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Sportrechte
Korruption durch die Hintertür

Sportfunktionäre entscheiden darüber, welche Fernsehsender für wieviele Millionen ihre Veranstaltungen übertragen dürfen. Das schafft Begehrlichkeiten und sorgt immer wieder für Schmiergeldskandale.

Von Jürgen Kalwa | 01.05.2018
    Jack Warner (l.) 2009 mit Sepp Blatter
    Jack Warner (l.) 2009 mit Sepp Blatter (imago Sportfoto)
    Es gehörte schon sehr viel Phantasie dazu, beim ersten Public Viewing in der Geschichte des Sports so richtig in Stimmung zu kommen. Das Jahr: 1911. Der Ort: eine Stadt mitten in den USA. Der Anlass: ein Footballspiel zwischen zwei Universitätsmannschaften. Die Technik: Man empfing Telegramme aus dem Stadion und stellte die Spielzüge mit Figuren nach.
    Seitdem ist die Vermittlung von Sport ständig besser und liviger geworden. Das begann 1921, als die ersten Baseballspiele über Mittelwelle ausgestrahlt wurden. In Deutschland markierten die Olympischen Spiele 1936 einen Meilenstein. Es gab nicht nur Live-Sport im Rundfunk, sondern erstmals sogar Fernsehen, wenn auch nur in einem experimentellen Stadium.
    Haupteinnahmequelle für den Sport
    Seitdem wurden aus den Übertragungen – dank der Satellitentechnologie hoch am Himmel und der Qualität digitaler High-Definition-Bilder und Zeitlupenwiederholungen aus allen Blickwinkeln – regelrechte Shows. Und ganz nebenbei die Haupteinnahmequelle für den kommerziellen Sport: Rund 30 Milliarden Dollar pro Jahr, so sagen Statistiken, geben Fernsehsender weltweit inzwischen für Übertragungsrechte aus.
    An der Engstelle, an der entschieden wird, welcher Kanal welche Rechte an welchen Wettbewerben bekommt, sind deshalb enorme Begehrlichkeiten entstanden. Der Skandal um den Konkurs gegangenen Schweizer Rechtemakler International Sport and Leisure, kurz ISL, warf vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal ein grelles Licht auf das Ausmaß der Schmiergeldsummen. Mindestens 138 Millionen Franken waren über eine Stiftung in Liechtenstein an Funktionäre verteilt worden.
    Selbstbedienungsladen FIFA
    Im Mai 2015 deutete die damalige amerikanische Justizministerinan, wie es unter dem Dach der FIFA weitergegangen war: "The 14 defendants charged in the indictment we are unsealing today include high-ranking officials of FIFA, leaders of regional and other governing bodies under the FIFA umbrella." Zum ersten Mal flog der ganze Selbstbedienungsladen auf.
    Die ausschließlich auf Nord- und Südamerika beschränkten strafrechtlichen Ermittlungen ergaben bis dahin: Dass Bestechungsgelder von insgesamt 110 Millionen Dollar geflossen waren. Was einem Drittel der Kosten der fraglichen Veranstaltungen entsprach, wie Lynch sagte.
    Die Justizministerin Loretta Lynch
    Die Justizministerin Loretta Lynch (imago)
    Die Kanadierin Alexandra Wrage, eine Expertin in Sachen Wirtschaftskorruption, hatte 2011 eine Zeit lang am FIFA-Reformprozess teilgenommen: "Die Amerikaner hatten keine Ahnung, wie schlimm es zuging, ehe sie den ehemaligen CONCACAF-Generalsekretär Chuck Blazer als Informanten gewinnen konnten. Aber sie sind in der Lage, einen Reinigungsprozess anzuschieben. Hätte Fußball in diesem Land einen größeren Stellenwert, wäre der Einfluss der amerikanischen Ermittlungsbehörden sicher sehr viel größer."
    Sport eines der letzten Fernsehereignisse
    Weshalb sind Fernsehrechte überhaupt so begehrt? Victor Matheson, Volkswirtschaftler und Professor an der Universität Holy Cross in Worcester in Massachusetts, beschäftigt sich intensiv mit Profisport. Er nennt den Knackpunkt:
    "Die Preise sind so hoch, weil Sport eines der letzten Fernsehereignisse ist, dass die Menschen unbedingt live miterleben wollen. Was wichtig für die werbetreibende Wirtschaft ist. Sport ist live so faszinierend, weil man nicht weiß, wie ein Spiel ausgeht. Weil wir es gerne zusammen mit anderen anschauen. Und weil es Nachrichtenwert hat."
    Warum führt so etwas jedoch nicht in den USA zu ähnlichen Skandalen, wo die Top-Ligen jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar von den Fernsehsendern einnehmen? Ein Grund: Die Entscheidungsträger in den Ligen werden bestens bezahlt.
    Gewerkschaften als Wachhunde
    Und noch etwas ist von Belang, sagt Professor Matheson. Die Transparenz in Amerika, wenn es ums Geld geht. "Das hat damit zu tun, wie unsere Ligen strukturiert sind. Was man in Europa ‘Financial Fairplay’ nennt, das sind hier die Salary Cap und die Luxussteuern für die Teams, die über die Stränge schlagen. Damit so etwas überhaupt funktionieren kann, muss jeder von jedem wissen, was er verdient."
    Und noch ein Aspekt, der gerade am 1. Mai nicht unterschlagen werden sollte. "Fast in allen Ligen gibt es Gewerkschaften. Und deren Tarifverträge sagen: dass die Spieler etwa die Hälfte der Gesamteinnahmen bekommen. Damit sind die Gewerkschaften so etwas wie Wachhunde. Und das hilft ebenfalls." Denn Vertrauen ist gut. Kontrolle jedoch sehr viel besser.