abrufen.