Freitag, 19. April 2024

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US-Klimaforscher Roger Pielke
"Sportverbände sollten Klimaschutz politischer angehen"

CO2-Kompensationen werden den Klimawandel nicht aufhalten, so Umweltforscher Roger Pielke im Dlf, sondern technischer Fortschritt und politische Entscheidungen. Sport-Organisationen könnten in der Aufklärung eine entscheidende Rolle spielen.

Roger Pielke im Gespräch mit Maximilian Rieger | 10.04.2023
Eine Werbung für Klimaneutralität im Stadion des FC Zurich.
Eine Werbung für Klimaneutralität im Stadion des FC Zurich (IMAGO / Geisser / IMAGO / Manuel Geisser)
Im Vergleich zu Industrie oder Transportwesen sei der Beitrag des Sports zum Klimawandel eher gering, sagt Umweltforscher Roger Pielke von der Universität in Boulder, Colorado. Die Gefahr von Greenwashing im Sport sei deswegen hoch, sagt er. Denn die Klima-Aktionen der Sport-Organisationen hätten einen eher geringen Einfluss auf den Klimawandel.
Das sei gefährlich, denn diese Aktionen könnten den Blick auf das verklären, was wirklich wichtig sei. Und das seien laut Pielke neue Technologien und vor allem politisches Handeln.
Das bedeute zwar nicht, dass sich der Sport in politische Entscheidungen einmischen solle. Der Sport könne jedoch seine Reichweite nutzen, um über wirklich effektive Maßnahmen aufzuklären. "Menschen sollten darauf aufmerksam gemacht werden, wo der größte Ertrag liegt. Das ist der Punkt, wo Sport-Organisationen mit Geopolitik konfrontiert werden", sagt Pielke.

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Maximilian Rieger: Herr Pielke, welchen Einfluss hat der Sport überhaupt auf das Klima?
Roger Pielke: Wenn wir über den Klimawandel sprechen, der real und ein großes Problem ist, dann ist unser Instinkt, dass wir sagen: Wir brauchen alle Hände an Deck. Alle müssen etwas beitragen. Und die Rolle des Sports ist interessant. Denn der Sport nimmt sehr viel Raum in unserem Denken und unserer Aufmerksamkeit ein.
Aber die Realität ist: Der Sport ist nur ein sehr kleiner Teil der Welt-Wirtschaft. Sport ist nicht wie die Industrie, wie das Transportwesen, wie die Landwirtschaft. Wenn man das durchrechnet und sich die Emissionen des Sports anguckt – das erste was Menschen dann sehen: Oh wow, das ist ziemlich wenig im globalen Vergleich!
Wenn Sport-Organisationen dann sagen, wir wollen unseren CO2-Fußabdruck verringern, wir wollen zur Nachhaltigkeit beitragen – das ist alles schön und gut, aber die Gefahr von Greenwashing ist sehr groß. Also die Idee, dass sie zwar sehr schöne Dinge sagen, aber die Auswirkungen sehr gering sind.
Klimaforscher Roger Pielke von der Universität Colorado.
Klimaforscher Roger Pielke von der Universität Colorado. (imago / UPI Photo / imago stock&people)

Pielke: "Ich bin sehr besorgt über Greenwashing"

Rieger: Aber wenn man sich zum Beispiel die Fußball-WM in Katar anguckt. Der CO2-Fußabruck von dieser Veranstaltung war größer als der jährliche Fußabdruck von 68 Ländern, und das ist schon die konservative Rechnung der FIFA. Also diese Events sind sicher nicht der einzige und wichtigste Schuldige, aber sie spielen eine Rolle, oder?
Pielke: Ja, natürlich, jeder kleine Schritt hilft. Aber was diese Statistik aussagt: Es gibt eine Menge kleiner Länder auf dieser Welt. Und es gibt viele Länder mit einem kleinen CO2-Fußabdruck, weil es dort keine Industrie gibt, weil es dort keinen Zugang zu Elektrizität gibt, die arm sind. Das ist also eher eine Aussage über die globale Entwicklung als über die FIFA oder Katar.
Man kann es auch so betrachten: Es gibt viele Infrastruktur-Projekte auf der Welt, Stadien eingeschlossen. Menschen reisen. Reisen machen jeden Tag 1,5 Prozent der Emissionen aus. Aber sagen wir einfach mal, wir schaffen den Profi-Sport ab. Weltmeisterschaften, Olympia, Profi-Ligen. Breitensport, schaffen wir den auch ab. Und dann wachen wir morgen auf. Das Klima-Problem wäre genau das gleiche wie heute.
Es ist also eine zwiespältige Botschaft. Ja, natürlich brauchen wir jeden an Bord. Aber wir brauchen einen Einfluss auf die Politik, der den größten Nutzen bringt. Wenn wir den Klimawandel verlangsamen wollen, dann sollten wir uns auf die Schritte konzentrieren, die den größten Effekt haben, nicht auf solche, die am sichtbarsten sind oder die sich gut anfühlen.
Deswegen bin ich sehr besorgt über Greenwashing, weil Greenwashing uns ablenkt von den Entscheidungen, die einen viel größeren Einfluss haben, aber vielleicht nicht so sexy sind, wie zum Beispiel über die Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele zu reden.

