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Sportler als Mittäter oder Opfer?

Der SPD-Politiker Peter Danckert ist der Ansicht, dass die meisten gedopten Sportler, die heute über ihren gesundheitlichen Schaden klagen, damals bewusst am Doping mitgewirkt haben. Man habe beim Dopingopferhilfegesetz extra darauf verzichtet, in jedem einzelnen Fall nachprüfen zu lassen, "ob jemand wirklich im kompletten Sinne Opfer war."

Peter Danckert im Gespräch mit Herbert Fischer-Solms | 28.06.2009
    Herbert Fischer-Solms: Am Telefon ist Dr. Peter Danckert (SPD), der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses. Schönen guten Abend, Herr Danckert!

    Peter Danckert: Guten Abend, Herr Fischer-Solms!

    Fischer-Solms: Herr Danckert, am Mittwoch gibt's gerade mal zwei Punkte auf der Tagesordnung: Punkt zwei "Verschiedenes" und Punkt eins lautet, "Unterstützung der Bewerbung von München zur Ausrichtung Olympischer Winterspiele 2018". Erwarten Sie einen heftigen Parteienstreit?

    Danckert: Nein, ich glaube, es wird ein ziemlich einstimmiges Votum geben. Ich habe mich ja vorher mit den Obleuten auch über dieses Thema unterhalten, und ich gehe davon aus, dass alle Fraktionen geschlossen die Bewerbung von München für 2018 unterstützen. An uns wird es also nicht scheitern.

    Fischer-Solms: Beobachter wundern sich ja doch, nur zwei Tagesordnungspunkte an diesem Mittwoch. In der Sitzung davor wurden, ich glaube, es waren 15 Punkte regelrecht durchgepeitscht, darunter das Thema der Dopingtrainer, das seit nunmehr einem Jahr den deutschen Sport ja massiv beschäftigt. Es musste erst öffentlich Druck gemacht werden, um den Ausschussvorsitzenden auf den rechten Weg zu bringen und das Thema behandeln zu lassen. Warum, Herr Danckert, Ihr andauernder Widerstand? Wegen Ihrer oft geäußerten Vorliebe für eine Generalamnestie für DDR-Doper?

    Danckert: Nein, ich hab das ja nicht Generalamnestie genannt, sondern ich persönlich - ich kann ja hier nicht für den Ausschuss sprechen - ich habe immer die Meinung vertreten, dass in dieser Frage alle Fristen verstrichen sind, die man sich denken kann: sportrechtliche Fristen, zivilrechtliche, strafrechtliche Fristen. Und ich bin persönlich der Meinung, dass es uns als Rechtsstaat gut ansteht, wenn wir auch nicht nur moralische Kriterien heranziehen, sondern auch rechtliche Kriterien auf dem Boden der Verfassung die Frage beurteilen, ist nach 20 Jahren noch auch ein rechtlicher Anlass gegeben, um diese Dinge so zu erörtern, wie sie in der Öffentlichkeit angesprochen worden sind. Ich weiß, dass ich da keine Mehrheitsposition habe, aber das hält mich nicht davon ab, weil ich überzeugt bin, dass meine Auffassung in dieser Frage richtig ist.

    Fischer-Solms: Sie kritisieren, alle Termine sind verstrichen, man hat sie verstreichen lassen. Welchen Anteil an diesem Versäumnis hat denn der Sportausschuss?

    Danckert: Also ich glaube, der Sportausschuss hat sich zu allen Zeiten - und wir haben ja am 1. Juli, und das ist auch einer Gründe, weshalb wir nur eine kurze Tagesordnung haben, 40 Jahre Sportausschuss zu begehen, ich könnte beinahe sagen zu feiern. Wir haben ein umfangreiches Programm, also wir sind an diesem Tage nicht beschäftigungslos. Der Sportausschuss hat sich Anfang der 90er-Jahre mit dieser Frage beschäftigt. Ich glaube, man hat damals nicht entschieden genug gehandelt. Insofern will ich die Politik da gar nicht freisprechen, aber es ist eben auch der organisierte Sport selbst gewesen. Die Fachverbände, die auf die gegebenen Anlässe, die Fakten, die man zu der Zeit hatte - ich erinnere, dass in einigen Fällen sogar parallel zu aller Diskussionen Strafverfahren liefen - das hat man damals nicht zum Anlass genommen, entscheidende Schritte gegen die belasteten Trainer zu unternehmen, sondern hat sie weiterbeschäftigt, trotz vieler Bedenken, die geäußert worden sind, auch im Sportausschuss. Aber letztlich ist es ja - und das müssen wir uns immer wieder klarmachen - eine Sache der nationalen Fachverbände und des damaligen Deutschen Sportbundes, an dieser Stelle die Weichen zu stellen. Ich will allerdings auch nicht verschweigen, dass die Arbeitsebene im Innenministerium auch da sehr großzügig hinweggesehen hat.

