Donnerstag, 25. April 2024

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Sportwetten
Spielmanipulationen auf Allzeithoch

Erstmals sind im letzten Jahr mehr als 1000 Spielmanipulationen im Profisport identifiziert worden. Ein neuer Rekordwert. Besonders im Fokus der Kriminellen ist der Profifußball.

Von Thorsten Poppe | 01.01.2023
    Eingang zu einer Sportsbar des Wettanbieters Tipster.
    Wettmanipulationen sind kaum in den Griff zu kriegen. Werden die Kontrollen engmaschiger, weichen die Betrüger einfach auf niederklassigere Ligen aus. (dpa / picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Fast zehn Milliarden Euro – so viel Umsatz haben Anbieter von Sportwetten 2021 gemacht. Die Tendenz: steigend, trotz der Suchtgefahr. Und dem Sport droht noch eine andere Gefahr.
    "Es gibt noch viele weitere Aspekte, die meiner Meinung nach komplett gegen Sportwetten sprechen. Da ist die Spielmanipulation. Das wissen wir seit den Fall Hoyzer hier in Deutschland, glaube ich sehr gut", gibt Thomas Melchior zu bedenken.

    Spiele in der Nacht extra für den asiatischen Markt

    Als ehemaliger Sportwetten-Süchtiger, der deswegen sogar im Gefängnis saß, macht er seit seiner Entlassung auf die Gefahren von Sportwetten aufmerksam. Und nennt ein Beispiel aus dem Tischtennis, wie eine Sportart durch Wetten verändert wird:
    „Das sollte man sich mal angucken bei den Sportwettenanbietern. Die tschechische Liga Pro, das nennt sich so, spielt nachts um 2, um 3. Es geht darum schnelle Wetten anzubieten, und zwar hauptsächlich für den asiatischen Markt. Deswegen nachts. Und das gibt meiner Meinung nach keinen Sinn und das verändert den Sport.“

    Über 1150 manipulierte Spiele

    Auch wegen dieser Entwicklungen ist der Profisport weltweit vermehrt für Manipulationsversuche anfällig. Das Unternehmen Sportradar aus der Schweiz überwacht deshalb im Auftrag von mehr als 150 Sportverbänden und Ligen weltweit den Sportbetrieb.

    Wir haben über 1150 manipulierte Spiele identifiziert. Das ist ein Allzeithoch.

    Allein 2022 sind dabei 800.000 Ligaspiele überwacht worden, erklärt Geschäftsführer Andreas Krannich:
    "Das sind viele Sportarten, die nicht immer im Fokus sind, die sehr viel Volumen machen. Tischtennis zum Beispiel. Da ist aber natürlich auch die FIFA-Weltmeisterschaft. Aber auch Top-Events von der FIBA im Basketball, die Darts-WM, und Snooker, wo vor kurzer Zeit sieben Spieler aus China, die manipuliert haben, für lange Zeit gesperrt wurden, wo wir unterstützt haben."*

    Profis via Social Media kontaktiert

    Im Fokus von Sportradar stehen dabei ungewöhnliche Spielverläufe, die mittels eines Betrugserkennungssystems identifiziert werden. Auch wird im Vorfeld immer geschaut, wie attraktiv eine Sportliga für Kriminelle ist.
    Das hängt unter anderem davon ab, wie stark diese Liga überwacht wird. Oder ob die Profis für diese Thematik mit Schulungen sensibilisiert werden und ein Bewusstsein dafür geschaffen worden ist. Denn es ist heutzutage durchaus üblich, dass mögliche Betrüger die Profis via Social Media kontaktieren, so Krannich.