"Kompensationszahlungen sind Greenwashing"

Rieger: Was ist denn für Sie Greenwashing und wie könnten Sport-Organisationen sich ernsthaft für den Kampf gegen den Klimawandel engagieren?
Pielke: Ein gutes Beispiel für Greenwashing sind Kompensations-Zahlungen. Wenn Menschen zum Beispiel reisen, dann sehen sie das. Man kann auf einen Knopf drücken, 15 Euro zahlen und dann steht da, man hat seine CO2-Emissionen kompensiert. Das ist Greenwashing, weil es uns das Gefühl gibt, etwas getan zu haben, aber die meisten Studien zeigen, dass Kompensationen kein Weg in Richtung einer dekarbonisierten Wirtschaft sind. Das ist also ein Beispiel.
Und wenn dann Sport-Organisationen sagen: Oh, wir sind klimaneutral und man guckt sich das Kleingedruckte an und da steht dann, sie haben jemanden in Indonesien dafür bezahlt, um einen Baum zu pflanzen – dann ist das eher eine Frage der Buchhaltung und nichts, was wirklich Einfluss auf die Welt hat. Meine Sorge bei Greenwashing ist: Wir fühlen uns, als ob wir etwas getan haben, aber draußen in der wahren Welt ist nichts passiert.
Lassen Sie uns über die Mega-Events sprechen, Weltmeisterschaften, Olympische Spiele, die an verschiedenen Orten stattfinden. Es gibt viele Diskussionen darüber, welches Erbe diese Mega-Events hinterlassen. Und da wird es sehr schnell sehr kompliziert.
Und es ist wichtig zu verstehen, dass sich die Auswirkungen von Sport nicht nur auf Kohlenstoffdioxid beschränken. Wenn zum Beispiel eine neue Metro gebaut wird, die das Event überdauert – dann könnten die Folgen für die Menschen vor Ort und die Nachhaltigkeit viel größer sein als einfach nur CO2-Moleküle zu zählen.

"Die Klimakrise wird durch Technologien gelöst werden"

Rieger: Kann man versuchen, die öffentliche Meinung zu ändern? Wenn wir uns zum Beispiel den Profi-Sport ansehen, gerade den Fußball, dann sehen wir Sponsorenverträge mit Fluglinien, mit Öl-Konzernen, mit Auto-Herstellern, die alle eine große Bühne bekommen um ihre Produkte zu bewerben, die oft klimaschädlich sind. Eine Studie des britischen Think Tanks New Weather Institut hat das als „Normalisierung eines verschmutzenden Lebensstils“ genannt. Haben Sport-Organisationen eine Verantwortung, das zu ändern?
Pielke: Nun, es gibt eine große Debatte in der Umwelt-Gemeinschaft darüber, inwiefern einzelne Lifestyle-Entscheidungen tatsächlich das Klima beeinflussen können. Die Statistik, die ich wichtig finde, zu verstehen: Es gibt weltweit ungefähr drei Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu Elektrizität in den Maße haben, wie Sie und ich in Europa und Nordamerika, die aber hart daran arbeiten, diesen Zugang zu bekommen.
Und ich sage meinen Studenten immer: Wenn es sich richtig anfühlt, dann macht es. Aber rechnet nach und versteht, dass unsere individuellen Entscheidungen in den entwickelten Ländern in Zukunft nicht ausschlaggebend sein werden. Die Realität ist: Menschen lieben Sport, sie mögen es, zu reisen, sie mögen es, am Wochenende Fußball-Spiele zu besuchen und sie nehmen dafür den Zug, das Flugzeug oder das Auto.
Das Verhalten von großen Mengen von Menschen zu verändern – es wird versucht. Aber in der Realität wird das CO2-Problem durch Technologien gelöst werden. Technologien, wie wir Energie herstellen, also Wind, Solar, Atomkraft, Geothermie und wie wir Energie nutzen. Diese Änderungen sind leichter zu beeinflussen als den Lebensstil von Milliarden von Menschen zu verändern.
Rieger: Können Sport-Verbände diesen Wandel fördern?
Pielke: Das erste, was Sport-Verbände tun sollten, wäre, die Größe des Problems zu verstehen und welche Änderungen einen Unterschied machen. Sport-Organisationen werden nicht sagen: Wir wollen weniger Spiele ausrichten. Der DFB wird nicht einfach den DFB-Pokal absagen wegen des Klimas. Die FIFA spricht darüber, mehr Weltmeisterschaften auszurichten.
Es wird den Sport also weiter geben und Sport-Organisationen werden nicht entgegen ihrer Interessen arbeiten – und das bedeutet, Menschen in die Stadien und vor den Fernseher zu bekommen, Menschen für den Sport zu begeistern. Gerade wächst der Frauensport, die Aufmerksamkeit wird sich verdoppeln, was eine tolle Sache ist und gut für den Sport ist.
Sport-Verbände müssen also verstehen, dass es Entscheidungen gibt, die einen Unterschied machen können. Einer der größten Schritte wäre, Kohle nicht mehr für Energie zu verfeuern. Menschen sollten darauf aufmerksam gemacht werden, wo der größte Ertrag liegt. Das ist der Punkt, wo Sport-Organisationen mit Geopolitik konfrontiert werden.
Denn in Europa und Nordamerika sinkt der Kohleverbrauch, das ist super. Aber in Indien und China steigt er weiterhin. Wenn Sport-Organisationen also darauf hinweisen würden, wie groß der CO2-Fußabdruck von Kohlekraftwerken ist, würden plötzlich verschiedene Teile der Welt darauf unterschiedlich reagieren.
Es ist also sehr einfach und politisch sicherer zu sagen: Es kommt auf individuelle Handlungen an. Aber Sport-Organisationen sind damit ein bisschen dreist, weil damit nicht der größte Effekt erzielt wird.