    Fischer-Solms: Das Urteil des Berliner Landgerichts wegen Beihilfe zur Körperverletzung gegen den ehemaligen DDR-Sportchef Manfred Ewald und den Mediziner Manfred Höppner ist ja am 4. Oktober 2001 dem Sportausschuss als Drucksache Nummer 305 zugestellt worden. Und darin steht die Zeugenaussage der Minderjährigen, Simone Bock, dass sie von dem Trainer Werner Goldmann gedopt worden ist. Diese Unterlagen hat der Sportausschuss. Jetzt sind Sie - das kommt in der Öffentlichkeit so rüber, Herr Danckert - einer der größten Fans von Herrn Goldmann.

    Danckert: Nein, davon kann ja gar keine Rede sein. Ich habe mich zu der Frage geäußert, welche Berechtigung man jetzt noch hat, ihn sozusagen in die Diskussion da reinzuziehen, und ich sehe das nicht nur unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten - darüber kann man ja streiten -, aber die rechtlichen Ansätze sehe ich überhaupt nicht mehr, und das habe ich ganz deutlich gemacht. Ich bin weder mit ihm befreundet noch gut bekannt, noch habe ich in irgendeiner Weise hier ich sag mal anwaltliche Beistandspflichten. Ich sehe das sozusagen als Politiker, der auf dem Hintergrund einer sozusagen ausreichenden rechtlichen Qualifikation seine Bedenken anmeldet. Und ob der Betreffende Goldmann heißt oder wie auch immer, das spielt hier gar keine Rolle. Ich denke, dass es gut ist, wenn man an dieser Stelle - und das habe ich auch im Sportausschuss in der vergangenen Sitzung gesagt -, sich auch über den rechtlichen Hintergrund informiert. Wir leben doch nicht in einem rechtsfreien Raum. Und das ist das, was mich an der Diskussion im Moment stört, dass man immer wieder versucht, dieses Thema aufzunehmen, was ja durchaus auf einer bestimmten Ebene abgearbeitet werden könnte - in Ost und West. Hier ist sozusagen wieder mal aus einem wohlfeilen Anlass eine Osttrainerdiskussion hervorgerufen worden. Man hätte mit guten Gründen auch sich fragen können, wie weit sind Trainer in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland belastet, und diese Aufklärungsarbeit steht uns noch bevor.

    Fischer-Solms: Was unternimmt da der Sportausschuss in Sachen Doping West?

    Danckert: Wir haben auch in dieser Sitzung darauf gedrängt, dass der Auftrag, der über das BISp läuft, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft, immer noch nicht ausgelöst worden ist. Wir haben die Haushaltsmittel dafür über das BMI bereits seit über einem Jahr bereitgestellt, also man könnte das längst machen. Und ich bin sehr verärgert darüber, dass es hier zu einer unnötigen Verzögerung gekommen ist. Dadurch entsteht nämlich der Eindruck, dass es eine letztlich Ost-West-Diskussion wird, die Osttrainer, die kommen wieder sozusagen auf die Tagesordnung, und das, was im Westen an Dopinghandlungen passiert ist, auch durch Trainer, das ist immer noch nicht aufgearbeitet worden.

    Fischer-Solms: Der Bundestag hatte ja im Jahre 2002 ein Dopingopferhilfegesetz beschlossen, demnach haben vom Bundesverwaltungsamt anerkannte Dopinggeschädigte eine Entschädigung in Höhe von insgesamt zwei Millionen Euro erhalten. Es fällt auf, Herr Danckert, dass Sie in der Dopingdebatte seit geraumer Zeit bei der Nennung von Dopingopfern doch dies immer öfter verbinden mit, ich sag mal abwertenden Begriffen wie "sogenannte Dopingopfer" oder dass Ihr Ton auch gegenüber Dopinggeschädigten doch etwas rüde geworden ist, auch in der letzten Sitzung. Warum ist Ihnen das so wichtig, die Dopingopfer in dieser Weise zu bezeichnen?

    Danckert: Also ich würde das Wort Rüge als sozusagen Ihre persönliche Meinung hier akzeptieren, aber das ist keineswegs das, was ich zum Ausdruck bringen wollte.

    Fischer-Solms: Ich sagte nicht Rüge, ich meinte rüde.

    Danckert: Ich habe Respekt vor denen, die Opfer sind. Wir haben aber seinerzeit bei dem Dopingopferhilfegesetz ganz bewusst auf einen konkreten Nachweis von Schädigung in einem gerichtsförmigen Verfahren verzichtet, sondern wir haben eine gewisse Plausibilität gelten lassen und sind nicht sozusagen ins Detail gegangen und haben in jedem einzelnen Fall sozusagen gerichtsförmig fest nachprüfen lassen, ob jemand wirklich im kompletten Sinne Opfer war.

    Fischer-Solms: Sie kennen also Trittbrettfahrer?