    Die Manipulationen verlagern sich

    Darüber hinaus arbeitet das Unternehmen mit vielen internationalen Strafverfolgungsbehörden zusammen. Interpol, Europol, oder FBI, um nur einige zu nennen. Schließlich gibt es auch bei internationalen Spielen solche Manipulationsversuche - allein pro Spiel der FIFA-Weltmeisterschaft werden rund ein bis zwei Milliarden Euro gesetzt.
    „Die große Mehrheit aller Manipulationen finden heute immer noch und auch verstärkt im Fußball statt. Weil massenattraktiv, hoher Umsatz, sehr, sehr viele Verbände und Ligen. Über die Fifa und UEFA überwachen wir jetzt den gesamten professionellen Fußball, weltweit erste und zweite Liga. Und Cup-Matches. Dadurch gibt es einen signifikant feststellbaren Rückgang in der Manipulation dieser Ligen und Wettbewerbe. Mit dem Effekt, dass jetzt stärker dritte und vierte Ligen ins Visier geraten.“

    Wettskandal in Österreich

    Gut zu beobachten ist dieser Verdrängungsmechanismus in Österreich in der dortigen Regionalliga. 15 Beschuldigte sollen insgesamt 19 Spiele verschoben haben. Noch läuft der Prozess wegen schweren Betrugs, einige Spieler haben bereits gestanden.
    Auch wegen dieser stetigen Gefahr gibt es seit 2022 in Deutschland die unabhängige Meldestelle für Spielmanipulationen. Betreut wird sie von Rainer Cherkeh, Fachanwalt für Sportrecht:
    „Bisher hat ein unabhängiges Hinweisgeber-System für Manipulationen im deutschen Sport nicht existiert. Es ging also darum, und zwar in der Umsetzung eine Struktur zu schaffen, die fachlich unabhängig, vor allem aber auch losgelöst von Verbandsstrukturen, des Sports oder sonstigen Dritten arbeitet. Und durch die Meldestelle Sportmanipulation ist jetzt ein staatlich gefördertes Angebot der anonymen Kontaktaufnahme für Hinweisgeber geschaffen.“
    Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten für die Hinweisgeber anonym etwaige Manipulationsversuche zu nennen. Zum Beispiel online über ein Hinweisgebersystem oder indem sie sich direkt an den Sportrechtler und seine Kanzlei wenden.
    Sollte sich aufgrund der Meldung der Verdacht einer Straftat ergeben, wird die Meldung an die Ermittlungsbehörden weitergegeben, sofern der Hinweisgeber zugestimmt hat.
    „Wenn sich aus der Meldung kein Verdacht auf eine Straftat ergibt, diese aber für die Sportverbände zumindest werthaltig erscheinen, dann wird der Hinweis, an den zuständigen Sportverband weitergegeben. Beim Sportverband kann dann zum Beispiel eine sportrechtliche Sanktionierung des Verstoßes erfolgen.“

    Große Dunkelziffer

    Wie viele Meldungen es bisher gegeben hat, darf Rainer Cherkeh aus datenschutzrechtlichen und anderen Gründen nicht verraten. Wie das Thema aber den Sport beschäftigt, zeigen auch die bisherigen Vorsichtsmaßnahmen.
    So haben DFB und DFL ebenfalls eine Anlaufstelle mit einem Ombudsmann für Spielmanipulationen eingerichtet. Seit dieser Saison schult dieser Ombudsmann dafür zusammen mit der Spielergewerkschaft VDV die Lizenzmannschaften der Bundesliga und 2. Bundesliga.
    Für dieses Thema zu sensibilisieren ist auch deshalb wichtig, weil letztendlich nach wie vor keiner im organisierten Sport weiß, wie viele Manipulationsversuche es wirklich gibt. Das bestätigt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk auch noch einmal Andreas Krannich von Sportradar:
    „Wir wissen natürlich nicht, wie oft wirklich manipuliert wird. Wir können ja auch nur Spiele identifizieren, wo wir einen Vertrag mit dem Sport, mit der Sportorganisation oder mit der staatlichen Strafverfolgungsbehörde oder mit einer Regulierungsbehörde haben. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn Sie kein Alarmsystem im Haus haben, bekommen Sie auch nicht mit, wenn eingebrochen wird.“
    *Anmerkerung der Redaktion: In einer ersten Version hätte der missverständliche Eindruck enstehen können, auch die Fußball-WM sei von Manipulationen betroffen. Wir haben deswegen die Aussagen von Andreas Krannich nachträglich klarer eingeordnet.