Pielke: Die UEFA sollte eine Tabelle zum Kohleausstieg machen

Rieger: Dann nehmen wir mal die UEFA als Beispiel. Sollte die UEFA Ihrer Meinung nach der deutschen Regierung vor der EURO 2024 sagen: Ihr müsst aus der Kohle schneller austeigen?
Pielke: Nun, es gibt einen Unterschied darin, sich für bestimmte politische Entscheidungen auszusprechen oder die Konsumenten aufzuklären. Eine der Sachen, die die UEFA machen könnte, wäre einfach, den Status des Kohleausstiegs in den einzelnen UEFA-Ländern zu veröffentlichen und damit bekannt zu machen. Da kann man eine Tabelle draus machen! Ohne zu sagen, wir mögen Polens Politik lieber als Frankreichs.
Atomkraft ist ein anderes Beispiel, hoch umstritten in manchen Teilen der Welt, hat aber großes Reduktionspotenzial. Sobald eine Sport-Organisation sich an politische Fragen heranwagt – das haben wir auch an dem Ukraine-Krieg gesehen, wird es sehr politisch und Menschen ergreifen Partei. Der Klimawandel ist kein einfaches Problem. Denn es geht dabei um Energie und Energie ist tief verwoben mit der Weltwirtschaft.
Sport-Organisationen müssen sich also zuerst schlau machen und sich dann überlegen, wie sie sich positionieren wollen. Mein Rat wäre: Stellt erstmal sicher, dass ihr die Probleme nicht verschlimmert. Dann kann man die Probleme angehen. Und der Ausgangspunkt wäre: Vernünftige Menschen haben verschiedene Perspektiven darauf, wie man am besten dekarbonisiert. Und das ist ok! Sport-Organisationen können helfen, dass Menschen diese Komplexität verstehen.
Rieger: Wo stehen denn die Sport-Organisationen – sind sie schon schlau genug?
Pielke: Ich glaube, es hat einen Ansturm darauf gegeben, den Eindruck zu erwecken, am grünsten zu sein – nicht nur im Sport. Wo Grün-sein eher ein Marketing-Werkzeug ist und keine Politik oder Aufklärung. Wissen Sie, meine Universität wirbt damit, wie grün ihr Football Stadion ist – und das betrachte ich ein bisschen zynisch. Da geht es mehr darum, mit den eigenen Werten anzugeben als wirklich die CO2-Reduktion voranzubringen, was wirklich wichtig ist.
Ich würde gerne sehen, dass Sport-Organisationen diese Dinge etwas ernsthafter und politischer angehen, und weniger aus einer Marketing-Perspektive. Denn es kann für Menschen verwirrend sein. Wenn die Menschen denken: Ach, ich kompensiere einfach meinen Billigflug von London nach Portugal für ein UEFA-Spiel und damit habe ich den Klimawandel gelöst – so ist es ganz und gar nicht.