    Danckert: Na ja, das geht ja nicht nur um Trittbrettfahrer. Wer sich etwas stärker mit der Materie beschäftigt, weiß, dass in vielen Fällen die seinerzeit beteiligten Sportler sehr wohl wussten, was da mit ihnen gemacht wird und wozu sie möglicherweise gedrängt, aber wozu sie sich auch bereit erklärt haben. Und deshalb sage ich, wenn man von Opfern spricht, dann muss man das sozusagen sehr im Detail klären und nicht sich darauf berufen, dass jemand über das Dopingopferhilfegesetz eine Entschädigung gekriegt hat. Gerade in diesem Gesetz, und das war parteiübergreifend unsere Überzeugung, wollten wir, wenn jemand einen gesundheitlichen Schaden hat, sagen, der soll entschädigt werden, da spricht eine gewisse Plausibilität dafür, aber wie weit er in diesen jeweiligen Fällen auch persönlich sozusagen daran beteiligt war, das wollten wir ausklammern. Und ich finde, das ist das, was ich vielleicht deutlich gesagt habe, aber ich stehe dazu. Jemand, der entschädigt worden ist, ist kein staatlich anerkanntes Dopingopfer, sondern der hat eine Entschädigung nach dem Dopingopferhilfegesetz bekommen unter den Maßgaben, den wir damals ganz bewusst ins Gesetz formuliert haben, jedenfalls kein gerichtsförmiges Verfahren zu verlangen, um sozusagen die Sache schnell zu regeln. Das ist uns gelungen, das ist parteiübergreifend gelungen. Und heute wird aus denjenigen, die diese Entschädigung gekriegt haben werden, sozusagen staatlich anerkannte Opfer. Das ist weit davon entfernt, und nur darauf mache ich aufmerksam, weil ich finde es auch an dieser Stelle nicht besonders fair, wenn man jetzt sozusagen - wer die Entstehungsgeschichte des Gesetzes kennt, wird das nachvollziehen können - sagt, diejenigen, die eine Entschädigung gekriegt haben, sind anerkannte, staatlich anerkannte Dopingopfer. Und ich habe inzwischen sehr viele, Herr Fischer-Solms, das muss ich noch sagen, sehr viele Gespräche geführt, und da hat sich bei mir der Eindruck verstärkt, dass die Allermeisten, die heute über ihren gesundheitlichen Schaden klagen, was zu bedauern ist, sehr wohl mitgewirkt haben.

    Fischer-Solms: Das ist sicher ein Thema, das noch aufzuarbeiten ist, aber Ihnen ist bekannt, dass die Dopingopfer selbst in dieser Hinsicht Klarheit gefordert haben, eine Langzeitexpertise haben sie damals gefordert und fordern auch jetzt noch. Herr Danckert, Sie hatten sich anfangs ja den Ruf eines gefürchteten Kämpfers gegen Doping erarbeitet, unter anderem in der Auseinandersetzung gegen den Bund Deutscher Radfahrer. Sie hatten hier damals auch im Deutschlandfunk-Interview eine Sperre beziehungsweise eine Sperrung von Haushaltsmitteln beziehungsweise eine Rückzahlung von Verbandsgeldern gefordert. In der entscheidenden Sitzung dann aber haben Sie diese Ankündigung im Beisein von Radsportpräsident Scharping fallen gelassen. Der Kollege Jens Weinreich, der soeben mit dem Grimme-Preis eine der höchsten deutschen Medienauszeichnungen bekommen hat, hat Sie ja daraufhin in seinem Internetblog, Sie unter anderem, auf dem Kopf stehend abgebildet. Also der Ausschussvorsitzende als Umfaller?

    Danckert: Also ich überlass das den Medienvertretern, wie sie das bewerten. Ich glaube, dass ich eine sehr klare und eindeutige Position habe. Mein Kampf gilt sozusagen dem aktuellen Dopinggeschehen, und da lasse ich mich auch von niemand überbieten und da bin ich ja auch wie immer wieder im Konflikt mit anderen Fraktionen, mit Sportfunktionen, weil ich sage, das, was wir bei der Novellierung des Arzneimittelgesetzes geschafft haben, ist nur ein erster Schritt. Ich hätte mir da mehr gewünscht, das war ein Kompromiss. Ich habe eine klare Position zu dem Dopinggeschehen im deutschen und internationalen Sport. Und wenn wir jetzt sozusagen das alles in einen großen Topf rühren und sagen, an der Position und an jener Position hat der jetzt einen neuen Standpunkt, das ist nicht richtig. Wenn man sich das ganz genau ansieht - und nur darum bitte ich, aber das ist ja in der öffentlichen Diskussion nicht immer so ganz leicht -, habe ich, was das aktuelle Dopinggeschehen hat, an keiner Stelle irgendwas zurückgenommen. Da bin ich sogar bereit, jederzeit auch noch deutlichere Gesetze mitzutragen als Gesetzgeber. Und da, wo wir über die Vergangenheit reden, da bitte ich einfach, dass meine Position ist, dass wir sehr differenziert da umgehen und nicht nur eine Ostdiskussion führen, sondern eine gesamtdeutsche Diskussion führen, dass wir da, wo wir über Opfer reden, sozusagen auch klar erkennen lassen, was haben die damals gemacht. Ich habe in jüngster Zeit da sehr viel neue Erkenntnisse über die Beteiligung der seinerzeitigen Sportler, die heute sagen, sie seien nur Opfer.

    Fischer-Solms: Der Vorsitzende im Bundestags-Sportausschuss Peter Danckert. Herr Danckert, vielen Dank für das Gespräch.