Archiv


Sport-Chronik der Wende

Nachdem im Spätsommer 1990 die politischen Weichen zur deutschen Vereinigung längst gestellt waren, gab es am 17. August 1990 auch sportpolitisch grünes Licht: Mit den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees West, Willi Daume, und des NOK-Ost, Joachim Weiskopf traf sich seinerzeit IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch.

Von Jens Weinreich |
    "Wie viele andere Menschen habe auch ich geglaubt, dass die Vereinigung Deutschlands eines Tages kommen werde. Dies war in der Vergangenheit ein künstlicher Zustand. Nun bin ich nach Berlin gekommen und erlebe hier den bevorstehenden Zusammenschluss der beiden deutschen Olympischen Komitees. Darüber bin ich sehr froh und zufrieden."

    In den Chroniken wird der 17. November als eigentlicher Vereinigungszeitpunkt geführt. Dieser Besuch von Samaranch war quasi der Durchbruch. Der höchste Funktionär des Weltsports hörte sich an, was die Funktionäre beider deutscher NOK ausgehandelt hatten – und nickte ab. Walther Tröger, damals NOK-Generalsekretär und IOC-Mitglied, erinnert sich:

    "”Dass damals Samaranch eingeladen wurde und auch sofort zugesagt hatte, zu kommen, damit das mit ihm erörtert wird, war klar. Da wir ja auch von beiden Seiten eigentlich schon sehr deutlich darauf fixiert waren, dass wir eine Vereinigung herbeiführen wollen. Eine Vereinigung nach Kriterien, die wir dann auch mit Samaranch erörtert haben, hat Samaranch eigentlich nur noch seinen Segen dazu gegeben, er hat gar keinen Einfluss darauf genommen. Denn die politische Lage war auch für ihn eindeutig.""

    Tröger hatte sich schon im März mit Joachim Weiskopf getroffen, als der Leipziger Sportfunktionär noch nicht einmal Präsident des DDR-NOK war. Als Weiskopf dann im Juni gewählt wurde, waren Vereinigung und gemeinsame Olympiamannschaft wichtigste Aufgaben. Weiskopf sagte beim Samaranch-Besuch:

    "Wir sind besonders dankbar, dass Herr Samaranch uns grünes Licht gegeben hat mit der Bemerkung, es bestehe großes Vertrauen in die beiden deutschen NOKs und es würde vom IOC jede vernünftige Regelung diesbezüglich akzeptiert."

    In jenen Tagen hatten sich etliche Sportler aus Ost und West sehr kritisch zur gemeinsamen Mannschaft geäußert. Sie fürchteten schlicht um ihre Startplätze. Und Willi Daume, NOK-Präsident West, erinnerte an die Zeit der gesamtdeutschen Olympiaausscheidungen in den fünfziger und sechziger Jahren:

    "Das war ja so, als ob der Sport seine eigenen Kinder fressen würde. So war die Rivalität, die Feindschaft, die ideologische Feindschaft. Das ist ja nun alles anders. Heute wollen im Gegensatz zu früher beide Teile die gemeinsamen Mannschaften. Heute sind im Gegensatz zu früher keine ideologischen Hindernisse mehr. Es gibt keinen Sieg über den Kommunismus auf unserer Seite und keinen Sieg über den Kapitalismus auf der anderen Seite als sportliche Ziele."

    Über die Vereinigung der NOK ist einige Jahre debattiert worden, etwa darüber, wie das Vermögen des DDR-NOK verwendet wurde. Oder über die Übernahme von Stasi- und dopingbelasteten Personen als persönliche Mitglieder und als NOK-Mitarbeiter, wie etwa Wolfgang Gitter, Generalsekretär des DDR-NOK.

    Das sei in jenen Tagen alles etwas zu viel gewesen, sagt Walther Tröger, der bis heute meint, er habe mit seinen Mitarbeitern die Aufgaben bestens gelöst:

    "Wir haben uns damit eigentlich noch gar nicht befasst, weil das ja Neuland für uns war. Wir wussten, dass so etwas passiert war. Aber wir haben ja auch sehr deutlich gemacht: Es gibt eine Karenzzeit für diese neu vereinbarte Mitgliedschaft. Mit Gitter habe ich einen Vertrag abgeschlossen, in dem drin stand, ich will das ganz kurz machen: Wenn sich hinterher herausstellt, das er belastet war, er sagte, er wäre nicht belastet, wäre das ein Grund gewesen zur fristlosen Kündigung. Wir haben die Akten bekommen, als er schon ausgeschieden war, insofern war das also gar kein Thema mehr für uns."

    Blieb noch die Personalie Günther Heinze. Der Kurzzeit-Präsident des DDR-NOK war Mitglied des IOC. Und noch im September 1990 sagte er im Sportgespräch des Deutschlandfunks, er werde das wohl noch lange bleiben.

    "Dann so glaube ich, werde ich der Botschafter sein oder einer der Botschafter, muss man jetzt hier wohl besser sagen, des Internationalen Olympischen Komitees in einem einheitlichen Deutschland."#

    Wenig später aber machte ihm Daume klar, dass es besser sei, die IOC-Mitgliedschaft aufzugeben. Denn Heinze, der Altkader, gefährdete die Karriere eines aufstrebenden West-Kaders: des ehemaligen Fechters Thomas Bach. So gab Heinze zur nächsten IOC-Session 1991 in Birmingham seinen Sitz frei – und ebnete Bach den Weg ins IOC. Walther Tröger:

    "Das hat Willi Daume gemacht, mit Günther Heinze. Wie das genau abgelaufen ist, weiß ich nicht. Aber sicherlich angemessen. Günther Heinze ist ja dann weiter Mitglied geblieben im IOC, wurde dann auch Ehrenmitglied. Das ist von uns akzeptiert worden. Das war ein Vieraugengespräch, von dem ich informiert war, zwischen Daume und Samaranch. Und ich glaube, das war schon eine noble Lösung."

    Im Rückblick hören sich die Personalrochaden schon etwas abenteuerlich an und zeigen einmal mehr, dass keine Wahlen, sondern private Abmachungen über eine IOC-Karriere entscheiden. Achtung, aufgepasst, Sportpolitik für Feinschmecker:

    "Als wir uns einig waren, dass der Nachfolger von Berthold Beitz Walther Tröger heißt, hat Daume darauf bestanden, dass man auch darüber nachdenkt, wie seine Nachfolge geklärt wird. Daume hat ja gewünscht, dass er bereits im Jahr 1990 abtritt und dass dann Bach für ihn dran kommt. Das hat Samaranch abgelehnt. Daume ist dann 1991 zurückgetreten, und dann war Bach Kandidat und ist auch gewählt worden. Und das war ein Gespräch, was wir 1989 auf der Villa Hügel mit Beitz und Daume und Samaranch geführt haben, ich war dabei, wo das eigentlich langfristig festgelegt wurde. Und da war die Causa Heinze eigentlich gar kein Hinderungsgrund."

    Günther Heinze ist gewissermaßen der letzte Vertreter des DDR-NOK: Er ist bis heute IOC-Ehrenmitglied.